Das Thema
Lange Zeit wurde um das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) gerungen. Nun hat die Bundesregierung am 19. Juni 2024 eine vom Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann vorgelegte Formulierungshilfe zur Ergänzung des Regierungsentwurfs des BEG IV (BT-Drucks. 20/11306) beschlossen (hier abrufbar). Zwar ist ein konkreter Termin für die Beratung im Bundestag – soweit ersichtlich – noch nicht bekannt, es wird jedoch von einer Verabschiedung des Gesetzes ohne maßgebliche Änderungen auszugehen sein.
Während Herr Buschmann – aus rechtlicher Sicht durchaus missverständlich – das Gesetzesvorhaben vor allem mit dem „digitalen Arbeitsvertrag“ beworben hat (vgl. Pressemitteilung Nr. 54/2024 vom 19. Juni 2024), beinhaltet das BEG IV einige weitere Änderungen im arbeitsrechtlichen Kontext. Wir geben einen Überblick:
Befristung und Schriftform – Befristung auf die Regelaltersgrenze in Textform
Die wirksame Befristung von Arbeitsverträgen bedarf zwingend der gesetzlichen Schriftform (§ 14 Abs. 4 TzBfG); daran soll sich auch künftig nichts ändern. Bisher ist es indes so, dass auch die in vielen Arbeitsverträgen vorgesehene Beendigung im Fall des Erreichens der Regelaltersgrenze nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der gesetzlichen Schriftform bedarf (vgl. BAG, Urt. v. 25.10.2017 – 7 AZR 632/15).
Es handelt sich in diesen Fällen um ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit mit einer Höchstbefristung bei Erreichen der Regelaltersgrenze. Genügt der Vertrag nicht der gesetzlichen Schriftform, ist diese Altersbefristung unwirksam und der Arbeitnehmer kann verlangen, über die Regelaltersgrenze hinaus beschäftigt zu werden. Die Folge ist, dass bisher sämtliche Arbeitsverträge mit einer individualvertraglich vereinbarten Altersgrenze zur Wirksamkeit dieser Klausel der Schriftform bedürfen.
Geplante Änderung durch das BEG IV und die Folgen
Das soll sich künftig ändern: Der Gesetzgeber plant in § 41 Abs. 2 SGB VI folgende Regelung aufzunehmen:
„Eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht, bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Textform. § 14 Absatz 4 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes gilt nicht.“
Dies ist eine überraschende und für die Praxis sehr zu begrüßende Regelung. Sie lässt die Textform auch dann genügen, wenn der Arbeitsvertrag auf das Erreichen der Regelaltersgrenze befristet ist. Damit können eine Vielzahl von Arbeitsverträgen künftig rechtssicher in Textform abgeschlossen werden. Indes wird diese Änderung nur für die Zukunft ab Inkrafttreten des Gesetzes gelten und kann damit keine „Heilung“ von unwirksam Altfällen herbeiführen.
Zu beachten ist, dass alle sonstigen befristeten Arbeitsverträge auch künftig der Schriftform bedürfen (§ 14 Abs. 4 TzBfG). Gleiches gilt für die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, welches der Schriftform sowie der Aushändigung der so unterzeichneten Vertragsurkunde an den Arbeitnehmer bedarf (§ 74 Abs. 1 HGB). Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot muss also entweder in einem der Schriftform genügenden Arbeitsvertrag abgeschlossen werden oder in einer gesonderten schriftlichen Vereinbarung. In letztgenannten Fall sollte man zwingend im Arbeitsvertrag auf diese gesonderte Urkunde verweisen, damit gerade bei länger bestehenden Arbeitsverhältnissen solche Nebenabreden nicht in Vergessenheit geraten.
Das Nachweisgesetz – künftig ein bisschen digitaler
Die wohl am meisten diskutierte Änderung durch das BEG IV betrifft das Nachweisgesetz (NachwG). Dieses Gesetz verpflichtet den Arbeitgeber bestimmte zentrale Vertragsbedingungen (Arbeitszeit, Gehalt, anwendbare Tarifverträge u.v.m.) aufzuschreiben und dem Beschäftigten in Schriftform auszuhändigen. Das kann entweder unmittelbar im schriftlichen Arbeitsvertrag oder in einem gesonderten schriftlichen Dokument erfolgen. Das NachwG betrifft damit nicht die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages, sondern schafft eine weitere Pflicht für den Arbeitgeber.
Der deutsche Gesetzgeber hatte im Rahmen einer Gesetzesänderung zum 1. August 2022 bewusst entschieden, dass dieser Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in Schriftform erfolgen muss und die elektronische Form (bspw. durch E-Mails) nicht genügt (vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 NachwG: „Der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist ausgeschlossen“). Gerade in digital aufgestellten Personalabteilungen sorgt dies für eine erhebliche Mehrarbeit, da der Nachweis durch Ausdruck und Unterschrift auf Papier sowie Übergabe an die Arbeitnehmer erfolgen muss. Hinzu kommt, dass Verstöße auch gegen die Formvorschrift als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden können (§ 4 NachwG).
Überblick der Änderungen
Wie absurd eine solches Vorgehen im Zusammenhang mit der angestrebten Digitalisierung ist, hat nun auch der Gesetzgeber erkannt und will dies durch das BEG IV – zumindest teilweise – wieder rückgängig machen. Unter Einfluss der europarechtlichen Vorschriften (EU-Arbeitsbedingungsrichtlinie (RL (EU) 2019/1152) hat sich der Gesetzgeber nicht für eine schlichte Zulassung der elektronischen Form entschieden, sondern beabsichtigt die Festlegung konkreter Anforderungen durch Änderung des § 2 NachwG:
- Der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen soll entweder durch den Arbeitsvertrag oder durch ein gesondertes Schreiben in Textform erfolgen können, wenn das so übermittelte Dokument für den Arbeitnehmer
- zugänglich ist,
- gespeichert und ausgedruckt werden kann und
- der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit der Übermittlung auffordert, einen Empfangsnachweis zu erteilen.
- Der Arbeitnehmer kann jederzeit eine Ausstellung in der gesetzlichen Schriftform verlangen.
- Die Erleichterungen gelten nicht für Arbeitnehmer, die in einem Wirtschaftsbereich nach § 2a Absatz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes tätig sind (Baugewerbe, Gaststättengewerbe, Spedition u.v.m.).
Bedeutung für die Praxis
In der Praxis können die Pflichten aus dem Nachweisgesetz damit in einigen Branchen künftig in elektronischer Form erfüllt werden. Dazu wäre etwa eine pdf-Datei als E-Mail Anhang ausreichend. Allerdings müssen die oben genannten Voraussetzungen eingehalten werden, was – auch angesichts der weiterhin bestehenden Bußgeldrisiken – zu gewissen Problemen führen kann:
- Zugänglichkeit: Die Anforderung der „Zugänglichkeit“ stammt aus der EU-Arbeitsbedingungsrichtlinie. Der Gesetzgeber meint damit, dass durch den Arbeitnehmer ein elektronischer Übermittlungsweg (bspw. E-Mail) eröffnet ist und er auf das zugesendet Dokument zugreifen kann. Der Arbeitnehmer muss sich mit einer Kommunikation via E-Mail einverstanden erklären oder aber eigeninitiativ bereits mittels E-Mail mit dem Arbeitgeber kommuniziert haben.
- Speicher und Ausdruckmöglichkeit: Das Dokument muss gespeichert und ausgedruckt werden können.
- Empfangsnachweis: Die größte Ungewissheit bildet wohl der erforderliche Empfangsnachweis. Nach dem geplanten Wortlaut des NachwG ist es ausreichend, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Abgabe eines Empfangsnachweises „auffordert“. Interessanterweise regelt die EU-Arbeitsbedingungslinie, dass der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis „erhält“. Ein praktisches Problem kann daraus werden, wenn der mittels E-Mail vom Arbeitgeber angeforderte Empfangsnachweis vom Arbeitnehmer nicht abgegeben wird und auch keine Reaktion auf die E-Mail erfolgt. Dann muss der Arbeitgeber nämlich den Zugang der E-Mail nachweisen (vgl. zu der Problematik auch hier). In der Praxis sollte man daher einen Nachweis in Schriftform aushändigen, wenn der Arbeitnehmer – trotz Aufforderung – einen Empfangsnachweis nicht erteilt (Anm. der Redaktion: Vgl. zu Fragen des rechtssicheren Zugangs von E-Mails im Arbeitsrecht #EFAR-Beitrag vom 30. April 2024).
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) – Textform des Überlassungsvertrags
Der Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher bedarf nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG aktuell der Schriftform oder jedenfalls der elektronischen Form, d.h. einer qualifizierten elektronischen Signatur. In diesem Bereich soll künftig die Textform genügen, d.h. Überlassungsverträge sollen zukünftig zum Beispiel per E-Mail abgeschlossen werden können. Dies stellt eine ganz erhebliche Erleichterung in der Praxis dar.
Elternzeit und Elternteilzeit – Textform im BEEG
Im Zusammenhang mit der Elternzeit werden zahlreiche Schriftformerfordernisse durch die Textform abgelöst: Der Anspruch auf Elternzeit (§ 16 Abs. 1 S. 1 BEEG) und der Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit (§ 15 Abs. 7 BEEG) können durch Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber künftig in Textform geltend gemacht werden. Spiegelbildlich dazu kann der Arbeitgeber die Verringerung der Arbeitszeit während der Elternzeit oder die Verteilung künftig auch mit Begründung in Textform ablehnen. Die Schriftform wird auch hier abgeschafft (§ 15 Absatz 7 S. 4 BEEG). Außerdem kann der Arbeitgeber künftig Teilzeitarbeit bei einem anderen Arbeitgeber oder selbständige Tätigkeit während der Elternzeit aus dringenden betrieblichen Gründen ebenfalls in Textform ablehnen (§ 15 Absatz 4 BEEG).
Wenn Arbeitgeber in diesen Bereichen künftig auf eine E-Mail Kommunikation setzen, sollten sie sich den Erhalt der E-Mails zwingend bestätigen lassen. Denn wenn der Beweis des Zuganges der E-Mail nicht gelingt, greift die Zustimmungsfiktion und die Verringerung der Arbeitszeit gilt als erteilt (§ 15 Abs. 7 S. 5 BEEG).
Arbeitszeugnisse – bald mittels qeS möglich
Mit Blick auf die zunehmend digitalen Bewerbungsverfahren waren die zwingend in Schriftform auszustellenden Arbeitszeugnisse schon lange nicht mehr zeitgemäß. In Zukunft soll der Arbeitgeber das Zeugnis mit Einwilligung des Arbeitnehmers auch in elektronischer Form erteilen können, was bislang ausgeschlossen war (§ 630 S. 3 BGB). Aber Achtung: Elektronische Form ist nicht die Textform. Es bedarf einer besonderen qualifizierten elektronischen Signatur (§ 126a BGB).
Jugendarbeitsschutzgesetz – digitale Aushangpflichten
Im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) sollen künftig bestimmte schriftliche Unterlagen auch in Textform übersandt werden können. Die Schriftform gilt indes weiterhin für die erforderliche Bewilligung der Aufsichtsbehörde im Fall des Mitwirkens von Kindern an bestimmten kulturellen Veranstaltungen (§ 6 Abs. 4 S. 1 JArbSchG), d.h. Arbeitgeber bekommt von der Aufsichtsbehörde weiterhin einen schriftlichen Genehmigungsbescheid. Eine weitere Ausnahme gilt für § 21 Abs. 2 JArbSchG: Sollen vom JArbSchG abweichende tarifliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers übernommen werden, werden dazu auch in Zukunft schriftliche Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Jugendlichen erforderlich sein.
Zudem müssen Arbeitgeber, die regelmäßig mindestens einen Jugendlichen beschäftigen, das JArbSchG und die Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde im Betrieb zur Einsicht auslegen (§ 47 JArbSchG). Dies Pflicht soll künftig auch durch Veröffentlichung im Intranet erfüllt werden können. Gleiches soll für die Aushangpflichten über Arbeitszeiten und Pausen (§ 48 JArbSchG) sowie über Ausnahmebewilligungen der Aufsichtsbehörde (§ 54 Abs. 3 JArbSchG) gelten. Voraussetzung ist stets, dass alle Beschäftigten ungehinderten Zugang zu den Informationen haben.
Arbeitszeitgesetz – digitale Aushangpflichten
Auch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sieht umfangreiche Aushangpflichten vor. So muss ein Abdruck des ArbZG, etwaige Rechtsverordnungen und die für den Betrieb geltenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen im Betrieb ausgelegt werden (§ 16 ArbZG). Auch dies soll künftig elektronisch – etwa mittels Veröffentlichung im Intranet – erfolgen können. Voraussetzung hierfür ist, dass alle Beschäftigten ungehinderten Zugang zu den Informationen haben.
Fazit: Erleichterungen für die Wirtschaft kommen (bald?)
Zusammenfassend werden damit einige Erleichterungen für die Wirtschaft geschaffen, die zu einer Bürokratieentlastung beitragen und sehr zu begrüßen sind. Der Gesetzgeber geht allein durch die Erleichterung der Formerfordernisse von mehreren Millionen Euro Entlastung für die Wirtschaft aus.
Es bleibt zu hoffen, dass das Gesetzgebungsverfahren nun schnell abgeschlossen wird und Unternehmen von den Erleichterungen auch tatsächlich profitieren können.