Das Thema
In diesem Kontext bot der Sachverhalt dem BAG (Urt. v. 30.01.2025 – 2 AZR 105/23; Parallelentscheidung unter der führenden Entscheidung BAG, Urt. v. 21.03.2024 – 2 AZR 79/23) überdies die Gelegenheit, sich zur Verwirkung von Ansprüchen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang sowie einer potenziellen analogen Anwendung des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB auseinanderzusetzen. Die Lektüre der Entscheidung führt zwar zu keinen wesentlichen neuen Erkenntnissen, konturiert jedoch einige spannende und zugleich praktisch relevante Fragen. Und bereits bekanntes Wissen aufzufrischen, schadet bekanntermaßen nie.
Sachverhalt
Die Parteien stritten über den Fortbestand des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses nach einem Betriebsübergang. Hintergrund war, dass die Beklagte plante, einen Teil des durch sie betriebenen Entwicklungszentrums zu verkaufen. Diesen Betriebsteil gab es zu dem damaligen Zeitpunkt noch nicht. Er musste vor Betriebsübergang erst noch durch verschiedene personelle und organisatorische Maßnahmen in zwei Betriebsstätten der Beklagten neu geschaffen werden. Dieser neue Betriebsteil wurde sodann ohne nennenswerte Unterbrechung und ohne wesentliche Änderung der vormals bei der Beklagten bestehenden Arbeitsorganisation fortgeführt.
Der Kläger selbst wurde zunächst im Juli 2019 über den geplanten Betriebsübergang informiert und kurz danach über seine Versetzung in den übergehenden Betriebsteil unterrichtet. Daraufhin teilte er im August 2019 mit, dass er der Versetzung nur unter Vorbehalt nachkomme und die Wirksamkeit gerichtlich überprüfen lassen wolle. Zugleich widersprach der Kläger im November 2020 dem Betriebsübergang. Obwohl der Kläger trotz Zustimmungsvorbehalt bei der Versetzung und Widerspruch gegen den Betriebsübergang seit August 2019 beim Erwerber tätig wurde, erhob er schließlich im Juli 2021 Klage.
Entscheidung des BAG
Die Klage wurde in erster und zweiter Instanz ab- bzw. zurückgewiesen. Im Rahmen des Revisionsverfahrens machte der Kläger weiterhin geltend, dass sowohl seine Versetzung als auch der Übergang seines Arbeitsverhältnisses unwirksam seien, sodass weiterhin ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten bestehe. Diese Auffassung begründete er damit, dass weder eine übergangsfähige wirtschaftliche Einheit i.S.v. § 613a BGB vorläge noch sein Arbeitsverhältnis der übergegangenen Einheit ordnungsgemäß zugeordnet sei. Die Versetzung sei rechtswidrig gewesen. Schließlich sei auch das Unterrichtungsschreiben fehlerhaft, sodass er einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auch noch im November 2020 habe widersprechen können.
Das BAG hat das Urteil des Hessischen LAG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung unter Anwendung von § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zurückverwiesen.
Verwirkung von Arbeitnehmerrechten nur in Ausnahmefällen
Inhaltlich begründete das BAG die Entscheidung damit, dass der Kläger das Recht, sich auf die Unwirksamkeit der Versetzung zu berufen, nicht allein dadurch verwirkt habe, dass er über ein Jahr bis zur Klageerhebung habe verstreichen lassen. Daran ändere ebenfalls nichts, dass er in dieser Zeit ohne (weitere) Beanstandungen beim Erwerber gearbeitet habe.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung verfolge nämlich gerade nicht den Zweck, einen Schuldner bereits dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger seine Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht habe. Vielmehr müsse neben einem etwaig bestehenden Zeitmoment auch ein Umstandsmoment erfüllt sein. Konkret müssten – auch im Kontext der Versetzung und des Betriebsübergangs – Umstände vorliegen, die den Eindruck erwecken, dass die Arbeitnehmer ihre Rechte nicht mehr geltend machen würden. Daran fehle es vorliegend. Immerhin habe der Kläger bereits im August 2019 – also weniger als einen Monat nach der Versetzungsanordnung – der Versetzung nur unter Vorbehalt zugestimmt. Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete „Widersprüchlichkeit“ sei im Klägerverhalten nicht zu erkennen.
Darüber hinaus sei die Rechtsprechung zum Widerspruchsrecht i.S.v. § 613a Abs. 6 BGB kein geeigneter Maßstab für die Frage, ob eine „längere Zeit“ verstrichen sei. Die Norm stelle lediglich ein gesetzlich normiertes Gestaltungsrecht dar, bei dem der Gesetzgeber eine kurze Frist von einem Monat für dessen Geltendmachung vorgesehen habe. Für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Versetzung statuiere § 613a Abs. 6 BGB hingegen keine Frist. Abschließend stelle auch ein alsdann erfolgter Betriebsübergang keine Zäsur dergestalt dar, dass der Kläger seinen Versetzungsvorbehalt hätte erneuern müssen.
Die vorstehende Argumentation wirft in der Praxis die Frage auf, in welchen Fällen tatsächlich Verwirkung eintritt. Die Hürden hierfür sind denkbar hoch: Exemplarisch hat das BAG etwa entschieden, dass die widerspruchslose Weiterarbeit für die Dauer von ca. acht Jahren (Urt. v. 22.07.2021 – 2 AZR 6/21) oder sieben Jahren regelmäßig zur Verwirkung des Widerspruchsrechts führt (Urt. v. 24.08.2017 – 8 AZR 265/16).
Zuordnungsversetzung zum Zweck des Betriebsübergangs zulässig
Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers habe es sich bei den übernommenen Betriebsstätten allerdings sehr wohl um eine übergangsfähige wirtschaftliche Einheit im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG und damit des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gehandelt. Diese übergangsfähige Einheit ist wiederum Voraussetzung für die Annahme eines Betriebsübergangs. Ein solcher liegt nach ständiger Rechtsprechung des BAG vor, wenn eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung unter Berücksichtigung sämtlicher den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen auf den Erwerber übergegangen ist (Urt. v. 06.04.2006 – 8 AZR 222/04).
Konsequenterweise rekurriert das BAG mithin auch vorliegend darauf, dass eine Zuordnungsversetzung zu einer übergangsfähigen wirtschaftlichen Einheit erfolge, wenn die übertragene Einheit bereits vor dem Übergang über eine ausreichende funktionelle Selbstständigkeit verfüge. In diesem Kontext sei es – auch unionsrechtlich – unerheblich, wie lange die wirtschaftliche Einheit beim Veräußerer vor einem Betriebsübergang bereits bestanden habe. Sie könne mithin auch allein zum Zweck der Ermöglichung eines Betriebs(teil)übergangs geschaffen werden. Lediglich betrügerische oder missbräuchliche Fälle hätten außer Betracht zu bleiben.
Kein Raum für eine Analogie von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB
Überdies sei für eine klägerseits geforderte Analogie von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB kein Raum. Insoweit fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. So sei es der Zweck von § 613a Abs. 6 BGB, zu verhindern, dass der Arbeitnehmer einen neuen, von ihm nicht gewollten neuen Arbeitgeber erhalte. Angesichts dieses Zwecks sei schon nicht erkennbar, dass der Fall einer „Zuordnungsversetzung“ vom Gesetzgeber unbeabsichtigt außer Acht gelassen worden wäre. Überdies betreffe die Norm eine andere Interessenlage. Konkret solle nämlich lediglich die Kontinuität bereits zugeordneter Arbeitsverhältnisse sichergestellt werden. Demgegenüber werde durch eine dem Betriebsübergang vorgelagerte Versetzung in den übergehenden Betrieb der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht infrage gestellt.
Etwas anderes könne allerdings dann gelten, wenn die Zuordnungsentscheidung dazu führe, dass ein Arbeitnehmer gerade nicht vom Betriebsübergang betroffen ist und deshalb in einem wirtschaftlich nicht lebensfähigen Restbetrieb verbleibe. In diesem Fall könne die Zuordnungsentscheidung etwa rechtsmissbräuchlich sein, da den zurückbleibenden Arbeitnehmern dann gerade nicht die Möglichkeit eines Widerspruchs zustehe.
Inhalt des Unterrichtungsschreibens
Abschließend stellt das BAG – erneut – die nunmehr gesicherte Rechtsprechung klar, dass an den Inhalt der Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs keine im praktischen Leben kaum erfüllbaren Anforderungen gestellt werden sollten. Dies gelte etwa dahingehend, dass mittlerweile kein Unterrichtungsschreiben mehr „ohne juristische Fehler“ erwartet würde.
Zwar beginne der Lauf der Widerspruchsfrist gemäß § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB grundsätzlich erst nach einer ordnungsgemäßen Unterrichtung, § 613a Abs. 5 BGB. Die Unterrichtung sei jedoch teleologisch so konzipiert, dass diese das Widerspruchsrecht ermögliche. Deshalb führten Fehler, die für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer, ob sie einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen, regelmäßig ohne Belang sind, nicht dazu, dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen beginne.
Fazit
All dies vorangestellt lässt sich mithin Folgendes festhalten:
- Die Annahme einer Verwirkung erfordert ein Zeit- und ein Umstandsmoment.
- Zuordnungsversetzungen sind auch weiterhin zum Zweck des Betriebsübergangs zulässig. Die Grenze ist der Rechtsmissbrauch.
- § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB ist nicht analogiefähig.
- Unterrichtungsschreiben müssen entgegen früherer Rechtsprechung nicht mehr unerfüllbaren Anforderungen genügen.
(Die Autoren danken Frau Rechtsreferendarin Atia Khan für Ihre Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags.)