Das Thema
Die rechtskonforme Vergütung (teil-)freigestellter Betriebsratsmitglieder ist und bleibt – auch angesichts diesbezüglicher Gesetzesänderungen (vgl. dazu die EFAR-News „Novellierung der Betriebsratsvergütung einstimmig beschlossen“ und „Bundestag: Mehr Rechtssicherheit bei der Bezahlung von Betriebsräten“) – eine echte „Daueraufgabe“ der Unternehmen. Sie betrifft nicht nur die besonders öffentlichkeitswirksamen Konstellationen: So soll es etwa im Falle des Volkswagen-Konzerns aktuellen Berichten zufolge derzeit rund 85 strittige Fälle in dem Zusammenhang geben. Dabei kommt das gesetzliche Rahmenwerk (insbesondere § 37 Abs. 2-4 BetrVG) auf den ersten Blick „übersichtlich“ daher. Es wird von intuitiv einleuchtenden Leitlinien wie dem „Ehrenamts- und Lohnausfallprinzip“ geprägt. Doch die Regelung entpuppt sich im Detail, gerade in der Umsetzung durch den Arbeitgeber, als fehleranfällig und konfliktträchtig.
Die beiden Entscheidungen des BAG betrafen jeweils insbesondere die Rechtsfrage, ob und inwieweit bestimmte in der Vergangenheit gewährte Geld- und/oder Sachleistungen Betriebsratsmitgliedern auch während einer (teilweisen oder vollständigen) Freistellung von der beruflichen Tätigkeit zustehen. Wenngleich der 7. Senat gewisse Pflöcke eingeschlagen hat, die den Beteiligten helfen können, drohenden Konflikten proaktiv vorzubeugen, wird das Thema Betriebsratsvergütung, ohne allzu pessimistisch anmuten zu wollen, auch in Zukunft ein brisantes Konfliktfeld sein, auf dem sich die insoweit widerstreitenden Interessen von Unternehmen und Betriebsratsmitglied offenbaren werden.
Rechtlicher Rahmen
Das Gesetz ist auf den ersten Blick unmissverständlich: Das Betriebsratsamt ist ein Ehrenamt, das die Mitglieder unentgeltlich zu führen haben (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Im Zusammenhang mit § 78 Satz 2 und 3 BetrVG, wonach weder Benachteiligungen noch Begünstigungen aufgrund der Tätigkeit als Betriebsrat zulässig sind, ergibt sich aber, dass es allein damit nicht sein Bewenden haben kann. Die ehrenamtliche Tätigkeit führt nämlich zwangsläufig dazu, dass Zeiten, die eigentlich für arbeitsvertraglich geschuldeten Dienste (und etwaige weitere Karriereschritte) zur Verfügung stehen würden, anderweitig genutzt werden. Es drohen daher strukturelle Entgeltbenachteiligungen, denen das Gesetz in den Folgeabsätzen des § 37 (insb. Abs. 2-4) BetrVG differenziert begegnet.
Während Betriebsratsmitglieder nach dem gesetzlichen Regelfall ohne Minderung des Arbeitsentgelts von ihrer beruflichen Tätigkeit zu befreien sind, wenn und soweit es nach dem Umfang und der Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Betriebsratsaufgaben erforderlich ist (§ 37 Abs. 2 BetrVG), betreffen viele Fälle in der Rechtsprechung Konstellationen, in denen Mitglieder des Gremiums „von vornherein“ vollständig oder teilweise von der Arbeit freigestellt werden (§ 38 Abs. 1 BetrVG). Auf das soeben erwähnte Erfordernis der betrieblichen Erforderlichkeit kommt es dann im Einzelfall nicht an; sie wird gesetzlich unterstellt. Es greift dann ohne Weiteres das „Lohnausfallprinzip“, das den Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds absichert. Danach ist eine hypothetische Beurteilung vorzunehmen, welches Arbeitsentgelt es ohne die Freistellung verdient hätte, wenn es seiner vertraglichen Arbeitsverpflichtung „regulär“ nachgekommen wäre. Eben diese hypothetische Beurteilung stand auch im Mittelpunkt der beiden BAG-Entscheidungen.
Sachverhalte der BAG-Entscheidungen
Die „jüngere“ der beiden Entscheidungen des BAG vom 27.11.2024 (7 AZR 291/23), deren Gründe erst kürzlich veröffentlich wurden, betraf im Ausgangspunkt betriebliche Regelungen zum „Haustrunk“: Das beklagte Unternehmen, ein Getränkehersteller mit mehreren Produktionsbetrieben in Deutschland, gewährte allen Mitarbeitern auf Grundlage einer Gesamtbetriebsvereinbarung kostenfreien „Freitrunk“, d.h. den damit verbundenen Vorortverzehr von Erfrischungsgetränken. Jedem vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter standen dafür jährlich 376 Getränkemarken zur Verfügung. Außendienstmitarbeiter erhielten darüber hinaus pro Quartal 90 Getränkemarken zur sogenannten „zusätzlichen Unterwegsversorgung“. Der Kläger, der seit 2018 vollständig freigestelltes Mitglied des Betriebsrats war, erhielt seitdem das bis dahin gewährte zusätzliche Guthaben nicht mehr. Er verlangte nunmehr gerichtlich für die ersten drei Quartale des Jahres 2021 die Herausgabe von 270 Getränkemarken. Er sah diese als (weiterhin) geschuldete Vergütung an. Die Beklagte verweigerte dies mit der Begründung, die Getränkemarken seien Aufwendungsersatz und würden wegen Wegfalls der Außendiensttätigkeit nicht mehr benötigt. Während das ArbG Köln die Klage abwies, gab das LAG Köln ihr statt.
Die „ältere“ Entscheidung des BAG vom 28.08.2024 (7 AZR 197/23) betraf die in der Praxis im Vergleich deutlich häufiger anzutreffenden und auch wirtschaftlich relevanteren Zahlungen einer Wechselschichtzulage, Zuschlägen für Nacht- und Sonntagsarbeit sowie (zusätzlicher) Vergütung für Rufbereitschaft. Der Kläger war seit 2013 als Notfallsanitäter beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt und ab März 2020 zunächst teilweise, ab Juni 2022 vollständig freigestellt. Vor der Freistellung arbeitete er im Wechselschichtdienst und erhielt entsprechende Zulagen und Zuschläge. Nach der Freistellung übte er, ohne dass die Parteien hierzu eine ausdrückliche Regelung getroffen hätten, seine Betriebsratstätigkeit zu regulären Bürozeiten (ca. 8 Uhr bis 17 Uhr) aus, woraufhin die Beklagte die an die Wechselschicht anknüpfenden Zahlungen einstellte. Der Kläger forderte die Fortzahlung mit der Begründung, er hätte die Leistungen ohne Freistellung weiterhin erhalten. Das Unternehmen lehnte die Zahlung mit der Begründung ab, der Arbeitnehmer habe mit Duldung des Arbeitgebers seine Arbeitszeiten von der Wechselschicht heraus in die Tagschicht verlegt. Eine Weitergewährung der Leistungen stelle eine unzulässige Begünstigung dar. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
Einordnung und Würdigung der Entscheidungen
Das BAG entschied in beiden Fällen zugunsten des jeweiligen Betriebsratsmitglieds und bejahte einen Vergütungsanspruch. Die nach der ständigen Rechtsprechung des BAG vorzunehmende hypothetische Beurteilung (s.o.) solle gerade die Bereitschaft des Beschäftigten zur Übernahme eines Betriebsratsamts fördern, indem es ihm die Befürchtung nimmt, Einkommenseinbußen durch die (zeitintensive) Wahrnehmung eines Ehrenamts zu erleiden. Dieses Ziel lasse sich nur erreichen, wenn der Arbeitnehmer weiterhin sämtliche Vergütungsbestandteile erhält, die er ohne Arbeitsbefreiung bzw. die Freistellung bekommen hätte. Neben der üblichen Grundvergütung seien hiervon, d.h. vom Entgeltbegriff im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG, auch alle Zuschläge und Zulagen sowie zusätzliche Gegenleistungen für die geschuldete Arbeit in Form von Sachbezügen erfasst. Nicht zum Arbeitsentgelt zähle hingegen bloßer Aufwendungsersatz.
- Im Falle der „zusätzlichen Unterwegsversorgung“ handele es sich, so der 7. Senat, jedoch gerade nicht um Aufwendungsersatz, sondern um weiterhin geschuldetes Arbeitsentgelt. Nach dem objektiven Zweck der gewährten Leistung fehle der regelmäßig erforderliche enge sachliche Zusammenhang mit tatsächlichen Mehraufwendungen des Mitarbeiters. Dies ergebe eine Auslegung der anwendbaren Gesamtbetriebsvereinbarung. Der Beschäftigte sei danach typischerweise weder rechtlich verpflichtet noch faktisch darauf angewiesen, solche Mehraufwendungen zu tätigen. Vielmehr stehe das Verwenden der erbrachten Leistung in seinem freien Belieben. Es handele sich um „zusätzliches“ Guthaben, das den Vorortverzehr gerade nicht ausschließe.
- Mit Blick auf die im aktiven Arbeitsverhältnis gewährten Zuschläge für die Erschwernis der Arbeit zu „ungünstigen“ Zeiten (etwa für Sonntagsarbeit, Nachtarbeit, Feiertagsarbeit usw.) hat das BAG in Übereinstimmung mit vorangegangener Rechtsprechung aus früheren Jahren (etwa BAG, Urt. v. 29.08.2018 – 7 AZR 206/17) nochmals klargestellt, dass allein maßgeblich sei, ob das Gremiumsmitglied – hätte es im streitigen Zeitraum keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet – diese Vergütungsbestandteile in der entsprechenden Höhe verdient hätte und nicht, ob es sich die streitgegenständlichen Vergütungsbestandteile durch eine entsprechende zeitliche Lage seiner Betriebsratstätigkeit „verdient“ hat.
- Folglich kann das Betriebsratsmitglied auch dann Anspruch auf Leistung von Vergütungsbestandteilen haben, die der Abgeltung von Erschwernissen dienen, wenn es diesen faktisch gar nicht (mehr) unterliegt. Etwas anderes soll nach der Rechtsprechung nur für den Ausnahmefall gelten, dass die Arbeitsvertragsparteien einvernehmlich und vorab die Arbeitszeit dergestalt ändern, dass sie zukünftig (d.h. auch nach Beendigung des Betriebsratsamtes) nicht mehr in zuschlagspflichtigen Zeiten liegt.
Fazit und Ausblick
Auch in Zukunft dürfte die „richtige“ Vergütung von Betriebsratsmitgliedern, insbesondere im Falle von (Teil-)Freistellungen, eine dauerhafte Herausforderung, gelegentlich auch ein „Minenfeld“, für den Arbeitgeber bleiben. Als hilfreich erweisen sich in jedem Falle – möglichst schriftlich – fixierte Strukturen und Abreden, die idealerweise bereits zu Beginn der Amtstätigkeit des Betriebsrats die geltenden „Spielregeln“, insbesondere die Vergütungsmodalitäten, einheitlich regeln.