Das Thema
Trotz digitaler Transformation der Arbeitswelt und New Work lassen Gerichtsentscheidungen zu neuen Arbeitsmethoden oft lange auf sich warten. Nach zwei Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte München und Hessen zu Crowdworking, erging nun die erste Entscheidung zur agilen Arbeitsmethode „Scrum“.
Das Arbeitsgericht Lübeck entschied in einem aktuellen Verfahren vom 22. Januar 2020 (4 Ca 2222/19), dass Arbeitnehmer in agilen Projektteams, die nach der „Scrum-Methode“ arbeiten, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses von ihrem Arbeitgeber nach § 109 Abs. 1 S. 3 GewO zwar ein qualifiziertes Arbeitszeugnis verlangen können. Ein bestimmter Zeugniswortlaut einschließlich einer bestimmten Leistungsbewertung steht ihnen jedoch nicht bereits deshalb zu, weil der Arbeitgeber einem anderen Team-Mitglied ein entsprechendes Zeugnis erteilt hat.
Agile Projektteams: Was ist Scrum?
Agile Arbeitsmethoden zeichnen sich grundsätzlich durch eine iterative Herangehensweise aus. Beim Scrum werden in kurzen Arbeitszyklen – sogenannten „Sprints“ – Zwischenprodukte entwickelt und mit den Produktverantwortlichen diskutiert. Auch wenn die Gestaltungsformen vielfältig sind, ist ein Scrum organisatorisch typischerweise in Product Owner, Scrum Master und Entwicklungsteam strukturiert.
- Der Product Owner verantwortet in Abstimmung mit dem Auftraggeber die Konzeption des Produkts. Er legt fest, welche Zwischenziele bis wann erreicht werden sollen.
- Der Scrum Master ist verantwortlich für die Einhaltung organisatorischer Abläufe und Regeln des Scrum. Er unterstützt alle Beteiligten bei der organisatorischen Durchführung ihrer Aufgaben.
- Das Entwicklungsteam besteht i.d.R. aus Mitarbeitern des Auftraggebers und Auftragnehmers sowie externen Mitarbeitern (z.B. Freelancern). Es entwickelt das Produkt in mehreren „Sprints“ in Selbstorganisation.]
Zwischen den einzelnen Akteuren bestehen weder Weisungsbefugnisse noch Hierarchien. Die Sprints werden so lange wiederholt, bis der Product Owner entscheidet, dass das Ziel (i.d.R. ein fertiges Endprodukt) erreicht ist.
Die Ausgangssituation: Gleiches Zeugnis für alle?
Der klagende Arbeitnehmer war in dem Fall, den das Arbeitsgericht Lübeck zu entscheiden hatte, bei der Arbeitgeberin als Testingenieur im Bereich „Product Qualification“ nach der Scrum-Methode beschäftigt. Anstatt konkreter fachlicher Weisungen durch die Arbeitgeberin, fand eine Selbstregulierung und Selbstkontrolle der Arbeitsgruppe statt.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilte die Arbeitgeberin dem Kläger sowie einem weiteren Mitglied des Projektteams ein Arbeitszeugnis. Der Kläger sah sich im Vergleich zu dem Mitarbeiter schlechter bewertet und verlangte die Angleichung seines Zeugnisses. Er vertrat die Auffassung, dass er bereits deshalb Anspruch auf ein gleichlautendes Zeugnis habe, da in einem Scrum-Team die individuelle Arbeitsleistung typischerweise nur eine untergeordnete Rolle spiele und vielmehr kollektive Ziele des gesamten Teams vorrangig seien. Daher seien seine Arbeitsleistungen mindestens ebenso zu bewerten, wie die Leistungen seines Kollegen.
Kein Anspruch auf identische Zeugnisse in agilen Projektteams
Das Arbeitsgericht Lübeck wies die Klage ab. Auch bei Einsatz der agilen Arbeitsmethode Scrum sei die individuelle Leistung messbar und für die Tätigkeitsbeschreibung und Bewertung der Arbeitsleistung in einem Zeugnis allein maßgeblich. Der Einsatz bestimmter moderner Arbeitsmethoden stehe dem nicht entgegen, selbst wenn die verwendete Methode das Gruppenergebnis in den Vordergrund stelle. Die Scrum-Methode steht einer individuellen Leistungsbewertung grundsätzlich nicht entgegen.
In dem konkreten Fall hatte die Klage jedoch bereits keinen Erfolg, da der Kläger nicht substantiiert zu den – aus seiner Sicht vorliegenden – besseren Leistungen vorgetragen hatte. Darüber hinaus könne es nach Auffassung des Gerichts sogar widersprüchlich sein, wenn sich der Kläger einerseits auf identisch ausgeübte und in gleicher Weise zu bewertende Tätigkeiten innerhalb der agilen Arbeitsgruppe beziehe und andererseits verlange, bestimmte in besonderer Weise bewältigte Arbeitsaufgaben als herausgehoben zu kennzeichnen. Das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Das Arbeitsgericht hat die Berufung zugelassen.
Rechtliche Rahmenbedingungen agiler Arbeit sind noch ungeklärt
Agile Arbeitsmethoden werfen immer wieder zahlreiche Fragen auf.
1. Kein Verlust der Arbeitnehmereigenschaft bei fehlenden Weisungen
Problematisch ist, dass sich agile Arbeitsmethoden durch das Fehlen von Weisungen auszeichnen; den Mitarbeitern in agilen Projektteams gerade die für Arbeitnehmer kennzeichnende Weisungsgebundenheit fehlt. § 106 S. 1 GewO statuiert jedoch keine Verpflichtung des Arbeitgebers, von seinem Weisungsrecht auch Gebrauch machen zu müssen. Der Arbeitgeber kann vielmehr auf die Ausübung des (fachlichen) Weisungsrechts bis zum Abschluss eines konkreten agilen Projekts verzichten. Der faktische Verzicht auf das Weisungsrechts führt nach der Rechtsprechung nicht zum Verlust der Arbeitnehmereigenschaft, sofern der Vertrag ausdrücklich als „Arbeitsvertrag“ bezeichnet ist (BAG v. 25.01.2007, 5 AZB 49/06).
2. Weiterhin möglich: Disziplinarische Weisungen
Berechtigt bleibt der Arbeitgeber daneben auch zu disziplinarischen Weisungen, sodass er weiterhin Abmahnungen oder Kündigungen gegenüber Mitarbeitern agiler Projektteams auszusprechen kann. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass dem Arbeitgeber umso weniger Raum für arbeitsrechtliche Sanktionen verbleibt, desto freier die Mitarbeiter in der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit sind.
3. Vorsicht vor Scheinselbsändigkeit!
Im Rahmen neuer Arbeitsformen wie Scrum (ähnlich wie bereits beim Crowdworking), drängt sich die Frage auf, wer selbständig und wer abhängig beschäftigt ist. Ein Scrum kann ausschließlich innerhalb eines Unternehmens mit den dort vorhandenen Mitarbeitern oder aber unternehmensextern, zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer unterschiedlicher Unternehmen, durchgeführt werden.
Wird z.B. ein Freelancer im Entwicklungsteam beschäftigt, ist bereits im ersten Schritt auf die Ausgestaltung des Dienst- oder Werkvertrages zu achten. Wird die Freelancer-Tätigkeit aber darüber hinaus wie ein Beschäftigtenverhältnis gelebt, dann kann schnell eine Scheinselbständigkeit vorliegen.
Ausschlaggebende Kriterien für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit ist die Weisungsunabhängigkeit des Freelancer und die mangelnde Eingliederung in die Betriebsorganisation. Das sollte gerade beim Scrum umsetzbar sein. Da gerade für einen erfolgreichen Scrum eine Weisungsfreiheit zwischen Auftraggeber/Produkt Owner, Auftragnehmer / Scrum Master und Entwicklungsteam entscheidend ist. Daher besteht nur eine geringe Gefahr der Scheinselbständigkeit bei einer konsequenten Umsetzung. Insbesondere der Scrum-Master sollte dafür sorgen, dass der Scrum in der Praxis so durchgeführt wird, dass weder arbeitsrechtliche Weisungen noch Eingliederungen in die Betriebsabläufe beim Auftraggeber oder Auftragnehmer erfolgen.