Das Thema
Nach § 106 GewO steht dem Arbeitgeber – soweit Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nicht konkret im Arbeitsvertrag oder anderen Vereinbarungen festgelegt sind – das Recht zur näheren Ausgestaltung dieser Arbeitsbedingungen zu. Die Ausübung des Direktionsrecht im Einzelfall muss billigem Ermessen entsprechen. Und jedenfalls bis zur aktuellen Entscheidung des BAG am 14. Juni 2017 (Beschl. v. 14.06.2017 – 10 AZR 330/16; zur Pressemitteilung Nr 25/17) galt: ein Arbeitnehmer muss auch einer aus seiner Sicht als unbillig empfundenen Weisung zunächst Folge leisten, bis die Rechtmäßigkeit der Weisung gerichtlich geklärt ist.
Dass dieses Ergebnis aus Arbeitnehmersicht unbefriedigend ist, liegt auf der Hand, denn diese Klärung kann – möglicherweise über mehrere Instanzen hinweg – Jahre dauern. So müsste z.B. der Arbeitnehmer einer unbilligen Versetzungsanordnung („Ihr Arbeitsort ist nun Hamburg, nicht mehr München.“) zunächst einmal Folge leisten. Bei Nichtbefolgung der Weisung drohen arbeitsrechtliche Sanktionen: vom Verlust seines Vergütungsanspruchs über eine Abmahnung bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Da hilft es nicht wirklich, wenn im Nachhinein die Unbilligkeit und damit Unverbindlichkeit der Weisung gerichtlich festgestellt wird.
Aus der arbeitsrechtlichen Blogosphäre zum Thema
Diese Rechtsauffassung resultiert aus einem Urteil des BAG vom 22.02.2012 (5 AZR 249/11): der 5. Senat hatte entschieden, dass Arbeitnehmer einer als unbillig empfundenen Weisung zunächst Folge leisten müssen, bis die Rechtmäßigkeit der Weisung gerichtlich geklärt ist.
In dem Beschluss vom 14. Juni 2017 (10 AZR 330/16) vertritt nun der 10. Senat – abweichend vom 5. Senat – die Auffassung, ein Arbeitnehmer müsse einer unbilligen Weisung nicht, auch nicht vorläufig, folgen. Und weil das nach Meinung des 10. Senats so ist, fragt er nun den 5. Senat – quasi über den Flur in Erfurt – ob dieser an seiner gegenteiligen Rechtsprechung festhalten möchte. Der aktuelle Beschluss des 10. Senats hat womöglich gravierende Folgen für alle Arbeitgeber in Deutschland, meint etwa die Berichterstattung auf Spiegel Online.
Bereits das in zweiter Instanz mit dem nun vom 10. Senat entschiedenen Fall befasste Landesarbeitsgericht Hamm hat dem 5. Senat des BAG die Gefolgschaft verweigert (Urteil v. 17.03.2016 – 17 Sa 1660/15). Zur Begründung, so erläutert Dr. Christoph Bergwitz im Blog Arbeitsrecht.Weltweit von Kliemt & Vollstädt, hat das LAG darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des 5. Senats zu einer für den Arbeitnehmer untragbaren Risikoverlagerung führt. Er müsse auch eine unbillige Arbeitgeberweisung zunächst befolgen, wenn er nicht riskieren will, seiner Vergütungsansprüche zu verlieren oder gar gekündigt zu werden, selbst wenn im Nachhinein die Unbilligkeit der Weisung gerichtlich festgestellt wird.
Folgt der 5. Senat der Rechtsauffassung des 10. Senats steht dem Arbeitnehmer künftig ein einseitiges Leistungsverweigerungsrecht auch in Bezug auf (lediglich) unbillige Weisungen zu. Allerdings stellen sich zahlreiche Folgefragen, meint Dr. Rüdiger Hopfe im Handelsblatt Rechtsboard. Das Risiko der Unbilligkeit liegt nach der Rechtsauffassung des 10. Senats nicht mehr beim Arbeitnehmer, sondern beim Arbeitgeber, betont Dr. Silvia Lang im Unternehmerblog von Hogan Lovells. Denn wenn die Weisung– etwa im Fall einer Versetzung – unbillig ist und der Arbeitnehmer sie nicht befolgt, kann der Arbeitgeber dennoch verpflichtet sein, die Vergütung zu zahlen (sog. Annahmeverzug, § 615 S. 1 BGB). Außerdem kann sich eine Abmahnung und/oder Kündigung wegen Arbeitsverweigerung im Nachhinein als unwirksam herausstellen.
Und was passiert, wenn der 5. Senat an seiner Rechtsauffassung festhält? Dann kommt der Große Senat des BAG ins Spiel und muss abschliessend entscheiden. Und das kann nicht nur dauern, sondern der Ausgang wäre auch völlig offen. Für beide Ansichten lassen sich gute Argumente finden, meint etwa Holger Faust auf der Webseite von Push Wahlig.
[Update, 23. Juni 2017]: Die Ansicht des LAG Hamm, welcher sich nun auch der Zehnte Senat des BAG anzuschließen scheint, überzeugt, meint die Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht von Prof Dr. Dr. Löwisch in Freiburg. Sie entspricht letzten Endes auch dem Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Arbeitgeber sollten sich präventiv bereits jetzt darauf einstellen, ihre Weisungen vor Ausspruch auf Billigkeit zu überprüfen, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden bzw. in ihrem Falle den Dokumentationsaufwand zu minimieren.
[Update, 4. Juli 2017]: Es bleibt abzuwarten, wie sich der 5. Senat bzw. der Große Senat des BAG positioniert. Präventiv ist Arbeitgebern aber bereits jetzt zu empfehlen, die Prüfung der Billigkeit einer Weisung in Vorbereitung einer Rechtsstreitigkeit zu dokumentieren, erläutert Rechtsanwalt Timo Kloster im Blog von CMS Hasche Sigle. Bei Unsicherheit über die Wirksamkeit oder Billigkeit der Weisung sei es zudem sinnvoll, vorsorglich auch eine flankierende Änderungskündigung auszusprechen.