Das Thema
Die Rechtsprechung gibt Antworten: Mögliche Nachzahlungsansprüche zu Unrecht nicht gezahlten Lohns während eines Kündigungsrechtsstreits können begrenzt werden. Beschäftigte sind zunehmend verpflichtet, eigene und ernsthafte Erwerbsbemühungen zu entfalten, um sich nicht dem Vorwurf böswilligen Unterlassens ausgesetzt zu sehen.
Der Hintergrund
Nach ausgesprochener Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist stellen Unternehmen regelmäßig die Gehaltszahlungen ein. Dies geschieht auch, wenn die oder der Beschäftigte Kündigungsschutzklage erhebt und ist in prozesstaktischer Hinsicht natürlich empfehlenswert. Mit zunehmender Dauer des Kündigungsschutzprozesses wächst jedoch das Risiko, große Teile des Gehaltes nachzahlen zu müssen, sofern das erkennende Gericht die Kündigung als rechtswidrig ansieht. Diese Perspektive ist nicht selten Treiber hoher Abfindungszahlungen. Das BAG und die instanzgerichtliche Rechtsprechung haben nun die Verteidigungsmöglichkeiten für Unternehmen erweitert. Hierzu hatten wir bereits an anderer Stelle berichtet sowie zuletzt in der Zeitschrift ZAU 2023, Seite 79 f. Nachfolgend fasse ich die neue Rechtsprechung zusammen und leite daraus Handlungsempfehlungen für Unternehmen ab.
Annahmeverzugslohn: Die Varianten
Nach einer rechtswidrigen Kündigung sind Unternehmen im Ausgangspunkt verpflichtet, die nicht gezahlte Vergütung samt Verzugszinsen nachzuzahlen. Zur Nachleistung der nicht geleisteten Dienste sind Beschäftigte hingegen nicht verpflichtet (§ 615 Satz 2 BGB). Sie müssen sich jedoch gemäß § 615 Satz 2 BGB den Wert desjenigen anrechnen lassen,
- was sie infolge des Unterbleibens der Dienstleistung ersparen (1. Variante),
- durch anderweitige Verwendung der Dienste erworben (2. Variante) oder
- zu erwerben böswillig Unterlassen haben (3. Variante).
Dass ersparte Aufwendungen, wie etwa Fahrtkosten oder anderweitiger Verdienst im neuen Job anrechenbar sind, ist einleuchtend. Unternehmen können von Beschäftigten Auskunft über beides verlangen. Auf den ersten Blick weniger klar ist die 3. Variante. Lange Zeit war es schwierig bis unmöglich böswillig unterlassenen Zwischenverdienst zu beweisen. Abhilfe hat wiederholt das BAG und jüngst auch das LAG Berlin-Brandenburg geschaffen.
BAG: Unternehmen als Jobvermittler mit flankierendem Auskunftsanspruch
Bereits mit Urteil vom 16. Mai 2000 (9 AZR 203/99) führte das BAG aus, dass es sich um böswilliges Unterlassen handele, wenn der Arbeitnehmer grundlos zumutbare Arbeit ablehne oder vorsätzlich Angebote zumutbarer Arbeit verhindere. Der hypothetische Verdienst werde in diesem Fall angerechnet. Das BAG wandte sich sogar direkt an Unternehmen, indem es vorschlug, gekündigte Arbeitnehmer können über konkrete Stellenangebote informiert werden und dadurch in „Zugzwang“ versetzt werden. Dies veranlasse Arbeitnehmer zu Bewerbungen, um gegebenenfalls die Ansprüche aus Annahmeverzug dann kürzen zu können, wenn der Arbeitnehmer auf diese Mitteilungen hin vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindere – sich also nicht bewerbe.
Flankierend entschied das BAG mit Urteil vom 27. Mai 2020 (5 AZR 387/19), dass Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auch zur Auskunft über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung verpflichtet seien. Die so übermittelten Arbeitsmöglichkeiten müssten durch Beschäftigte wahrgenommen und dürften nicht böswillig vereitelt werden. Mit der Auskunft sollen Arbeitgeber derart unterlassenen Zwischenverdienst aufdecken und auf den Annahmeverzugslohn anrechnen können. Zudem müsse sich der Arbeitnehmer arbeitssuchend melden. Eine gesetzliche Obliegenheit hierfür bestehe zwar nur im Sozialversicherungsrecht, dem Betroffenen könne jedoch arbeitsrechtlich dasjenige zugemutet werden, was das Sozialrecht ohnehin von ihm verlange. Soweit die oder der Betroffene hiergegen verstoße, kürze sich der Annahmeverzugslohnanspruch wegen böswilligen Unterlassens um den hypothetischen Verdienst.
LAG Berlin-Brandenburg: Strenge Anforderungen an eigeninitiative Bewerbungen
Mit Urteil vom 30. September 2022 (6 Sa 280/22) hat das LAG Berlin-Brandenburg die BAG-Rechtsprechung ausgedehnt (manche sagen überdehnt): In gewissem Widerspruch zum Wortlaut von § 615 Satz 2 BGB werden Gekündigte nunmehr zu eigeninitiativen Bewerbungen angehalten, die bestimmte Mindestanforderungen wahren müssen. Im konkreten Fall wurde ein Arbeitnehmer zu Unrecht gekündigt; nach gewonnener Kündigungsschutzklage forderte er sein ausstehendes Gehalt ein. Das Unternehmen verlangte zur Verteidigung zunächst Auskunft über die von der Bundesagentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschläge.
Ob sich die Auskunftspflicht darüber hinaus auch auf eigeninitiative Bemühungen erstrecke, konnte offenbleiben, da der Kläger seine Bewerbungen ohnehin in vollem Umfang offengelegt hatte. Anhand der mitgeteilten Informationen war das Unternehmen nun gefordert, Indizien für die Zumutbarkeit der Jobangebote und sodann für ein etwaiges böswilliges Unterlassen von Bewerbungen, was etwa auch in fehlerhaften Bewerbungen liegen kann, vorzutragen.
Vorliegend genügten die Indizien, die für nicht ordnungsgemäße Bewerbungen und damit böswilliges Unterlassen sprachen. Nach meiner Auffassung hat das LAG recht hohe Anforderungen an ordnungsgemäße Bewerbungen gestellt: Gekündigte müssten sich umfangreich und eigeninitiativ bewerben. Sollten sich potenzielle Arbeitgeber zurückmelden, müssten sie gut erreichbar sein, auch E-Mail-Rückmeldungen müssten beantwortet werden. Sofern Arbeitgeber technische Probleme mit den Bewerbungsunterlagen hätten, müssten die Dateien erneut verschickt werden. Tippfehler im Bewerbungsanschreiben könnten eine fehlerhafte Bewerbung indizieren. Auch Ungenauigkeiten seien zu vermeiden, so dürfe nicht von „beigefügten Zeugnissen“ gesprochen werden, wenn nur ein Zeugnis angehangen ist.
Bestätigung des BAG steht noch aus, aber neue Maßstäbe gelten (erstmal)
Zudem sind die Bewerbungsbemühungen nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu bewerten. Vorliegend hatte der Betroffene ganze 103 Bewerbungen verschickt – dies aber über einen Zeitraum von 29 Monaten, was rechnerisch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche entsprach. Der klagende Arbeitnehmer war in diesem Zeitraum ohne Arbeit, er hätte – so das LAG – im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen entfalten können und müssen. Meiner Auffassung nach ist dies eine durchaus strenge Ansicht. Unklar bleibt insbesondere, wie viele Bewerbungen hätten verfasst werden müssen. Fordert man etwa eine Bewerbung alle zwei Tage, hätte sich der Kläger knapp 300-mal bewerben müssen. Ein gewisser Abschlag wäre wohl wegen hypothetischen Urlaubs zu machen.
Festzuhalten ist, dass das LAG eine Gesamtwürdigung all dieser Aspekte vornimmt und sie kumulativ für die Annahme von böswilligem Unterlassen eines zumutbaren Zwischenverdienstes ausreichen lässt. Ob auch einzelne Aspekte geeignet wären, böswilliges Unterlassen zu begründen, ist zweifelhaft. Insgesamt dehnt das LAG den Wortlaut von § 615 Satz 2 BGB stark aus. Zwar habe ich Zweifel, ob das BAG diese strengen Anforderungen mitgehen wird; solange wir allerdings keine anderslautende Entscheidung aus Erfurt haben, sollten gekündigte Beschäftigte und Unternehmen ihr Handeln an diesen Maßstäben ausrichten.
Handlungsempfehlungen: Unternehmen sollten aktiv(er) werden
Aus alldem lassen sich Handlungsempfehlungen für den Kündigungsschutzprozess und den anschließenden Streit um Annahmeverzugslohn herausdestillieren:
- Unternehmen sollten sich, wie vom BAG vorgeschlagen, als Arbeitsvermittler betätigen und die Beschäftigten so unter „Zugzwang“ setzen. Sie sollten eine Vielzahl passender Stellenausschreibungen in den einschlägigen Bewerbungsportalen raussuchen, diese der oder dem Betroffenen übermitteln und Auskunft über den (Miss-)Erfolg der Bewerbungen verlangen. Sofern sich nicht in ausreichendem Maße ordnungsgemäß beworben wurde, kann der hypothetische Lohn gegen den Annahmeverzugslohn gegengerechnet werden.
- Unternehmen sollten gekündigte Beschäftigte regelmäßig und wiederholt zur Auskunft über getätigte Bewerbungen und über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters auffordern.
- Die übermittelten Bewerbungen sollten sorgfältig auf etwaige (Rechtschreib-)Fehler und Ungenauigkeiten hin überprüft werden.
- Auch sollten Beschäftigte zu eigeninitiativen Bewerbungen aufgefordert werden.
Insgesamt ist es für vermeintlich zu Unrecht Gekündigte nun deutlich schwerer geworden, den Rechtsstreit schlicht auszusitzen und auf steigende Annahmeverzugslohnansprüche zu spekulieren. Vielmehr müssen sie nun selbst aktiv werden. Unternehmen hingegen können ihr finanzielles Risiko durch geschicktes Vorgehen deutlich reduzieren. Entscheidend wird sein, dass Unternehmen sich streng an den in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen orientieren und ihr Vorgehen „gerichtsfest“ dokumentieren. Andernfalls entsteht eine trügerische Sicherheit, die mit einer unwirksamen Kündigung und hohen Gehaltsnachzahlungen quittiert werden kann.