Das Thema
Das BAG hatte jüngst (Urteil vom 30. Januar 2019 – 5 AZR 556/17, Pressemitteilung) die Frage zu klären, ob bei einem Orientierungspraktikum i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 MiLoG eine Aufteilung der maximal zulässigen Praktikumsdauer von drei Monaten in mehrere Abschnitte möglich ist. Ausweislich der Pressemitteilung ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn der Praktikant für die vorab vereinbarte Unterbrechung persönliche Gründe hat und zwischen den einzelnen Abschnitten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.
Verstoßen viele Praktika gegen das Mindestlohngesetz?
Laut CLEVIS-Praktikantenspiegel dauerte das durchschnittliche Praktikum im Jahr 2018 ca. fünf Monate, erfolgte unter Zahlung einer Monatsvergütung von ca. EUR 1.098,00 brutto und war in ca. 32% der Fälle ein Pflichtpraktikum im Rahmen des Studiums. Das ist bemerkenswert: Bei einer derartigen Dauer des Praktikums ist jedenfalls ausgeschlossen, dass es sich um ein mindestlohnbefreites Praktikum zur Orientierung auf oder zur Begleitung einer Hochschul- oder Berufsausbildung handelt.
Wird das Praktikum daneben auch noch in Vollzeit ausgeübt, wäre bei dieser Monatsvergütung der für 2018 geltende Mindestlohn von EUR 8,84 nicht eingehalten. Rechtlich geboten ist es aber, Praktikanten, die ein Praktikum zur Orientierung auf oder zur Begleitung einer Hochschul- oder Berufsausbildung von mehr als bis zu drei Monaten ableisten, mit dem Mindestlohn zu vergüten. Die bei Arbeitgebern beliebten Ausnahmetatbestände des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 MiLoG greifen bei Überschreitung der Höchstdauer von drei Monaten gerade nicht.
Praktika: Wann gilt die Ausnahme vom Mindestlohn?
Mit der Einführung des Mindestlohngesetzes hat der Gesetzgeber Praktikanten zu Arbeitnehmern im Sinne des MiLoG erklärt und für sie damit eine Mindestvergütung sichergestellt. Ausgenommen wurden in § 22 Abs. 1 S. 2 MiLoG drei besondere Praktikumskonstellationen:
- das in einer Ausbildungsordnung vorgeschriebene Pflichtpraktikum,
- das Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufs- oder Hochschulausbildung sowie
- das ausbildungs- oder studienbegleitende Praktikum von bis zu drei Monaten, wenn nicht schon zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat.
Nach dem Gesetzestext gilt in zwei der drei Fälle die Ausnahme vom Mindestlohn nur für Praktika, die eine Dauer von höchstens drei Monaten nicht überschreiten. Doch wie diese zeitliche Grenze genau zu lesen ist und welche Wirkung ein Überschreiten der Höchstdauer hat, darüber wird in der Rechtsprechung und Literatur gestritten.
Der Reiterhof-Fall des BAG: Praktikum mit Unterbrechungen
In dem vom BAG entschiedenen Fall vereinbarten die Parteien ein dreimonatiges Praktikum. So sollte die Klägerin prüfen können, ob sie die Berufsausbildung als Pferdewirtin aufnehmen möchte. Rein formal hatte das Praktikum am 3. Oktober 2015 begonnen und erst am 25. Januar 2016 geendet – zwischen Beginn und Ende lagen also mehr als drei Monate.
Während des Praktikums kam es jedoch zu verschiedenen Unterbrechungen. Die Klägerin fehlte an drei Tagen krankheitsbedingt. Außerdem hatten die Parteien bereits vor Beginn des Praktikums vereinbart, dass die Klägerin über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel aufgrund eines geplanten Familienurlaubes nicht auf der Reitanlage anwesend sein würde. Während dieser Zeit bat die Klägerin die Beklagte um eine noch spätere Fortsetzung des Praktikums, da sie Probearbeitstage auf anderen Reiterhöfen absolvieren wollte. Hiermit erklärte sich die Beklagte einverstanden. Insgesamt kam es zu Unterbrechungen des Praktikums von mehreren Wochen.
Nach Beendigung des Praktikums forderte die Klägerin rückwirkend eine Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns wegen der Überschreitung der Höchstdauer von drei Monaten. Der Klage vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach wurde stattgegeben.
Es kommt auf die Gründe der Unterbrechung sowie einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang an
Dieses Urteil hielt bereits einer Überprüfung durch die Berufungsinstanz des LAG Düsseldorf nicht stand (Urteil vom 25. Oktober 2017 – 7 Sa 995/16). Hier war die Klage der Praktikantin abgewiesen worden. Das LAG hatte entschieden, dass das Praktikum als ein dreimonatiges Orientierungspraktikum für eine Berufs- oder Hochschulausbildung anzusehen sei. Es nahm an, dass es bei § 22 Abs. 1 MiLoG darauf ankomme, ob ein über drei Monate hinausgehendes Praktikum tatsächlich „geleistet“ worden sei. Zulässig sei dabei insbesondere eine Aufteilung des zu leistenden Praktikums in mehrere Abschnitte, die zusammengerechnet drei Monate nicht überschreiten dürften.
Weder der Gesetzeswortlaut noch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ließen auf den Willen des Gesetzgebers schließen, dass eine zeitliche Unterbrechung des Dreimonatszeitraums nicht möglich sein solle. Insbesondere die Tatsache, dass § 22 Abs. 1 MiLoG anders als etwa im Kündigungsschutzgesetz nicht die Formulierung „ohne Unterbrechung“ verwende, zeige den Willen des Gesetzgebers. Auch der Sinn und Zweck der zeitlichen Höchstbegrenzung – als Missbrauchsgrenze für die Beschäftigung einer „kostenlosen Hilfskraft“ – stehe einer Aufteilung auf Zeitabschnitte nicht entgegen. Wenn eine solche Aufteilung vorher zwischen den Parteien vereinbart sei und auf Wunsch und im Interesse des Praktikanten erfolge, seien die Unterbrechungszeiten bei der Dreimonatsgrenze nicht mitzurechnen. Einer vorherigen Absprache bedürfe es vor allem, um einer missbräuchlichen Ausklammerung nicht geleisteter Praktikumstage im Nachhinein entgegenzuwirken.
Ausweislich der Pressemitteilung schloss sich das BAG sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung dem LAG an. Ein Praktikum könne jedenfalls aus Gründen in der Person des Praktikanten rechtlich oder tatsächlich unterbrochen und um die Dauer der Unterbrechungszeit verlängert werden, wenn zwischen den einzelnen Abschnitten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehe und die Höchstdauer von drei Monaten insgesamt nicht überschritten werde.
Anders als das LAG hebt das BAG ausdrücklich den notwendigen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang hervor. Denkbarer Grund könnte sein, dass das BAG damit verhindern möchte, dass unterschiedliche Kurz-Praktika nachträglich und missbräuchlich in ein einheitliches mindestlohnfreies Praktikum umdeklariert werden. So sind etwa ausbildungs- oder studienbegleitende Praktika gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG auch dann nur einmal mindestlohnfrei bei demselben Ausbildenden möglich, wenn der Dreimonatszeitraum nicht ausgereizt wurde.
Beschäftigung von Praktikanten: Weiterhin offene Fragen
Nach wie vor ungeklärt ist, ob § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 MiLoG nur Praktika ausschließen, die von Anfang an länger geplant waren oder auch solche, bei denen eine spätere Abänderung der ursprünglichen Planung dazu führt, dass die Höchstdauer überschritten wird. Auch ist weiterhin offen, ob bei Überschreitung der Dreimonatsgrenze die Mindestlohnpflicht von Tag 1 des Praktikums an (ex tunc) oder erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Überschreitung (ex nunc) gilt – dies hatte das LAG ausdrücklich offengelassen. Inwieweit sich das Bundesarbeitsgericht in den Urteilsgründen hierzu in einem obiter dictum äußern wird, bleibt abzuwarten.
Die ganz große Klärung der Mindestlohnfragen im Praktikum ist daher vorerst noch ausgeblieben.
Gestaltungshinweise für die Praxis
Reagiert werden sollte auf die BAG-Entscheidung insofern, dass Unterbrechungen eines Praktikums, die unter die Ausnahmetatbestände des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 MiLoG fallen, jedenfalls noch vor ihrem Beginn schriftlich vereinbart werden. Hierbei ist auf eine Klarstellung zu achten, dass die Unterbrechung im Interesse und auf Wunsch des Praktikanten erfolgt und das Praktikum im Anschluss unverändert fortgesetzt wird, also ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Abschnitten besteht.
Zu empfehlen ist es, das konkrete Unterbrechungsinteresse jedenfalls schlagwortartig in der Abrede aufzunehmen.
Wann aus einem Praktikum ein Arbeitsverhältnis wird
Da die Dreimonatsfrage jedenfalls dann völlig irrelevant ist, wenn es sich tatsächlich nicht um ein Praktikum, sondern ein Arbeitsverhältnis handelt, verdient eine Randbemerkung des LAG Düsseldorf kurze Beachtung: Dort hatte die Klägerin argumentiert, dass die Beklagte ihr im Praktikumszeugnis Pünktlichkeit bescheinigt habe, was darauf hindeute, dass sie verpflichtet gewesen sei, Arbeitszeiten einzuhalten. Dieser Umstand deute insgesamt auf ein Arbeitsverhältnis und nicht auf ein Praktikum hin.
Für die Praxis könnte sich die Frage ergeben, ob einem Praktikanten generell keine Pünktlichkeit attestiert werden sollte. Insofern kann entwarnt werden: Das LAG Düsseldorf hat klargestellt, dass feste Arbeitszeiten und die damit verbundene Eingliederung in den Betriebsablauf nicht gegen die Annahme eines Orientierungspraktikums sprächen.
Zum Erwerb von praktischen Kenntnissen und Erfahrungen gehöre auch, dass beruflich anfallende Tätigkeiten nicht nur sporadisch, sondern auch arbeitstäglich unter Einhaltung vorgegebener Arbeitszeiten kennen gelernt würden. Somit spricht in der Praxis nichts dagegen, einem Praktikanten im Zeugnis Pünktlichkeit zu bescheinigen.