Das Thema
Der Kläger war Student an einer Hochschule. Die beklagte Körperschaft des öffentlichen Rechts schrieb im Mai 2020 ein Förderprogramm mit einer monatlichen Förderung i.H.v. 880 Euro aus. An verschiedenen Einsatzorten der Beklagten sollten dabei Zeiten betrieblicher Praxis absolviert werden. Dafür war eine monatliche Praktikumsvergütung i.H.v. 1.570 Euro vorgesehen. Der Kläger bewarb sich Ende Juli um eine Teilnahme beim Förderprogramm und beantragte drei Tage nach der Bewerbung die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX. Mitte August 2020 fand ein Auswahlgespräch zwischen der Hochschule und dem Kläger statt, in dem er die Beklagte über den gestellten Gleichstellungsantrag informierte. Wenige Tage später erhielt er eine Absage für die Teilnahme am Förderprogramm. Mit Bescheid im September wurde der Gleichstellungsantrag rückwirkend zum 31.07.2020 (und damit vor der Bewerbung) bewilligt.
Gegen die Ablehnung seiner Bewerbung ging der Kläger sodann gerichtlich vor und forderte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aufgrund einer Behinderung nach § 7 Abs. 1 AGG. Nachdem er in den ersten beiden Instanzen unterlegen war, scheiterte auch seine Revision vor dem BAG.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG (Urt. v. 23.11.2023 – 8 AZR 212/22) musste sich im Rahmen der Revision mit zwei rechtlich relevanten Themenkomplexen auseinandersetzen:
1. Ist der Anwendungsbereich des AGG auch für Praktikanten eröffnet?
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGG werden auch ,,die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten‘‘ vom Anwendungsbereich des AGG erfasst. Deshalb fallen – so das BAG unter Bezugnahme auf die weite Auslegung der europäischen Rechtsprechung – unter den Begriff der ,,Berufsbildung‘‘ auch Praktikanten, sofern sie eingestellt werden um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben.
2. Muss die Schwerbehindertenvertretung im Bewerbungsverfahren beteiligt werden, wenn der Gleichstellungsantrag zwar gestellt, aber noch nicht darüber entschieden wurde?
Nach der Beweislastregel des § 22 AGG hat grundsätzlich diejenige Partei, die sich auf eine Benachteiligung beruft, entsprechende Indizien darzulegen und zu beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Kann ein klagender Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass der Arbeitgeber gegen Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen nach den §§ 164 ff. SGB IX verstoßen hat, folgt daraus im Prozess nach der Rechtsprechung des BAG regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Zu diesen Verfahrenspflichten gehört auch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach §§ 164 Abs. 1, 178 Abs. 2 SGB IX in Form der Unterrichtung und Anhörung. Im vorliegenden Fall war über die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen durch die Behörden noch nicht entschieden worden. Der klagende Bewerber hatte den bereits gestellten Antrag aber gegenüber der beklagten (potentiellen) Arbeitgeberin offenbart. Es stellte sich also die Frage, ob potentielle Arbeitgeber in solchen Fällen bereits vorsorglich die Beteiligungspflichten des SGB IX zu erfüllen haben. Der siebte Senat des BAG hatte dies bereits 2020 im Zusammenhang mit der Umsetzung eines Arbeitnehmers verneint (Beschl. v. 22.01.2020 – 7 ABR 18/18). Dem schloss sich nunmehr der achte Senat an. Die Entscheidung begründete er u.a. damit, dass der Zweck der Beteiligungsvorschriften zur Förderung der Einstellung schwerbehinderter Menschen nur dann erfüllt werden könne, wenn deren Schwerbehinderteneigenschaft bereits im Bewerbungsverfahren feststehe.
Fazit und Einordnung
Begrüßenswert ist die konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung zu einer etwaigen vorsorglichen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei beantragter, aber noch ausstehender Entscheidung über die Gleichstellung. Da eine vorsorgliche Beteiligung nunmehr sowohl bei einer Umsetzung als auch im Bewerbungsverfahren nicht erforderlich ist, dürfte dies auch für andere Maßnahmen wie bspw. Kündigungen gelten. Zur Begründung weist das BAG insofern auch auf die differenzierte Regelung zum Kündigungsschutz nach § 173 Abs. 3 SGB IX hin. Diese lässt zwar eine Rückwirkung zu. Das gilt ausdrücklich aber nur für die Kündigungsschutzvorschriften des SGB IX.
Im Einklang mit vielen anderen (arbeitsrechtlichen) Schutzgesetzen geht das BAG weiterhin davon aus, dass Praktikanten grundsätzlich vom Anwendungsbereich des AGG erfasst werden. Ihnen werden damit die Antidiskriminierungsrechte des AGG (bspw. Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 AGG und Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüche aus § 15 AGG) zuteil. Bereits der Wortlaut aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGG beschränkt den persönlichen Anwendungsbereich des AGG nicht auf Personen in einer ,,Berufsausbildung‘‘. Vielmehr spricht dieser von den zur ,,Berufsbildung‘‘ Beschäftigten. Damit werden zunächst all diejenigen erfasst, die ein freiwilliges Praktikum absolvieren. Anderes könnte für diejenigen gelten, die ein Pflichtpraktikum im Rahmen ihres Studiums absolvieren. Eine Entscheidung darüber, ob der persönliche Anwendungsbereich auch für Pflichtpraktikanten eröffnet ist, musste das BAG nicht treffen. In das Studium integrierte Pflichtpraktika unterfallen jedenfalls regelmäßig nicht dem BBiG (vgl. BAG, Urt. v. 18.11.2008 – 3 AZR 192/07) oder anderen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften wie dem BUrlG (§§ 3, 10 Abs. 2, 26 BBiG, s. a. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.03.2021 – 8 Sa 206/20). Gleiches gilt für die Anwendbarkeit des MiLoG (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG). Es erscheint aber jedenfalls dem Grunde nach sinnvoll, auch Pflichtpraktikanten in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG einzubeziehen. Für die Frage der Gewährung des Mindestlohns mag der Ausschluss von Pflichtpraktikanten vor dem Hintergrund erschwerter Praktikumszugänge bei verpflichtender Vergütung nachzuvollziehen sein. Das AGG sieht ausdrückliche Differenzierungen zwischen verschiedenen Praktikumsformen allerdings gerade nicht vor – anders als das MiLoG. Vielmehr soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein effektiver bundeseinheitlicher Schutz vor Diskriminierungen ohne Umgehungsmöglichkeiten gewährleistet werden (BT-Drs. 16/1780, Seite 28 f.).