Das Thema
Die Meinungsfreiheit reicht weit. Weiter als manche glauben und weiter als manchen lieb ist. Jedenfalls, wenn es um ihnen unliebsame Meinungen geht. Art. 5 GG ist aber kein Freibrief für Formalbeleidigungen, Schmähkritik und bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen – auch nicht im Arbeitsverhältnis.
Dabei ist berücksichtigen, dass Grundrechte zwar grundsätzlich nicht unmittelbar zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gelten. Über die mittelbare Grundrechtswirkung wirken sie aber auch auf arbeitsrechtliche Rechtsbeziehungen ein.
Beleidigungen des Arbeitgebers können Kündigung rechtfertigen
Bei der Auslegung und Anwendung des Art. 5 GG übernimmt die arbeitsrechtliche Rechtsprechung die im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts extensive Auslegung des BVerfG (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 12. 1. 2006 – 2 AZR 21/05). Und dessen Schutz besteht grundsätzlich auch bei überspitzten oder polemischen Äußerungen. Art. 5 GG schützt aber weder Formalbeleidigungen und Schmähungen noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen (BAG, Urt. v. 17.3.2010 – 5 AZR 168/09).
Daher können auch grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen eine ordentliche und sogar eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Das Gleiche gilt, wenn Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über ihren Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn diese Behauptungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG, Urt. v. 18.12.2014 – 2 AZR 265/14).
Formalbeleidigungen, nicht nur auf Facebook
Ob eine kündigungsrelevante Ehrverletzung vorliegt, lässt sich bei Formalbeleidigungen in aller Regel leicht feststellen. Hier ergibt sich die Beleidigung nicht erst aus dem Inhalt, sondern aus deren Form oder den äußeren Umständen der Äußerung.
Eine Formalbeleidigung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn derbe Schimpfworte benutzt werden, kann aber beispielsweise auch bei einem Vergleich mit historischen Figuren vorliegen (vgl. Kreuder/Matthiessen-Kreuder in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 4. Auflage 2017, BGB § 611a, Rn. 549).
Solche Beleidigungen waren z.B. Gegenstand eines vom ArbG Hagen entschiedenen Falls (Urt. v. 16.5.2012 – 3 Ca 2597/11). Hier bezeichnete ein Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten auf Facebook u.a. als „kleiner Scheißhaufen“, „Wichser“, „faules Schwein, der [sic!] noch nie gearbeitet hat in seinem Scheißleben“, „Drecksau“ und „Doofmann“. Das Gericht sah darin eine schwere Verfehlung, die zwar aufgrund der Umstände des konkreten Falles keine außerordentliche, wohl aber eine ordentliche Kündigung rechtfertigt. Die verwandten Kraftausdrücke bezeichnete es als in ihrer Derbheit kaum noch steigerungsfähig.
Schmähkritik: Wenn die Diffamierung der Person im Vordergrund steht
Schwieriger gestaltet sich die Feststellung einer Schmähkritik. Diese liegt vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. Frieling in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, GG Art. 5, Rn. 2 m.w.N.). Sie darf, wie das BVerfG immer wieder betont, wegen ihrer Art. 5 GG einschränkenden Tendenz allerdings nicht vorschnell angenommen werden (vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17 m.w.N.).
Eine Meinungsäußerung wird, wie das Gericht ausführt, nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung und auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht dazu. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen (BVerfG, Beschl. v. 26.06.1990 – 1 BvR 1165/89). Wesentliches Merkmal ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BVerfG, Beschl. v. 24.7.2013 – 1 BvR 527/13).
Praxisbeispiel: Vergleich der Arbeitsbedingungen im Betrieb mit KZ sind keine Schmähkritik
Entsprechend weit ist der Rahmen, den auch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bei der Zulässigkeit von Meinungsäußerungen zieht. So hat etwa das LAG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 2.10.2014 – 10 TaBV 1134/14) entschieden, dass ein Vergleich der Arbeitsbedingungen im Betrieb mit denen im KZ nicht als Schmähkritik anzusehen, sondern vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein kann.
“Fake News”: Was ist mit unwahren Tatsachenbehauptungen?
Bei unwahren Tatsachenbehauptungen ist zu beachten, dass diese nur dann nicht durch Art. 5 GG geschützt sind, wenn es sich um bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen handelt. Das BVerfG sieht darüber hinaus auch solche Tatsachen als außerhalb des Schutzes des Art. 5 GG stehend an, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen dagegen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96).
Dass grundsätzlich nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen nicht dem Schutz des Art. 5 GG erfasst werden, bedeutet aber nicht, dass wahre Aussagen stets zulässig sind.
Auch bei solchen können Persönlichkeitsbelange überwiegen und die Meinungsfreiheit in den Hintergrund treten lassen. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sie die Intims-, Privats- oder Vertraulichkeitssphäre betreffen (BVerfG a.a.O.).
Wie bei jeder Kündigung: Auf die Interessenabwägung kommt es an
Das BAG hat mehrfach betont, dass schon eine erstmalige Ehrverletzung kündigungsrelevant sein kann (vgl. z.B. BAG, Urt. V. 10. 12. 2009 – 2 AZR 534/08 m.w.N.).
Wie bei jeder verhaltensbedingten Kündigung ist aber natürlich auch bei ehrverletzenden Äußerungen eine Interessenabwägung durchzuführen. Bei dieser können u.a. das Verhalten des Arbeitsgebers, ein betrieblicher oder branchenüblicher Umgangston sowie der Bildungsgrad eines Arbeitnehmers und dessen psychischer Zustand Berücksichtigung finden (vgl. Vossen in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Auflage 2017, KSchG § 1, Rn. 296).
Bei Ehrverletzungen in sozialen Medien ist zu beachten, dass diese einen anderen Charakter aufweisen als gesprochene Äußerungen. Letztgenannte haben, wie das ArbG Duisburg (Urt. v. 26.09.2012 – 5 Ca 949/12) zutreffend ausgeführt hat, schon aufgrund ihrer Flüchtigkeit nicht derart einschneidende Wirkungen wie eine im Internet verbreitete Ehrverletzung.
Social Media-Postings greifen nachhaltiger in die Rechte des Betroffenen ein
Ein Social Media-Posting greift durch die Verkörperung der Äußerung nachhaltiger in die Rechte des Betroffenen ein. Es kann daher auch nicht mit Ehrverletzungen gleichgesetzt werden, die lediglich gegenüber dem Betroffenen oder im kleinen Kreis geäußert werden. Das gilt nicht nur, wenn alle Nutzer einer Social-Media-Plattform ein Posting lesen können, sondern auch, wenn es nur einem beschränkten Nutzerkreis, also z.B. nur den sog. Facebook-Freunden, zugänglich gemacht wird.
Andere Nutzer können die Ehrverletzung solange sie auf der Plattform verfügbar ist immer wieder von neuem sinnlich wahrnehmen und diese auch weiterverbreiten. Und selbst eine Löschung durch den Verfasser bedeutet nicht zwingend, dass die Äußerung damit nicht mehr in verkörperter Form existiert. Andere Nutzer können ein solches Posting durch einen Screenshot dauerhaft erhalten und später auch in dieser Form weiterverbreiten. Wer einen Beitrag postet verliert damit schnell die Kontrolle über seine Äußerung (so auch Bauer/Günther, NZA 2013, S. 67, 69).
Zudem ist, wie auch das ArbG Duisburg (Urteil vom 26.09.2012 – 5 Ca 949/12) dargelegt hat, die besondere gesellschaftliche Bedeutung und Verbreitung zu bedenken, die soziale Netzwerke inzwischen genießen. Und es besteht zudem stets das Risiko, dass durch Folgeeinträge, also insbesondere Kommentare, die Rechtsverletzung verstärkt wird (vgl. ArbG Duisburg a.a.O.).
Kündigungen wegen privaten Äußerungen in den sozialen Medien: Das Arbeitsrecht kann nur bedingt helfen
Private Äußerungen in den sozialen Medien beschäftigen zunehmend die Gerichte. Dazu gehören auch Ehrverletzungen, die mittels Facebook und Co. verbreitet werden.
Unternehmen müssen überlegen, wie sie mit diesem Problem umgehen. Und hier kann das Arbeitsrecht nur bedingt helfen. Wenn es wegen solcher Äußerungen zu einer Kündigung kommt, ist das berühmte Kind ohnehin schon in den nicht weniger berühmten Brunnen gefallen.
Besonders wichtig ist, Mitarbeitern digitale Kompetenzen zu vermitteln – auch den Umgang mit sog. sozialen Medien. Und das darf eben nicht auf solche Arbeitnehmer beschränkt werden, die bereits in der „digitalen Welt“ arbeiten, sondern muss ebenso Beschäftigte berücksichtigen, deren Arbeitsleben sich nach wie vor ausschließlich oder fast ausschließlich in einer „analogen Welt“ abspielt.
Dazu gehört – so profan das klingen mag – auch, dass man verdeutlicht, dass Formalbeleidigungen, Schmähkritik und bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen ein „no go“ sind. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber gerade bei öffentlichen Äußerungen in den sozialen Medien besonders bedacht werden. Im Interesse des Arbeitgebers, von Vorgesetzten und Kollegen, aber eben auch im eigenen Interesse des Arbeitnehmers.
Hinweis: Bei dem Beitrag handelt es sich um einen leicht überarbeiteten Auszug aus dem Beitrag „Private Meinungsäußerungen auf Social Media-Plattformen als Kündigungsgrund“. Er ist in dem Buch „Arbeiten 4.0 in der Unternehmenspraxis – Arbeitsrechtliche Herausforderungen und Chancen“ erschienen.