Das Thema
In dem Verfahren vor dem BAG unter dem Aktenzeichen 1 ABR 30/14 (Beschluss vom 7. Juni 2016) streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens von Betriebsratsbeschlüssen. Bei Abstimmungen wurde in dem Gremium zunächst nach Nein-Stimmen und sodann nach Enthaltungen gefragt. Die Ja-Stimmen wurden nicht durch Nachfrage, sondern aus der Differenz der abgegebenen Stimmen zu den anwesenden Betriebsratsmitgliedern ermittelt. Deren Zahl wurde jeweils vor den einzelnen Abstimmungen festgestellt und ins Sitzungsprotokoll eingetragen.
Einige Betriebsratsmitglieder halten diese sog. Substraktionsmethode für betriebsverfassungswidrig und nicht mit demokratischen Grundsätzen vereinbar. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass anwesende Betriebsratsmitglieder während der Stimmabgabe abgelenkt sind oder die Zahl der Abstimmungsberechtigten während einer Sitzung schwankt. Die Ja-Stimmen müssten deshalb ausdrücklich abgefragt werden.
Sie fordern nun die Feststellung der Unwirksamkeit namentlich benannter Beschlüsse. Zudem soll der Betriebsrat verpflichtet werden, Beschlussfassungen nur noch dann anzunehmen, wenn diese auf einer positiven aktiven Meinungsäußerung der befürwortenden Gremienmitglieder beruhen.
BAG hält Anträge des BR mangels Antragsbefugnis für unzulässig
Vor dem BAG hatten die Betriebsratsmitglieder keinen Erfolg. Die obersten Arbeitsrichter halten ihre Anträge mangels Antragsbefugnis für unzulässig.
Die für die Einleitung des Beschlussverfahrens erforderliche Antragsbefugnis (§ 81 Abs. 1 ArbGG) hat nur, wer eigene Rechte geltend macht. Die Betriebsratsmitglieder stellen hier aber lediglich darauf ab, dass das Verfahren der Beschlussfassung unzulässig sei, weil Ja-Stimmen nicht ausdrücklich abgefragt werden. Dass ihr Stimmverhalten von der Sitzungsleitung falsch festgestellt, unzutreffend bewertet oder der „Erfolgswert“ ihrer Stimmen verkannt wurde, haben sie nicht geltend gemacht. Das beanstandete Verhalten betrifft damit nur das Recht anderer Gremienmitglieder, ohne dass eigene betriebsverfassungsrechtliche Positionen betroffen sind.
Ähnliches gilt auch für den Antrag, dass künftig Ja-Stimmen ausdrücklich abzufragen sind. Auch insofern machen sie keine eigenen Rechte geltend, sondern berufen sich lediglich auf eine dem BetrVG fernliegende abstrakte Kontrollbefugnis von Betriebsratsmitgliedern.
Konsequenzen für die Beschlussfassung (nicht nur) in Betriebsratsgremien
In vielen Gremien gibt es Menschen, die versuchen, ihnen nicht genehme Entscheidungen aus formalen Gründen „zu kippen“ – und das nicht nur in Betriebsräten. Es ist daher zu begrüßen, dass die Erfurter Richter in bemerkenswerter Klarheit festgestellt haben, dass einzelne Gremienmitglieder nur dann die Unwirksamkeit eines Beschlusses oder die Rechtswidrigkeit von Handlungen geltend machen können, wenn sie sich auf die Verletzung eigener Rechte berufen. Das versperrt vielfach den Weg, sich auf (vermeintliche) Verfahrensfehler bei der Beschlussfassung zu stützen, um die unterlegene Ansicht gegen die Mehrheit durchzusetzen oder zumindest die Umsetzung der Mehrheitsmeinung zu verhindern oder zu verzögern.
Und das ist nicht nur sachlich geboten. Es ergibt sich zwingend aus den gesetzlichen Vorgaben. Wie die obersten Arbeitsrichter zutreffend ausführen, dient die Antragsbefugnis dazu, Popularklagen auszuschließen. Sie ist nur gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist, wie das BAG darlegt, nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein aussichtlos erscheint.
Dennoch: Verfahrensfragen frühzeitig klären
Auch wenn die Erfurter Richter damit eine Tür für unnütze Streitigkeiten innerhalb von Betriebsräten geschlossen haben, bleiben leider noch viele andere offen. Gerade Verfahrensfragen sollten daher frühzeitig innerhalb des Gremiums geklärt werden, um spätere gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Wenn einzelne Mitglieder sich gegen einfache, praktikable Abläufe wenden, ist zu überlegen, ob die Mehrheit auf diesen besteht oder nicht – auch, wenn solche Abläufe gesetzeskonform sind. Es ist oft weniger zeitaufwendig und nervenaufreibend, umständlichere Verfahren zu statuieren, als die Rechtmäßigkeit einfacher Lösungen gerichtlich feststellen zu lassen. Allzu viele Freunde schaffen sich Gremienmitglieder, die sich auf unnütze formale Fragen konzentrieren, in aller Regel ohnehin nicht. Und auch das kann die Arbeit des Betriebsrats letztlich vereinfachen.
Arbeitgeber haben keine rechtlichen Möglichkeiten solche Auseinandersetzungen zu verhindern. Sie sollten auch keinesfalls in interne Abläufe und Auseinandersetzungen der Arbeitnehmervertretung eingreifen – gleich in welcher Art. Es kann aber durchaus hilfreich sein Betriebsratsmitglieder gelegentlich darauf aufmerksam zu machen, dass man Geld nur einmal ausgeben kann: zum Wohl der Arbeitnehmer oder für unnütze Rechtsstreitigkeiten.
Autor: Prof. Dr. Arnd Diringer – Kontakt: Initiatorenkreis #EFAR
[Hinweis: Der Beitrag wurde erstmals in der Zeitschrift Arbeit und Arbeitsrecht Heft 12/2017 veröffentlicht. Er wird hier mit freundlicher Zustimmung der AuA-Redaktion publiziert.]
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