Das Thema
Bleiben die derzeitigen Beschränkungen aufgrund der „Corona-Lage“ weiter bestehen? Oder kommt es zeitnah zu Lockerungen? Werden derzeit ruhende betriebliche Tätigkeiten alsbald vollständig oder schrittweise wieder hochgefahren? Und wenn ja: Wie lassen sich die damit verbundenen Gefahren für Arbeitnehmer abmildern?
All diese Fragen sind derzeit offen. Vielleicht werden sie aber schon bei der nächsten Sitzung des „Corona-Kabinetts“ in dieser Woche beantwortet. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereitet jedenfalls schon die Grundlagen vor, auf denen eine größere Wirtschaftstätigkeit während der „Corona-Lage“ ermöglicht werden soll.
Geplant ist, einen allgemeinen „Sars-CoV2-Arbeitsschutzstandard“ festzulegen, der über die bisherigen Vorgaben zum Gesundheitsschutz hinausgeht. Dahinter steckt der Gedanke, dass sich durch das Hochfahren betrieblicher Tätigkeiten im Rahmen einer „Exit-Strategie“ auch die Zahl der Arbeitnehmer erhöhen wird, die durch ihre berufliche Tätigkeit dem Risiko einer Infektion ausgesetzt sind. [16. April 2020: Anm. der Redaktion – Die finale Fassung des Sars-CoV2-Arbeitsschutzstandard liegt inzwischen vor und ist am Ende des Beitrages abrufbar.]
Einbindung von BDA und DGB
Das Ministerium hat dafür bereits einen Entwurf ausgearbeitet, der dem #EFAR vorliegt. Nach den Ausführungen in dem Schreiben des Ministeriums wird „der Schutzstandard am Arbeitsplatz (…) vom BMAS in Zusammenarbeit mit BDA, DGB, DGUV und den Arbeitsschutzverwaltungen der Länder erstellt und dem Corona-Kabinett der Bundesregierung als eine Entscheidungsgrundlage des BMAS und der betroffenen Kreise vorgelegt“.
An die genannten Verbände bzw. Institutionen wurde der Entwurf am Mittwoch, den 8. April 2020, versandt – zwei Tage vor Karfreitag und zumindest teilweise erst am Abend. Eine Rückmeldung sollte bis Dienstag, den 14. April 2020 um 9.00 Uhr beim BMAS vorliegen – einen Tag nach Ostermontag. Den eingebundenen Verbänden bzw. Institutionen blieb damit ein Werktag, um ihn zu prüfen und dazu Stellung zu nehmen.
Viel Zeit, Kritik an- oder Verbesserungsvorschläge einzubringen, hatten sie also nicht. Und so hat etwa die BDA den Mitgliedern der von ihr eingebundenen verbandsinternen Ausschüsse und Informationskreise am 9. April den Entwurf mit der Bitte um Stellungnahme bis 15.00 Uhr des gleichen Tages übersandt, um den zeitlichen Vorgaben gerecht werden zu können.
Unterstützung und Beratung
Tatsächlich scheint es aber zunächst ohnehin eher um eine politische als eine inhaltliche Einbindung zu gehen. Wenn die vorgesehenen Maßnahmen von der Spitzenorganisation der Arbeitgeberverbände ebenso mitgetragen werden wie vom Dachverband der größten Einzelgewerkschaften, ist es deutlich leichter, sie Arbeitgebern und Beschäftigten zu vermitteln.
Diesem Ziel dient es auch, wenn in dem Schreiben des Ministeriums ausgeführt wird, dass sich die Verbände und Institutionen dazu verpflichten sollen „die betrieblichen Covid-19 Schutzmaßnahmen zu unterstützen“. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die arbeitsrechtlichen Koalitionen während der Krise nur als Feigenblatt fungieren sollen, das die Durchsetzung politisch gewünschter Maßnahmen erleichtert.
Nach den Vorschlägen des BMAS soll auch geprüft werden, „einen zeitlich befristeten Beraterkreis ‚Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zur Prävention von Covid-19‘ beim BMAS einzurichten, um schnell und möglichst breitgetragen Empfehlungen entsprechend der aktuellen Situation zum Schutz der Beschäftigten zu erarbeiten und zu veröffentlichen“. Diesem sollen Vertreter von BMAS, DGB, BDA, UVT, Ländern, BAuA und weitere, in dem Schreiben nicht näher benannte, Sachverständige angehören.
Der (neue) Arbeitsschutzstandard: Vorgesehene Schutzmaßnahmen
Die in dem „Betriebliche(n) Maßnahmenkonzept für zeitlich befristete zusätzliche Maßnahmen zum Infektionsschutz vor SARS-CoV 2“ dargelegten Vorgaben wirken auf den ersten Blick ebenso einfach wie nachvollziehbar. Es enthält viele Anordnungen zum Gesundheitsschutz, die in zahlreichen Unternehmen bereits umgesetzt werden – wenn auch nicht überall.
Zu den genannten Maßnahmen gehört z.B., dass Mitarbeiter ausreichend Abstand zueinander halten, transparente trennende Schutzeinrichtungen insbesondere bei Publikumsverkehr zu nutzen sind und der Arbeitgeber ausreichend Seife, Handtuch- und Desinfektionsspender zur Verfügung stellen muss. Und es wird beispielsweise auch vorgegeben, dass in Pausenräumen und Kantinen ein ausreichender Abstand zwischen den Mitarbeitern sicherzustellen und darauf zu achten ist, dass möglichst keine Warteschlangen bei der Essensausgabe entstehen.
Einige der vorgesehenen Maßnahmen beziehen sich auf spezielle berufliche Situationen, z.B. Baustellen, Landwirtschaft, Außen- und Lieferdienste, für die angeregt wird, Arbeitsabläufe zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Andere Vorgaben in dem Maßnahmenkatalog wirken wie die Darlegung arbeitsorganisatorischer Basics, etwa dass Beschäftigte im Homeoffice sicherstellen sollen, dass sie in vereinbarten Zeiträumen telefonisch oder digital erreichbar sind.
Herausforderungen für Arbeitgeber und Betriebsrat
Ganz so leicht, wie es auf den ersten Blick scheint, wird die Umsetzung der aufgeführten Maßnahmen aber sicherlich nicht. Arbeitgeber sollten sich diese, wenn die „Endfassung“ vorliegt, sehr genau anschauen, bevor sie ihre betrieblichen Tätigkeiten wieder hochfahren. Das gilt umso mehr, als in dem Schreiben des BMAS mehrfach betont wird, dass sie allein für den Schutz der Beschäftigten vor einer Corona-Infektion am Arbeitsplatz verantwortlich sein sollen. Und die Vorgaben sind auch von den Betrieben zu beachten, die schon bislang ihre Tätigkeit fortgeführt haben.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass – unabhängig davon, wie die Vorgaben letztlich konkret ausgestaltet werden – bei der Festlegung einzelner Maßnahmen im Betrieb Beteiligungsrechte des Betriebsrats, insbesondere die in § 87 Abs. 1 BetrVG statuierten Mitbestimmungsrechte, bestehen.
Welche Schwierigkeiten sich für einzelne Unternehmen ergeben, wird allerdings stark von der konkreten Ausgestaltung der auf der Basis des Entwurfs ausgearbeiteten Rechtsvorgaben abhängen. Hier besteht viel Konkretisierungs- und wohl auch Überarbeitungsbedarf, auch damit die notwendige Rechtssicherheit erreicht werden kann. Nach dem Schreiben des BMAS soll der genannte Schutzstandard dem „Corona Kabinett“ als Entscheidungsgrundlage vorgelegt werden. Parallel dazu sollen die darin bislang (allgemein) dargelegten Anforderungen „branchenspezifisch konkretisiert“ werden.
Schwierigkeiten bei der Umsetzung werden Wiedereröffnung verhindern
Bleibt es bei den bislang vorgesehenen Vorgaben, werden einige Betriebe weiterhin nicht öffnen können, da sich die angedachten Maßnahmen in einzelnen Branchen nicht vollständig umsetzen lassen. Dazu gehören insbesondere Friseurläden, Fußpflege- und Nagelstudios sowie ähnliche Betriebe, bei denen körperliche Nähe zum Kunden unvermeidbar ist.
Andere Vorgaben werden, wenn sie so wie in dem Entwurf vorgesehen umgesetzt werden, gerade kleine Betriebe vor besondere Herausforderungen stellen. Dazu gehört beispielsweise, dass sich der Arbeitgeber „fachkundig zu unterstützen lassen“ hat (sic!), mithin also eine entsprechende Pflicht statuiert wird, solche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Gerade für kleine Betriebe kann das bedeuten, dass sie vor Aufnahme oder Weiterführung der Tätigkeit zunächst externe Berater hinzuziehen müssen.
Bei anderen Betrieben wird es schwierig, alle Maßnahmen umzusetzen. So können schon die Abstandsvorgaben in Arbeits- und Pausenräumen sowie Kantinen eine unüberwindbare Hürde für eine uneingeschränkte Aufnahme oder Fortführung betrieblicher Tätigkeiten darstellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich die Mitarbeiterzahl vor Ort nicht durch Maßnahmen wie Homeoffice (massiv) reduzieren lässt und sich auch Arbeitsabläufe und Pausen zeitlich nicht so entzerren lassen, dass den Vorgaben Genüge getan werden kann. Das aber entspricht – zu recht – auch der Intention des BMAS: „Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten müssen oberste Priorität beim Hochfahren der Wirtschaft haben.“
Schwierigkeiten werden sich auch durch andere Vorgaben ergeben und es wird für einzelne Betriebe viel davon abhängen, wie schnell andere Unternehmen ihre Produktionskapazitäten erweitern oder gegebenenfalls auch auf neue Produkte umstellen können. Wenn nach den geplanten Vorgaben etwa Desinfektionsspender zur Verfügung zu stellen „sind“ (sic!), setzt das voraus, dass Desinfektionsmittel in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
Ein erster (Ent-)Wurf
Insgesamt erscheinen die vorgesehenen Maßnahmen allerdings im Wesentlichen sachgerecht, auch wenn viele Detailfragen noch zu klären sind. Insofern ist zu hoffen, dass die Vorschläge der eingebundenen Verbände und Institutionen dazu beitragen, solche Fragen zu klären und auch darauf bedacht sind, besondere Situationen in einzelnen Branchen und Betrieben zu berücksichtigen.
Begrüßenswert ist der Vorschlag des BMAS, während der „Corona-Lage“ einen Beraterkreis einzurichten, um schnell und fundiert auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Hier ist zu wünschen, dass zu den in dem Schreiben des BMAS genannten „weitere(n) Sachverständigen“ auch Praktiker aus Unternehmen verschiedener Branchen gehören, damit die Anforderungen und Schwierigkeiten in einzelnen Betrieben stets mitbedacht werden können.
Unabhängig von den sich daraus hoffentlich ergebenden Verbesserungen für den Gesundheitsschutz ist aber klar, dass ein Hochfahren der Wirtschaft auf das Niveau vor der „Corona-Lage“ so bald nicht möglich ist. Man kann auch bezüglich Wirtschaftsleistung und Arbeitsplätzen nur hoffen, dass die Krise insgesamt bald ein Ende findet. Nur ist dieses derzeit leider nicht absehbar.
[16. April 2020: Finale Fassung veröffentlicht
Infolge einer Pressekonferenz am 16. April 2020 hat das BMAS zwischenzeitlich die finale Fassung des hier kommentierten Arbeitsschutzstandards herausgeben.]