Das Thema
Die Rechtsprechung des BAG zu der Frage, inwieweit Leiharbeitnehmer im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte zu berücksichtigen sind, ist weiterhin in Bewegung. Schon längst haben Leiharbeitnehmer nicht mehr nur das alleinige Wahlrecht gem. § 7 S. 2 BetrVG im Rahmen der Betriebsratswahl inne. Ihnen wird nunmehr auch im Rahmen der Schwellenwertberechnung, insbesondere durch verschiedene Entscheidungen des BAG aus der jüngeren Vergangenheit, immer größere Bedeutung zuteil. Der durch die sog. „Zwei-Komponenten-Lehre“ geprägte betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff wurde durch das BAG für die Fälle des drittbezogenen Personaleinsatzes aufgegeben (BAG v. 13.03.2013 – 7 ABR 69/11). Ging man zunächst davon aus, dass Arbeitnehmer im Sinne des BetrVG nur sein kann, wer vertraglich mit dem Betriebsinhaber verbunden und in dessen Betrieb eingegliedert ist, hielt man an dieser Einordnung für Leiharbeitnehmer nicht länger fest und berücksichtigt diese nunmehr im Rahmen der in § 9 S. 1 BetrVG für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Schwellenwerte.
Der aktuelle Fall
Im vom BAG (18.01.2017 – 7 ABR 60/15) zu entscheidenden Fall stritten die Parteien über die Anzahl der nach § 38 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Zum Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung des BR beschäftigte die Arbeitgeberin 488 Stammarbeitnehmer und 22 Leiharbeitnehmer. Der BR vertrat die Auffassung, dass daher 2 Betriebsratsmitglieder gem. § 38 Abs. 1 S.1 BetrVG freizustellen seien. Als die Arbeitgeberin der Freistellung des 2. Mitglieds nicht zustimmte, beantragte der BR festzustellen, dass ein zweites Mitglied des BR freizustellen sei. Nachdem das ArbG den Anträgen des BR stattgab und das LAG die dagegen gerichtete Beschwerde zurückwies, blieb auch die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin beim BAG weitgehend erfolglos.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG folgte der Auffassung des BR und bestätigte, dass dieser Anspruch auf Freistellung von zwei Mitgliedern nach § 38 Abs. 1 S. 1 BetrVG habe. Da § 38 BetrVG nicht selbst bestimme, wer Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift sei, sei der allgemeine betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff des § 5 I 1 BetrVG zugrunde zu legen. Nachdem der Senat die „Zwei-Komponenten-Lehre“ für die Fälle des drittbezogenen Personaleinsatzes aufgegeben habe, halte er auch nicht weiter an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, Leiharbeitnehmer seien bei der Feststellung der Belegschaftsstärke im Entleiherbetrieb nach § 38 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Aus der normzweckorientierten Auslegung der Vorschrift folge vielmehr, dass Leiharbeitnehmer bei der Freistellungsstaffel mitzurechnen seien, wenn sie zu dem regelmäßigen Personalbestand des Betriebs zählten. Anderes könne auch dem Wortlaut nicht entnommen werden. Zu den „in der Regel“ in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer könnten auch Leiharbeitnehmer zählen. Für die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer spreche Sinn und Zweck der Schwellenwerte in § 38 Abs. 1 BetrVG. Diese dienten der sachgerechten Erfüllung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben des BR, deren Umfang von der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer abhänge. Der Arbeitsaufwand des BR werde dann nicht nur durch die Stammbelegschaft, sondern auch durch die Leiharbeitnehmer bestimmt, für die der BR die Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten (§ 99 BetrVG) und auch in sozialen Angelegenheiten (§ 87 BetrVG) wahrzunehmen habe. Auch darüber hinaus sei der BR in erheblichem Umfang für die Leiharbeitnehmer und deren Angelegenheiten zuständig. Eine angemessene Interessenvertretung der Belegschaft durch den BR wäre daher gefährdet, wenn die Anzahl der regelmäßig im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer keine Berücksichtigung fände.
Die Folgen der Entscheidung für die Praxis
Die Entscheidung des BAG ist nur konsequent. Die Abkehr von der strengen Zwei-Komponenten-Lehre im Rahmen des drittbezogenen Personaleinsatzes und die Anwendung der normzweckorientierten Auslegung ließen im zu entscheidenden Fall kein anderes Ergebnis erwarten, als die Bestätigung der Vorinstanzen. Damit sind in der Zukunft nicht nur Stamm-, sondern auch Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten des § 38 BetrVG zu berücksichtigen.
Das vom BAG gefundene Ergebnis hat nunmehr ohnehin Eingang in die Gesetzgebung gefunden. Mit Änderung des AÜG im Rahmen des „Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ zum 01.04.2017 lautet dessen § 14 Abs. 2 S. 4 nunmehr:
Soweit Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes mit Ausnahme des § 112a, des Europäische Betriebsräte-Gesetzes oder der auf Grund der jeweiligen Gesetze erlassenen Wahlordnungen eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern voraussetzen, sind Leiharbeitnehmer auch im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen.
Damit wird jetzt auch gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer mit Ausnahme des § 112a des BetrVG bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten des BetrVG, EBRG und der Wahlordnungen auch im Entleiherbetrieb grundsätzlich mitzählen.
Zu beachten ist dabei jedoch, dass die gesetzliche Regelung – anders als das BAG – bei der Frage des Mitzählens der Leiharbeitnehmer keine für jeden Schwellenwert gesonderte Prüfung in Bezug auf dessen Zwecksetzung verlangt. Die normzweckorientierten Auslegung kommt damit nicht zur Anwendung, sodass nach dem Wortlaut Leiharbeitnehmer generell und unabhängig von der konkreten Zwecksetzung des jeweiligen Schwellenwerts zu berücksichtigen sind. Verlangt der Schwellenwert hingegen noch die Erfüllung weiterer Voraussetzungen („in der Regel beschäftigt“ – wie im vorliegenden Fall oder „Wählbarkeit“), so muss der Leiharbeitnehmer diese Voraussetzungen hingegen auch berücksichtigen.
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HINWEIS: Zur Frage der angemessenen Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder verweisen wir auf den einschlägigen Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Kliemt.