Das Thema
Wie wir mit fortschreitender Digitalisierung unsere Arbeitszeit gestalten, wird derzeit kontrovers diskutiert. Das Weißbuch Arbeiten 4.0 lässt schon länger erahnen, dass das Thema „Arbeitszeit“ einen zentralen Punkt der Digitalisierungsdebatte bildet.
Der mit der Digitalisierung fortschreitende Wandel zwingt Unternehmen zu neuen Arbeitszeitmodellen – die „Experimentierräume“ zum Arbeiten 4.0 sind nur ein Beispiel dafür. „Arbeiten 4.0“ verspricht dabei fast paradiesische Zustände, wonach Familie, Beruf, Freizeit und Privatleben mit den Anforderungen an ständige Erreichbarkeit und zunehmender Vernetzung in Einklang zu bringen ist. Fakt ist: Technisch ist es in immer mehr Bereichen möglich, zeitlich und örtlich völlig frei zu arbeiten. Auch fordern Mitarbeiter verstärkt Arbeitszeitflexibilität ein. Nach einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom wünschen sich in vier von fünf Unternehmen die Mitarbeiter flexible Arbeitsgestaltungen wie Homeoffice, Familienzeit und Sabbaticals oder auch Pflegezeiten für Familienangehörige.
Haftungsrisiko Arbeitszeitverstoß
Wie sieht heute die Rechtslage hinsichtlich der Arbeitszeit aus? Ungeachtet der technischen Möglichkeiten muss die Geschäftsführung jedes Unternehmens penibel auf die Einhaltung des Arbeitszeitrechts achten. Schon längst sind Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz kein Kavaliersdelikt. Wer in diesem Bereich auf Risiko setzt, riskiert ein Bußgeld von bis zu 15.000 Euro oder auch Freiheitsstrafen – vom weiteren Folgen (Gewinnabschöpfung, Eintragungen in Unternehmensregistern u.s.w.) und Reputationsverlust ganz zu schweigen.
Damit der Digitalisierung insbesondere die Schnelligkeit der Interaktionen zunimmt, steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz zu begehen. Die Bedeutung der Arbeitszeit-Compliance wird daher zunehmen – im japanischen Raum nimmt sie bereits jetzt eine vergleichsweise höhere Stellung ein.
Warum das Arbeitszeitgesetz nicht mehr zeitgemäß ist
In der neuen Arbeitswelt kommt das alte Arbeitszeitgesetz an seine Grenzen. Wie schnell ein Konflikt mit dem Arbeitszeitrecht drohen kann, zeigt sich, wenn man sich die Grundlagen des Arbeitszeitgesetzes ansieht und diese mit der Lebenswirklichkeit vergleicht.
Vereinfacht lässt sich das deutsche Arbeitszeitrecht in drei Punkten zusammenfassen: „Maximale Höchstarbeitszeit von zehn Stunden!“, „Keine Sonntagsarbeit!“ und „Zwingende Elf-Stunden-Pause nach Arbeitsende!“. Natürlich gibt es hierzu genauso Ausnahmen, wie weitere zu beachtende tarifliche und betriebliche Regelungen und flankierende Schutzgesetze.
Der Wunsch eines Mitarbeiters, ab 12 Uhr nachmittags lieber Freizeit zu genießen und abends zwischen 20 und 24 Uhr weiter zu arbeiten, steht jedoch wegen der Elf-Stundenpausenpflicht in Gesetzeswiderspruch, wenn der Mitarbeiter am nächsten Tag an einer Besprechung um 9 Uhr teilnehmen soll. Bei „Digital Natives“ sorgen diese Regeln des Öfteren für Erstaunen, ja bisweilen werden die gesetzlichen Schutzregeln als Einschränkung empfunden. Der Blick aufs IPhone, um sonntags schnell den neusten Stand im internationalen Scrum-Projekt zu checken, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht möglich. Hier bedarf es Training, Aufklärung und kluger Instruktionen, damit Verstöße vermieden werden, ohne dass es zu Demotivation oder gar Gefährdungen von Projekten kommt.
Arbeitszeit und Digitalisierung: Analyse und Anpassung mit Augenmaß
Was sollten Unternehmen im digitalen Wandel beachten? Die Digitalisierung führt dazu, dass sich Unternehmen und Personalabteilungen verstärkt mit der Frage der Arbeitszeit-Compliance befassen müssen. Hierbei gilt es, analytisch voranzugehen und mit Augenmaß Anpassungsbedarf zu eruieren. Arbeitszeitmodelle hängen mit der Unternehmenskultur zusammen – meist ist der hinter der rechtlichen Dimension stehende Change-Prozess wesentlich aufwendiger umzusetzen. Folgende Fragestellungen werden jedoch zu klären sein:
- In welchen Bereichen des Unternehmens kann mit klassischen Arbeitszeitmodellen, wie z.B. Schichtarbeit, weiter gearbeitet werden? In zahlreichen Bereichen wird auch die Digitalisierung nicht zur „Neuerfindung“ des Arbeitszeitrechts führen.
- In welchen Bereichen des Unternehmens kann mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, wie z.B. voller oder teilweiser Arbeitszeitsouveränität, Gleitzeitkonten oder Jahreskonten, gearbeitet werden? Wo müssen Kernzeiten definiert werden? Hier sollte das Risiko der mit der Arbeitszeitsouveränität einhergehenden Aufgabe der Kontrolle sorgfältig abgewogen werden.
- Wie wird die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitshöchstzeiten im Unternehmen kontrolliert? Mit Blick auf die Haftung des Geschäftsführers kann eine Delegation von Unternehmerpflichten in diesem Bereich geboten sein.
- Wo liegen Synergien? Beispielsweise kann eine Veränderung in der Anwesenheitskultur zu Einsparungen beim Vorhalten von Büroräumen führen.
Vereinheitlichung von Arbeitszeitregeln mit Hilfe der Arbeitszeitrichtlinie?
Vor dem Hintergrund des sich so ergebenden Grundbildes ist zu untersuchen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen es im Unternehmen gibt und wie die bestehenden Regularien den neuen Bedürfnissen angepasst werden können. Je nach Unternehmen und Arbeitsprozessen können Arbeitszeitregeln sogar europaweit mit Blick auf den Grundgedanken der Arbeitszeitrichtlinie vereinheitlicht werden. Die Digitalisierung zwingt damit nicht nur zur technischen Investition, sondern auch zur Überdenkung tradierter Arbeitszeitmodelle. Wie bei fast jeder sozial-kultureller Neuerung ist vorausschauende Beratung, die den unternehmerischen Zielen folgt, angebracht.
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