Das Thema
Das Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China („ZGB“) ist am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Es ersetzt eine Reihe von Einzelgesetzen wie z.B. Vertragsgesetz, Sachenrechtsgesetz und Deliktgesetz. Bestimmte Vorschriften des neuen ZGB könnten auch auf Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Nachfolgend die Zusammenfassung zu den wichtigsten Vorschriften.
ZGB vs. Arbeitsvertragsgesetz
Gemäß § 92 des Gesetzes über die Gesetzgebung der Volksrepublik China gilt folgendes: Bei Widerspruch zwischen Sonderrechtsvorschriften und allgemeinen Rechtsvorschriften, gelten – wenn beide Rechtsvorschriften von demselben gesetzgebenden Organ erlassen wurden – die Sonderrechtsvorschriften. Bei Widerspruch zwischen neu erlassenen Rechtsvorschriften und alten, bereits zuvor bestandenen Rechtsvorschriften, gelten die neuen Rechtsvorschriften.
In Bezug auf Arbeitsverhältnisse wird das ZGB grundsätzlich als ein allgemeines Gesetz und neues Gesetz angesehen, während das Arbeitsvertragsgesetz als ein Sondergesetz und altes Gesetz angesehen wird. Die Rechtsvorschriften des ZGB wurden jedoch nicht komplett neu geschaffen, sondern erfassen eine Vielzahl von bereits bestehenden Rechtsvorschriften und gerichtlichen Auslegungen. Daher muss das anwendbare Recht für jede Rechtsvorschrift stets einzeln in Bezug auf die spezifische Rechtsfrage und die konkreten Umstände bestimmt werden.
Minderjährige Arbeitnehmer
Gemäß §§ 18, 19 und 145 ZGB muss die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit einem minderjährigen Arbeitnehmer (z. B. einem „jungen Talent“), der mindestens sechzehn, aber noch keine achtzehn Jahre alt ist und dessen Haupteinkommensquelle nicht sein eigenes Arbeitseinkommen ist, von seinem gesetzlichen Vertreter (z. B. den Eltern) entweder vertreten, bewilligt oder genehmigt werden. Andernfalls könnte das abgeschlossene Arbeitsverhältnis aufgrund der eingeschränkten Geschäftsfähigkeit des minderjährigen Arbeitnehmers unwirksam sein.
Beendigung des Arbeitsvertrages aufgrund der vorzeitigen Auflösung des Arbeitgebers
Gemäß § 44 Nr. 5 des Arbeitsvertragsgesetzes endet ein Arbeitsvertrag durch den Beschluss des Arbeitgebers über dessen vorzeitige Auflösung. In der Praxis haben die Gerichte bisher unterschiedlich über den konkreten Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitgebers und der damit einhergehenden Beendigung des Arbeitsvertrages geurteilt: Die Urteile stellten teilweise auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Auflösung, auf den Zeitpunkt der Bestellung des Liquidators oder sogar auf den Zeitpunkt der Lösung des Arbeitgebers vom Register ab.
Zur Klärung dieser Frage könnten nun §§ 69 Nr. 2 und 106 Nr. 2 ZGB herangezogen werden. Gemäß beiden Bestimmungen wird eine juristische Person (z.B. eine chinesische GmbH) aufgelöst, wenn ihr oberstes Entscheidungsorgan den Auflösungsbeschluss fasst. Eine Organisation ohne eigene Rechtspersönlichkeit (z.B. eine Partnerschaft) wird aufgelöst, wenn ihre Investoren oder Gründer den Auflösungsbeschluss fassen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Auflösung des Arbeitgebers sollte daher mit dem Auflösungsbeschluss erfolgen und nicht mit der Bestellung des Liquidators oder mit der Löschung des Arbeitgebers vom Register. Zu Beweiszwecken sollte dem betroffenen Arbeitnehmer jedoch ein schriftliches Beendigungsschreiben ausgestellt werden, in dem das Beendigungsdatum, die Beendigungsgründe und die Schritte vor und nach der Beendigung (z.B. Beurlaubung, Arbeitsübergabe, Rückgabe der Firmengegenstände, Geheimhaltung etc.) angegeben sind.
Scheingeschäfte sind nichtig
In der Praxis gab es Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Mitarbeiter veranlasste, Scheinarbeitsverträge mit lokalen Personalserviceagenturen zu unterzeichnen, so dass ihre Sozialversicherungsbeiträge an dem Ort abgeführt werden können, an dem sie arbeiten und nicht dort, wo ihr tatsächlicher Arbeitgeber registriert ist. Gerade auch zur Beantragung von Arbeitsvisa und -genehmigungen schlossen einige chinesische Gastgeber-Unternehmen Scheinarbeitsverträge mit entsandten ausländischen Mitarbeitern ab, obwohl diese in Wirklichkeit von den ausländischen Unternehmen in ihrer Heimat angestellt waren.
Gemäß § 146 ZGB gelten Scheingeschäfte als nichtig. Die oben genannten Maßnahmen würden, wenn sie aus arbeitsrechtlicher Sicht als Scheingeschäft angesehen werden, nicht nur unwirksam sein, sondern könnten auch zu weiteren zivil-, verwaltungs- und/oder sogar strafrechtlichen Haftungen der beteiligten Parteien führen.
Verjährungsbestimmungen
Gemäß §§ 196 Nr. 1 und 4 sowie 995 Satz 2 ZGB verjährt das Recht des Opfers (z.B. des Mitarbeiters) im Falle der Verletzung des Persönlichkeitsrechts (z.B. der Privatsphäre und der persönlichen Daten der Mitarbeiter) vom Arbeitgeber die Unterlassung der Verletzung, die Beseitigung der Störung, die Beseitigung der Gefahr und der Folgen, die Wiederherstellung des Ansehens sowie eine Entschuldigung zu verlangen, nicht.
Darüber hinaus sind die gesetzlichen Verjährungsfristen (einschließlich der Verjährungsfrist für die Einleitung des Schiedsverfahrens über arbeitsrechtliche Streitigkeiten) gemäß §§ 197 und 198 ZGB zwingende Bestimmungen und unabdingbar. Sie können z.B. nicht durch private Vereinbarung verkürzt oder verlängert werden. Ein vorheriger Verzicht auf die Inanspruchnahme der Verjährungsfrist (z. B. durch einen Arbeitnehmer) ist unwirksam.
Verträge vom Arbeitgeber als Formklauseln (also AGB)
§ 496, 497, 498 und 506 ZGB regeln die Definition von Formklauseln, die Hinweis- und Erklärungspflichten des Verwenders sowie die Unwirksamkeit und Auslegung von Formklauseln.
Verwendet ein Arbeitgeber vorformulierte Arbeitsverträge, Vertraulichkeitsvereinbarungen, Ausbildungs- und Dienstzeitvereinbarungen, Wettbewerbsverbotsvereinbarungen, Diensterfindungsvereinbarungen, Vereinbarungen über Änderungen von Arbeitsverträgen und einvernehmliche Aufhebungsverträge, die zur wiederholten Verwendung gedacht sind, ohne (substantielle) Rücksprache bzw. Verhandlung mit den Arbeitnehmern, so können solche Verträge und Klauseln als Formklauseln betrachtet werden.
In einem solchen Fall sollte der Arbeitgeber u.a. seine gesetzliche Pflicht erfüllen, die Arbeitnehmer auf die Klausel hinzuweisen, welche ihre Rechte und Interessen erheblich beeinträchtigen können und – wenn von den Arbeitnehmern verlangt – diese Klauseln auch erläutern. Andernfalls können sich Arbeitnehmer darauf berufen, dass solche Klauseln nicht Bestandteil des jeweiligen Vertrages geworden sind. Sie müssen nicht mehr, wie in der Vergangenheit, ein Gericht oder ein Schiedsgericht anrufen, um die Anfechtung solcher Klauseln zu erwirken.
Rechtzeitige Ausübung des Kündigungsrechts
Gemäß § 564 Abs. 2 ZGB erlischt das Kündigungsrecht/Rücktrittsrecht des Berechtigten, wenn der Berechtigte dieses Recht nicht innerhalb eines Jahres, nachdem er den Kündigungs- oder Rücktrittsgrund gekannt hat oder hätte kennen müssen, ausübt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn eine anderweitige einschlägige gesetzliche Regelung oder private Vereinbarung greift. Das Kündigungsrecht/Rücktrittsrecht erlischt auch dann, wenn der Berechtigte dieses Recht nicht innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem er von der anderen Partei dazu aufgefordert wurde, ausübt.
Während es bisher keine spezielle arbeitsrechtliche Regelung zur Frist für die Ausübung des Kündigungsrechts gab, könnte für die Kündigung von Arbeitsverträgen auf die oben genannte Frist des ZGB zurückgegriffen werden. In der Praxis gilt auch in Bezug auf Arbeitsverhältnisse der Grundsatz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Jede Pflichtverletzung ist sorgfältig zu dokumentieren und ggf. auch gerügt werden. Sollte eine Pflichtverletzung eine Kündigung rechtfertigen können und eine Kündigung auch gewünscht sein, sollte das Kündigungsrecht rechtzeitig ausgeübt werden, um ein Erlöschen / Verwirkung zu vermeiden und nicht den Eindruck einer stillschweigenden Zustimmung, Genehmigung oder gar eines Verzichts zu erwecken.
Schutz der Persönlichkeitsrechte
Gemäß Teil IV des ZGB (§§ 989 ff.) sollten Arbeitgeber in der Praxis besonders darauf achten, dass die Rechte auf Leben, Körper, Gesundheit, Name, Bildnis, Ruf, Ehre, Privatsphäre und persönliche Informationen der Arbeitnehmer bei der Erfüllung von Arbeitsverträgen nicht verletzt werden. Die entsprechenden Maßnahmen des Arbeitgebers müssen rechtmäßig, gerechtfertigt und notwendig sein. Ihr Zweck, ihre Vorgehensweise und ihr Umfang sind transparent zu halten. Eine schriftliche Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters zu den relevanten Maßnahmen sollte entweder durch individuelle Einzelvereinbarungen, Arbeitsverträge oder zumindest durch gültige betriebliche Regelungen wie Mitarbeiterhandbücher, die für die betroffenen Mitarbeiter gelten, eingeholt werden.
Haftungen des Arbeitgebers für seinen Arbeitnehmer
Verursacht ein Arbeitnehmer bei der Ausübung seiner Arbeitspflicht einen Schaden bei einem anderen, so haftet der Arbeitgeber gemäß § 1191 ZGB anstelle des Arbeitnehmers. Er kann (nur) den Arbeitnehmer in Regress nehmen, der vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.
Ob diese Regressbeschränkung auch für Arbeitnehmer gelten soll, die als gesetzlicher Vertreter oder sonstiger Vertreter des Arbeitgebers arbeiten, ist unklar. Die einschlägigen Bestimmungen des ZGB bzgl. gesetzlichen Vertreters oder sonstigen Vertreters (z.B. §§ 62, 164 und 170) sehen eine solche Beschränkung nicht ausdrücklich vor.