Das Thema
Das Betriebsverfassungsgesetz setzt der angemessenen Vergütung von Betriebsräten enge Grenzen. Die Vorgaben diesbezüglich sind jedoch zugleich wenig konkret. Die dadurch ohnehin schon bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf eine rechtskonforme Betriebsratsvergütung auf dem schmalen Grat zwischen Begünstigung und Benachteiligung hatten sich zuletzt vor dem Hintergrund der Begründung eines Strafgerichtsurteils des LG Braunschweig (Urt. v. 28.09.2021 – 16 KLs 406 Js 59398/16 [85/19]) noch einmal verschärft. In bestimmten Fällen bestand danach für Arbeitgeber das Handlungsdilemma, dass sich bei einer Entscheidung für die arbeitsrechtlich wohl gebotene Vergütungserhöhung angesichts dieses Urteils dennoch erhebliche Strafbarkeitsrisiken ergaben. Auch die am 10.01.2023 vor dem BGH verhandelte Revision gegen das Urteil des LG Braunschweig brachte zwar keine abschließende Klarheit für solche Fälle, immerhin wurde die Entscheidung des LG Braunschweig jedoch aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer zurückverwiesen (BGH, Urt. v. 10.01.2023 – 6 StR 133/22; siehe Pressemitteilung). Damit sind die aus arbeitsrechtlicher Sicht teilweise zweifelhaften Ausführungen des LG Braunschweig zunächst wieder aus der Welt. Es lohnt dennoch, die Problemstellung näher zu beleuchten – besteht doch weiterhin eine bedeutende Risikolage für Unternehmen und die für sie handelnden Akteure.
Die Grundsätze und der Anspruch auf Vergütungserhöhung
Grundlage der richtigen Bemessung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds sind § 37 Abs. 4 und § 78 Satz 2 BetrVG. Ein Mitglied des Betriebsrats darf danach weder begünstigt noch benachteiligt werden – auch nicht hinsichtlich der Vergütung. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sind Verstöße hiergegen auch strafrechtlich bewehrt. Insbesondere zu der Bestimmung der Betriebsratsvergütung nach § 37 Abs. 4 BetrVG wurde hier im #EFAR bereits in anderen Zusammenhängen berichtet (siehe Beiträge vom 12.06.2017 von Prof. Dr. Kliemt und vom 20.08.2018 von Dr. Preedy).
Das BAG hat ausdrücklich klargestellt, dass es Situationen geben kann, in denen aus dem Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG ein höherer Vergütungsanspruch folgt als aus der Mindestvergütungsregel des § 37 Abs. 4 BetrVG (BAG, Urt. v. 17.08.2005 – 7 AZR 528/04). Voraussetzung dieses Anspruchs ist der Nachweis durch das Betriebsratsmitglied darüber, dass es ohne seine (derzeitige) Tätigkeit als Mitglied der Betriebsvertretung inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde.
Bisher höchstrichterlich nicht ausdrücklich entschieden ist dabei, ob die während der Amtszeit erworbenen Qualifikationen und die durch die Amtsausübung erlernten Fähigkeiten im Zusammenhang mit der hypothetischen Karriereentwicklung nach § 78 Satz 2 BetrVG berücksichtigt werden dürfen. Richtigerweise wird dies jedoch in der arbeitsrechtlichen Literatur vielfach bejaht. Gestützt wird dies auch auf eine weitere Entscheidung des BAG, nach der eine durch § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Begünstigung nur vorliegt, wenn die Besserstellung des Betriebsrats im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern nicht auf sachlichen Gründen, sondern (allein) auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht (BAG, Urt. v. 21.03.2018 – 7 AZR 590/16). Das Vorliegen der für die zu besetzende Stelle erforderlichen Qualifikationen und Fähigkeiten stellt jedoch richtigerweise einen sachlichen Grund dar und zwar unabhängig davon, wo das Betriebsratsmitglied diese erworben hat. Andernfalls müsste ein Betriebsratsmitglied in diesem Fall zur Erreichung des begehrten Arbeitsentgelts zugunsten einer Beförderung von seinem Betriebsratsamt zurücktreten, worin recht offensichtlich eine Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG läge.
Hypothetischer Praxisfall
Relevant wird diese Frage in dem folgenden hypothetischen Fall, der so ähnlich in der Praxis immer wieder vorkommt: Einem (freigestellten) Betriebsratsmitglied wird zwar die sich aus § 37 Abs. 4 BetrVG ergebene Vergütung korrekt gezahlt. Im Unternehmen wird jedoch eine anderweitige Stelle ausgeschrieben und besetzt, die höher vergütet wird und auf der dieses Betriebsratsmitglied ohne seine fortdauernde Amtsinhaberschaft angesichts seiner zwischenzeitlichen weitergehenden Eignung und Qualifikation tatsächlich eingestellt worden wäre.
Gerade langjährig gewählte und freigestellte Betriebsräte in großen Unternehmen erwerben durch ihre Amtsausführung typischerweise zusätzliche Fähigkeiten. Für die durch die Amtsausübung erworbenen Fähigkeiten kommen dabei insbesondere Aufgaben in den Bereichen der Betriebs- und Personalwirtschaft in Betracht. Sollte das Unternehmen im erwähnten Praxisfall daher zu dem Ergebnis kommen, dass ein Betriebsratsmitglied ohne seine Freistellung angesichts seiner Qualifikationen und persönlichen Eignung tatsächlich auf der neubesetzten Stelle eingestellt worden wäre, sprechen vor dem Hintergrund der vom BAG aufgestellten und oben erwähnten Grundsätze zu § 78 Satz 2 BetrVG bessere Argumente für einen Anspruch seinerseits auf Anpassung der Vergütung entsprechend dieser Stelle.
Widerspruch zwischen LG Braunschweig und arbeitsrechtlichen Grundsätzen
Mit dem oben erwähnten Urteil des LG Braunschweig hatte dieses einige Topmanager des Automobilherstellers VW im Prozess um die zu hohe Vergütung von Betriebsratsmitgliedern vom Vorwurf der Untreue wegen fehlendes Vorsatzes freigesprochen (siehe auch den Beitrag hier im #EFAR zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vom 13.05.2017 von Prof. Dr. Diringer).
Die im August des vergangenen Jahres veröffentlichte Begründung dieses Urteils sorgte indes für einige Überraschung in der Arbeitsrechtswelt und für Unternehmen. Laut dem Gericht erfüllten die Angeklagten den objektiven Tatbestand der Untreue wegen Verstoßes gegen das betriebsverfassungsrechtliche Verbot der Begünstigung von Betriebsräten. Das LG vertrat eine sehr strenge Ansicht, wonach die Berücksichtigung der im Betriebsratsamt erlernten Fähigkeiten und Kenntnisse in jedem Fall abzulehnen ist. Hauptargument des Gerichts war dabei, dass eine Vergütung von Betriebsräten als „Co-Manager“ mit den gesetzlichen Vorgaben nicht vereinbar sei.
Während der letztgenannten Aussage dem Grunde nach zuzustimmen ist, ging die Urteilsbegründung des LG dahingehend fehl, dass die Kammer den Verstoß gegen das Begünstigungsverbot im Kern auf eine Argumentation zu § 37 Abs. 4 BetrVG stützte. Diese Norm enthält jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BAG gerade kein Begünstigungsverbot. Das LG Braunschweig überging darüber hinaus die vom BAG aufgestellten Grundsätze zu § 78 Satz 2 BetrVG. Nicht nur aus diesem Grund erntete die Urteilsbegründung einige Kritik.
Vor dem Hintergrund des mit dieser Entscheidung verbundenen Strafbarkeitsrisikos wäre dem Unternehmen in dem skizzierten Praxisfall wohl von einer Vergütungserhöhung abzuraten gewesen, auch wenn diese sich aus rein arbeitsrechtlicher Sicht eher als richtig dargestellt hätte.
Kaum Klarheit durch BGH
Die am 10.01.2023 vor dem BGH verhandelte Revision gegen die Entscheidung des LG Braunschweig hat dessen Urteil zwar aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer zurückverwiesen. In der bis dato lediglich veröffentlichten Pressemitteilung findet sich jedoch keine konkrete Position des BGH zu der vom LG Braunschweig vertretenen Ansicht zum betriebsverfassungsrechtlichen Begünstigungsverbot. Festgestellt wird dort lediglich, dass die vom LG getroffene Urteilsfeststellung nicht den gesetzlichen Darstellungsanforderungen entspricht. Die Urteilsbegründung ist erst in einigen Wochen zu erwarten, wobei nach den Inhalten der Pressemittteilung eher nicht damit zu rechnen ist, dass diese tiefergehende eigene Ausführungen des BGH zu den betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen enthalten wird.
Auswirkungen auf die Praxis und Handlungsempfehlung
Die positive Auswirkung der Revisionsentscheidung des BGH ist, dass das Urteil des LG Braunschweig jedenfalls nicht bestätigt, sondern aufgehoben wurde. Das durch das LG-Urteil entstandene Handlungsdilemma für Unternehmen im oben skizzierten Praxisfall hat sich damit zunächst etwas entschärft. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer die Grundsätze zum Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG – anders als das LG Braunschweig – im Einklang mit der arbeitsrechtlich gebotenen Ansicht auslegt. Nur so würde wieder mehr Rechtssicherheit im Sinne einer Einheit der Rechtsordnung entstehen, als es mit der vorherigen Entscheidung des LG Braunschweig der Fall war.
Unabhängig davon wäre es wünschenswert, dass der Gesetzgeber für mehr Klarheit hinsichtlich der betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätze der Betriebsratsvergütung sorgt und dabei insbesondere die nicht abschließend geklärte Frage der qualifikationsangemessenen Beförderung von Betriebsräten berücksichtigt. Hilfreich wäre es natürlich auch, wenn diesbezüglich eine weitere Klarstellung durch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung erfolgen würde.
Solange dies jedoch nicht der Fall ist, sollten Unternehmen die Entwicklung der Strafsache um die Vergütung der VW-Betriebsräte gut im Auge behalten und sich bei Fragen rund um die Vergütung ihrer Betriebsräte umso ausführlicher beraten lassen. Dies kann unter Umständen ein Strafbarkeitsrisiko in diesem Zusammenhang ausschließen oder jedenfalls das Risiko minimieren.