Das Thema
Nachhaltigkeit steht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung und gewinnt dadurch auch an wirtschaftlichem Wert. Unternehmen erkennen zunehmend ihre Verantwortung, sich mit Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) auseinanderzusetzen (vgl. z.B. den EFAR-Beitrag „Delegierte Verordnung über ESG-Berichtserstattung: Finale Entwürfe der EU-Kommission“). Ein Bereich, in dem ESG-Prinzipien effektiv integriert werden können, sind Vergütungssysteme. Dabei geht die Implementierung eines nachhaltigen Vergütungssystems über das bloße Abhaken eines weiteren ESG-Schlagworts hinaus. Durch die Einbindung von ESG-Prinzipien in die Vergütungsstruktur können Unternehmen nicht nur einen positiven Wandel bewirken, sondern auch regulatorische Anforderungen erfüllen und den Erwartungen der Stakeholder gerecht werden.
Der regulatorische Druck steigt
Sowohl nationale als auch internationale Regulierungen betonen inzwischen die Bedeutung von ESG-Aspekten in Vergütungssystemen:
- VorstAG: Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) hat bereits seit 2009 zur Einbeziehung (Integration) von Nachhaltigkeit in die Vergütungsstruktur börsennotierter Unternehmen geführt.
- ARUG II: Die 2017 eingeführte Zweite Aktionärsrichtlinie (ARUG II) zur Stärkung der Aktionärsbeteiligung und Erhöhung der Transparenz sieht neben einem generellen Mitspracherecht der Aktionäre auch vor, dass die Vergütungsstruktur der Vorstände börsennotierter Gesellschaften auf eine „nachhaltige“ und „langfristige“ Unternehmensentwicklung auszurichten sind. Deutschland hat diese Richtlinie bereits umgesetzt.
- Finanzmarkt: Finanzmarktteilnehmer nehmen in ihre Vergütungspolitik Informationen darüber auf, wie diese Politik mit der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken vereinbar ist, und veröffentlichen diese Informationen auf ihren Websites gemäß der EU-Verordnung über die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen im Finanzdienstleistungssektor (2019/2088).
- DCGK: Darüber hinaus definiert der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) einen langfristigen und nachhaltigen Vergütungsansatz, der in der Praxis als wertvolle Orientierungshilfe für Vorstände und Aufsichtsräte anerkannt ist.
- CSDDD: Zuletzt hat das Europäische Parlament im April 2024 die Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) formell verabschiedet, die große Unternehmen mit bedeutenden Aktivitäten in der EU gesetzlich verpflichtet, in ihren eigenen Betrieben und in ihren Lieferketten eine menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltsprüfung durchzuführen. In Deutschland ist dies bereits auf nationaler Ebene durch das Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) geregelt.
- Selbstverpflichtung: Auch Unternehmen, die rechtlich nicht den genannten Gesetzen unterliegen, haben sich häufig bereits Nachhaltigkeitsziele im Sinne einer Selbstverpflichtung gesetzt.
Vorgehen und Ziele
Unternehmen verfügen bei der Implementierung nachhaltiger Vergütungssysteme über einen erheblichen Ermessensspielraum. Der erste Schritt besteht darin, das Management für die spezifischen Implikationen der ESG-Compliance für das Unternehmen zu sensibilisieren und die Perspektiven von Kunden, Aktionären, Investoren und Mitarbeitern zu berücksichtigen. Dies gelingt häufig durch die Hervorhebung des steigenden Geschäftswerts der ESG-Compliance, da diese oft erst dann mehr als ein Schlagwort ist, wenn sie zur Rendite beiträgt.
Die Auswahl der Nachhaltigkeitskriterien und -ziele ist so individuell wie die Branche und das Unternehmen selbst. Jedes Unternehmen kann eigene Nachhaltigkeitsziele wählen. Die Kombination und Gewichtung der einzelnen Nachhaltigkeitsziele muss unternehmensspezifisch und branchenabhängig erfolgen. Für ein Industrieunternehmen können diese Ziele ganz anders aussehen als für ein Dienstleistungsunternehmen.
Die folgenden ESG-Ziele werden regelmäßig verwendet, um Nachhaltigkeitsaspekte bei der Festlegung der Vergütung zu berücksichtigen:
- Umwelt: Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, zur Verringerung der Treibhausgasemissionen oder zur Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen
- Soziales: Maßnahmen in den Bereichen Vielfalt, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit
- Governance (Unternehmensführung): Maßnahmen im Bereich Compliance, bei der Einführung von Whistleblower-Systemen, Korruptions- und Bestechungsprävention, Risikomanagementsystemen oder im Bereich nachhaltiger Lieferketten, sowie im Bereich der internen Kommunikation
Vergütungsstrukturen anpassen
Die erste (offensichtliche) Möglichkeit, ESG-Ziele in die Vergütungsstruktur zu integrieren, besteht darin, variable Vergütungen zu nutzen. Diese können entweder in Form eines kurzfristigen Anreizplans (Short Term Incentive Plan – STIP) oder eines langfristigen Anreizplans (Long Term Incentive Plan – LTIP) erfolgen. Kurzfristige Ziele, wie die Implementierung von Governance-Richtlinien, eignen sich besser für den STIP, während langfristige Ziele, wie die Reduktion von CO2-Emissionen, besser im LTIP aufgehoben sind. In beiden Plänen werden ESG-Ziele in der Regel mit finanziellen und operativen Zielen kombiniert, wobei die Erreichung von ESG-Zielen z.B. als Multiplikator oder als Zusatzvergütung ausgelobt wird.
Die Grundvergütung kann ebenfalls die soziale Verantwortung des Unternehmens widerspiegeln, jedenfalls soweit dies gesetzlich zulässig ist. Unternehmen können die Grundvergütung so gestalten, dass sie den ESG-Prinzipien entspricht und Fairness sowie Gleichberechtigung bei der Vergütung betont. Auch Gehaltserhöhungen können an das Erreichen von ESG-Zielen gekoppelt werden.
Darüber hinaus lässt sich Nachhaltigkeit durch zusätzliche Leistungen fördern, wie Sonderurlaub, Firmenwagen oder Incentive-Veranstaltungen. Auch die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen kann als Kriterium für Beförderungen herangezogen werden.
Klare Anreize schaffen
Während in der Praxis ESG-Kriterien in der Regel bei der Vorstandsvergütung und/oder dem oberen/mittleren Management anzutreffen sind, können derartige Anreize auch für die gesamte Belegschaft geschaffen werden. Jeder Mitarbeiter kann motiviert und finanziell belohnt werden, wenn er in seinem Verantwortungsbereich zur Erreichung der festgelegten ESG-Ziele beiträgt.
Um einen deutlichen Anreiz für die Umsetzung einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie zu schaffen, wird generell empfohlen, dass ESG-Ziele etwa 10-30 % der gesamten variablen Vergütung ausmachen. Ein Beispiel hierfür ist die Siemens Energy AG, bei der 20 % der langfristig variablen aktienbasierten Vorstandsvergütung mit der Erreichung der bestimmter ESG-Ziele (konkret: Dekarbonisierung, Mitarbeiterengagement und Gender-Diversität) verknüpft sind. Ebenso zeigt das Vergütungssystem 2024 der Adidas AG, das 20 % des LTIP-Bonus für Vorstandsmitglieder an individuell vereinbarte und messbare ESG-Ziele gekoppelt sind.
Die ESG-Ziele sollten nach dem SMART-Prinzip (spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und zeitgebunden) formuliert sein. Gerade auch um Streit um deren Zielerreichungsgrad zu vermeiden, ist entscheidend, dass Ziele klar messbar sind. Daher müssen spezifische Kennzahlen oder Leistungsindikatoren definiert werden, anhand derer der Fortschritt bewertet werden kann. Beispiele hierfür sind: „Reduktion des Wasserverbrauchs um 20 % bis 2025“, „Umstellung von 50% der Fahrzeugflotte auf E-Fahrzeuge“ oder „Einführung eines Verhaltenskodex für Lieferanten bis Ende 2024“.
Arbeitsrechtliche Aspekte
In arbeitsrechtlicher Hinsicht muss man bei der Einführung ESG-basierter Vergütungssysteme das übliche Normenprogramm berücksichtigen:
- Gleiches Entgelt und Anti-Diskriminierung: Es versteht sich von selbst, dass die Umsetzung eines ESG-basierten Vergütungssystems nicht gegen Gleichstellungsrechte verstoßen oder aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder anderen geschützten Merkmalen diskriminieren darf.
- Tarifvertragliche Vereinbarungen: Mit Ausnahme der Vergütung von leitenden Angestellten wird die Vergütung in manchen Unternehmen durch Tarifverträge geregelt, was natürlich weniger Handlungsspielraum bedeutet. In der Regel unterstützen Gewerkschaften jedoch die Einhaltung von ESG-Richtlinien, so dass unternehmensspezifische Vergütungsregelungen gegebenenfalls durch Betriebsvereinbarungen oder firmenbezogenen tarifliche Regelungen umgesetzt werden können.
- Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats: Fragen der Vergütungsstruktur unterliegen dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und dürfen nicht ohne dessen Zustimmung für die gesamte Belegschaft umgesetzt werden (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Dies gilt z.B. bei der Berücksichtigung von ESG-Zielen bei der Vergütung, aber auch bei der Einführung von Job-Bikes oder Jobtickets zur Förderung eines klimafreundlichen Arbeitsweges.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Angesichts der zunehmenden Verantwortung von Unternehmen in diesem Bereich empfiehlt es sich, Vergütungssysteme um Anreize zur Erreichung von ESG-Zielen zu erweitern und anzupassen, beispielsweise durch variable Vergütung und/oder zusätzliche Leistungen. Arbeitgeber haben einen erheblichen Spielraum dabei – die einzelnen Nachhaltigkeitsziele können unternehmensspezifisch und branchenabhängig gewichtet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Ziele messbar sind und die üblichen arbeitsrechtlichen Vorgaben, z.B. zu Diskriminierung, kollektiven Regelungen und Mitbestimmung, eingehalten werden.