Das Thema
Noch steht nicht fest, ob und wenn ja, wann der Brexit nun genau kommt. Schon im Koalitionsvertrag hat die amtierende “Große Koalition” das Vorhaben skizziert, den Wettbewerb um Fachkräfte speziell aus der Bankenbranche durch eine Einschränkung des Kündigungsschutzes für Banker flankieren zu wollen. Am 21. Februar 2019 hat der Bundestag dies nun umgesetzt und mit dem „Brexit-Steuerbegleitgesetz“ auf den Weg gebracht.
Geändert wird § 25a Abs. 5a KWG (Kreditwesengesetz). Risikoträger (m/w/d) bedeutender Institute, deren jährliche fixe Vergütung das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung übersteigt, werden leitenden Angestellten im Hinblick auf den Kündigungsschutz gleichgestellt. Damit soll Instituten künftig die Trennung von “solchen” Risikoträgern erleichtert werden, um die von diesen Personen ausgehenden Risiken abwenden zu können. Im Klartext hat die Neuregelung also kündigungsschutzrechtlich weitreichende Folgen: Zwar genießen auch leitende Angestellte Kündigungsschutz nach dem KSchG. Ein Unternehmen kann unter den in § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG genannten Voraussetzungen das Arbeitsverhältnis aber gegen Zahlung einer Abfindung beenden. Aus dem Kündigungsschutz wird dann letztlich ein bloßer Abfindungsschutz (Leitende Angestellte – ein rechtliches Mysterium?).
Das kann man gut finden – oder auch nicht: Wir haben Meinungen im Sinne eines “Pro und Contra” eingeholt (Anmerkung der Redaktion: Die “Contra-Meinung ist hier abrufbar. )
Pro: Trotz Neuregelung – Nachhaltige Reform des Kündigungsschutzes bleibt auf Tagesordnung
Ein beschäftigungsförderndes Arbeitsrecht setzt kalkulierbare, rechtssichere und flexible Regelungen voraus. Das geltende Kündigungsschutzrecht erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die deutschen Kündigungsschutzbestimmungen können sich beschäftigungshemmend auswirken – da sie gerade auch Geringqualifizierten eine Teilhabe am Arbeitsmarkt erschweren. Für Arbeitgeber entfaltet der Bestandsschutz im Arbeitsrecht Unsicherheit und hat dadurch eine einstellungsbehindernde Wirkung.
Schon bei einer Einstellung sollte kalkulierbar sein, dass ggf. die Arbeitsbeziehung auch verlässlich beendet werden kann, um z. B. die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens und damit auch anderer Arbeitsplätze zu sichern. Das Kostenrisiko bei Kündigungsschutzprozessen ist demgegenüber häufig kaum berechenbar, insbesondere wegen des Verzugslohnrisikos. Ein Prozess vor dem Arbeitsgericht kann sich über mehrere Monate, ja Jahre hinziehen. Je länger die Unsicherheit dauert, desto höher ist das Risiko. Unabhängig davon, ob die Kündigung rechtswirksam ist, muss der Arbeitgeber Zeit und Geld aufwenden. Um diese beschäftigungshemmende Wirkung zu überwinden, muss das deutsche Kündigungsrecht grundlegend reformiert werden.
Deutschland als Wirtschaftsstandort weiter stärken
Die Anpassung der Kündigungsschutzregelungen kann auch ein Beitrag sein, Deutschland als Standort für die Ansiedlung von Unternehmen im europäischen und globalen Wettbewerb zu stärken. Gerade im Verhältnis zu angelsächsischen Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich, Irland oder den Vereinigten Staaten ist dabei zu berücksichtigen, dass diese weitgehend der „employment at will“-Doktrin folgen und das Individual- und damit auch das Kündigungsrecht stärker vertraglich und weniger gesetzlich fundiert denken. Unabhängig von der Gestaltung der einzelnen Norm ist dies ein weiterer Unterschied, der nicht als solcher nachteilig wirkt oder wirken muss, wohl aber erhöhten Erläuterungsbedarf auslösen kann. Der bevorstehende Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der EU kann diese Fragen einmal mehr in den Fokus rücken.
Der im Wesentlichen auf Bestandsschutz ausgerichtete Kündigungsschutz sollte überdacht und für abweichende Vereinbarungen geöffnet werden. Eine Modernisierung des Kündigungsschutzrechts kann den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken und fitter für den Wettbewerb machen. Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass im Koalitionsvertrag vom 12.3.2018 eine Änderung des Kündigungsschutzes angekündigt ist. Konkret vereinbaren die Koalitionspartner, angesichts des bevorstehenden Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU, den Standort Deutschland für Finanzmärkte attraktiver zu gestalten.
Neuregelung nur “Tropfen auf den heißen Stein”
In Umsetzung des Koalitionsvertrags sieht der Gesetzentwurf über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU eine Änderung des Kreditwesensgesetzes vor. Danach soll im Hinblick auf den Kündigungsschutz eine Gleichstellung von Risikoträgern i. S. d. Institutsvergütungsverordnung mit leitenden Angestellten, die zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern befugt sind, erfolgen. Voraussetzung ist, dass deren jährliche fixe Vergütung das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung (gegenwärtig 208.000 Euro brutto [Ost]/234.000 Euro [West]) übersteigt. Dann soll § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG mit der Maßgabe Anwendung finden, dass der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung bedarf.
Diese angedachte Neuregelung mag für einige ein grundsätzliches Umsteuern im Kündigungsschutz darstellen. Tatsächlich bleibt sie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag nach § 9 KSchG gelten danach unverändert. Ein Auflösungsantrag muss weiterhin im Rahmen eines anhängigen Kündigungsschutzrechtsstreits gestellt werden. Der Arbeitnehmer muss also zunächst immer die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung mittels Kündigungsschutzklage angreifen. Zudem zieht eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses immer eine Abfindung nach sich, die unabhängig von dem eigentlichen Anlass zur Kündigung zugesprochen wird. Die Neuregelung soll außerdem nur auf Risikoträger bedeutender Institute Anwendung finden, die keine Geschäftsführer, Betriebsleiter oder ähnliche leitende Angestellte sind, die zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern befugt sind.
Der Gesetzentwurf „befriedet“ damit einen allenfalls sehr begrenzten Anwendungsbereich. Auch bestehen Bedenken dagegen, dass gesetzlich immer – wie bei leitenden Angestellten i. S. d. KSchG – eine Abfindung bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden soll. Das mag im Einzelfall für ein bestimmtes Bankinstitut eine Erleichterung bedeuten, es ist aber kein nachhaltiger Baustein für eine grundsätzliche Reform des Kündigungsrechts. Ein wichtiges Ziel muss sein, langwierige Arbeitsgerichtsprozesse und damit langjährige Rechtsunsicherheit weitestgehend zu vermeiden, um Arbeit und Beschäftigung sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber kalkulierbar und verlässlich zu machen.
Warum keine generelle “Abfindungsoption”?
Um mehr Rechtssicherheit im Arbeitsrecht zu erreichen, hat die BDA das Model einer Abfindungsoption entwickelt. Schon heute wird eine Vielzahl von Kündigungsschutzprozessen durch einen Vergleich mit einer Abfindungsvereinbarung beendet. Um von vornherein zeit- und kostenintensive Prozesse zu vermeiden, müssen die Parteien rechtssicher und generell vereinbaren können, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Bestandsschutz durch eine Abfindung zu ersetzen. Hierzu muss lediglich eine Ergänzung im Kündigungsrecht vorgenommen werden, ohne dass der geltende Bestandsschutz dadurch grundsätzlich infrage gestellt wird – vielmehr tritt neben ihn ein ergänzendes Instrument.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhalten die Möglichkeit, einen Vertrag mit dem Inhalt zu schließen, dass der Mitarbeiter im Fall einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gegen Zusage einer Abfindung auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet. Dies eröffnet den Arbeitsvertragsparteien eine einfache und praktikable Handlungsoption, die für beide Seiten mehr Rechtssicherheit bietet und gleichzeitig den bestehenden Bestandsschutz unangetastet lässt, wenn die Parteien dies wünschen. Der Schutz der Beschäftigten verringert sich nicht dadurch, dass mehr Rechtssicherheit geschaffen wird. Eine derartige Flexibilisierung des Kündigungsschutzes würde die Wettbewerbssituation verbessern und Rekrutierungsprobleme im europäischen Ausland vermindern. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten selbst entscheiden können, ob sie gegen Verzicht auf Erhebung einer Bestandsschutzklage eine Abfindungszahlung vereinbaren wollen.
Das Modell wirkt optional. Es ist nicht das Ziel, neben dem hohen Bestandsschutz eine alternative Hürde durch einen gesetzlichen Zwang zu einer Abfindungslösung zu setzen. Die Abfertigungslösung, wie sie in Österreich gilt, passt nicht auf das deutsche Modell der Arbeitsbeziehungen. Die österreichische Abfertigung ersetzt gerade nicht eine Abfindung. Sie hat nichts mit der Rechtmäßigkeit der Kündigung zu tun. Die deutlich geringere Klagefreudigkeit liegt dort offenbar eher im Tatsächlichen begründet – wie dem stark kollektiven Einschlag des Kündigungsschutzes und dem Fehlen einer eigenständigen Arbeitsgerichtsbarkeit.
Zusammenfassend: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht einen kleinen Schritt; mutigere Schritte sind notwendig und sollten auch zur Stärkung des Standorts folgen!
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Anmerkung der Redaktion: Die “Contra-Meinung” ist hier abrufbar.
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der “Arbeit und Arbeitsrecht” – Erstveröffentlichung dort in AuA, März 2019, S. 148.