Das Thema
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist; hilfsweise begehrte die Beklagte die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG.
Sachverhalt
Der Kläger war seit vielen Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war seit Jahren durch eine Vielzahl von Konflikten geprägt. Frühere verhaltensbedingte Kündigungen erwiesen sich als unwirksam. Im Jahr 2018 scheiterte ein Versuch der außergerichtlichen Mediation, der die Zusammenarbeit des Klägers mit Kollegen thematisierte. Auch ein Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX im Jahr 2019 blieb ohne Ergebnis.
Im Jahr 2023 eskalierten die Spannungen: Am 17.07.2023 kam es zu einer Unterschriftensammlung von Mitarbeitern, welche die Entfernung des Klägers aus dem Dienst forderte. Der Hintergrund dieser Aktion war zwischen den Parteien umstritten. Zudem beschwerte sich der Kläger am 13.10.2023 nach § 84 BetrVG über wiederholte Manipulationen an seinem Arbeitsplatz, darunter beschädigte Arbeitsmittel und mutwillige Störungen. Die Beklagte erkannte die Beschwerde an und es folgte ein Gespräch mit den Beschäftigten des Standorts, dessen Inhalt ebenfalls strittig war. Ende 2023 scheiterte schließlich auch der Versuch einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Mediation, wobei die Gründe hierfür zwischen den Parteien umstritten blieben. Nach Anhörung von Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung sowie der Zustimmung des Integrationsamts kündigte die Beklagte dem Kläger außerordentlich mit Auslauffrist.
Das ArbG Hannover erklärte die Kündigung in seinem Urteil vom 29.08.2024 (2 Ca 19/24) für unwirksam, da weder die Voraussetzungen einer Druckkündigung noch sonstige Kündigungsgründe vorlagen. Das LAG Niedersachsen (Urt. v. 13.05.2025 – 10 Sla 687/24) bestätigte die Entscheidung.
Rechtliche Einordnung: Druckkündigung und Fürsorgepflicht
Eine echte Druckkündigung setzt voraus, dass Dritte (z.B. Belegschaft oder Kunden) vom Arbeitgeber unter Androhung erheblicher Nachteile (z.B. Streik, Massenkündigungen) die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen. Ersterer darf dieser Forderung nicht vorschnell nachgeben, sondern muss sich aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht schützend vor den betroffenen Beschäftigten stellen und alles Zumutbare unternehmen, um den Druck abzuwehren. Nur wenn trotz solcher Maßnahmen weiterhin mit schweren wirtschaftlichen Schäden zu rechnen ist und keine milderen Mittel bestehen, kann eine Druckkündigung gerechtfertigt sein (vgl. BAG, Urt. v. 18.07.2013 – 6 AZR 420/12).
Von einer unechten Druckkündigung spricht man, wenn ein vom Mitarbeiter verursachter Konflikt als Kündigungsgrund herangezogen wird und andere Arbeitnehmer diesen Umstand lediglich als Anlass für ihr Verlangen auf Kündigung nutzen. In diesen Fällen ist eine Kündigung ausschließlich nach den Maßstäben der personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Kündigung zu prüfen (vgl. BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 2 AZR 431/15).
Entscheidung des LAG Niedersachsen
Das LAG Niedersachen wies die Berufung zurück und sah weder die Voraussetzungen einer echten noch einer unechten Druckkündigung als erfüllt an.
Hinsichtlich der echten Druckkündigung stellte das Gericht fest, dass die Beklagte nicht alles Zumutbare unternommen habe, um den Druck der Belegschaft abzuwehren. Die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen – eine Bereichsversammlung, das Angebot einer weiteren Mediation, ein Schreiben der Geschäftsführung an die Belegschaft sowie die Zurechtweisungen einzelner Mitarbeiter – genügten den hohen Anforderungen an die Fürsorgepflicht nicht. Erforderlich wären vielmehr planmäßige und ernsthafte Bemühungen gewesen, das Betriebsklima nachhaltig zu verbessern und die Belegschaft von ihren Forderungen abzubringen.
Auch die Voraussetzungen einer unechten Druckkündigung lagen nach Auffassung des Gerichts nicht vor, da die Beklagte nicht substantiiert darlegen konnte, dass der Kläger ein Verhalten gezeigt habe, das eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung hätte rechtfertigen können. In jedem Fall wäre eine Abmahnung als milderes Mittel vorrangig gewesen.
Schließlich scheiterte auch der hilfsweise gestellte Antrag der Beklagten auf gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses, da nach § 9 KSchG nur der Arbeitnehmer einen solchen Antrag stellen kann, wenn eine außerordentliche Kündigung unwirksam ist.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht erneut die strengen Maßstäbe der Rechtsprechung an Druckkündigungen. Der Arbeitgeber darf Forderungen der Belegschaft nicht unkritisch übernehmen, sondern ist vielmehr verpflichtet, aktive und ernsthafte Maßnahmen zum Schutz des betroffenen Beschäftigten zu ergreifen. Hierzu zählen insbesondere
- klare und verbindliche Stellungnahmen gegenüber der Belegschaft,
- nachhaltige Strategien zur Konfliktlösung sowie
- gegebenenfalls die Einschaltung externer Stellen.
Nur wenn trotz solcher Maßnahmen weiterhin eine konkrete und erhebliche Gefährdung des Betriebs droht, kann eine Druckkündigung als Ultima Ratio gerechtfertigt sein. Gerade bei langjährigen Konflikten genügt es nicht, pauschal auf eine „erschöpfte Situation“ zu verweisen; vielmehr ist ein belegbares, systematisches und zielgerichtetes Vorgehen erforderlich, um den betroffenen Mitarbeiter wirksam zu schützen.
Fazit
Das LAG setzt in seiner Entscheidung die Hürden für eine echte Druckkündigung derart hoch, dass Unternehmen in vergleichbaren Situationen faktisch kaum noch rechtssicher handeln können. Gerade wenn eine Belegschaft über Jahre hinweg wiederholt massiven Druck auf die Unternehmensleitung ausübt und das Betriebsklima nachhaltig schädigt, muss es dem Arbeitgeber möglich sein, auf diese Umstände zu reagieren, ohne unzumutbare wirtschaftliche Risiken in Kauf zu nehmen. Zwar ist die Fürsorgepflicht gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer zu beachten, doch darf sie nicht dazu führen, dass die Interessen der übrigen Belegschaft und die Funktionsfähigkeit des Betriebs nahezu vollständig hintangestellt werden. Dass das Gericht selbst planmäßige Versammlungen, Mediationen und schriftliche Stellungnahmen der Geschäftsführung als unzureichend bewertet hat, erscheint überzogen und lässt die praktische Handlungsfähigkeit im Falle innerbetrieblicher Eskalationen außer Acht. Die Entscheidung verlangt letztlich ein kaum erfüllbares Maß an Konfliktbewältigung, das in der betrieblichen Realität weder planbar noch vollständig durchsetzbar ist. Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass Arbeitgeber in ähnlichen Situationen in eine unauflösbare Zwickmühle geraten: Geben sie dem Druck nach, riskieren sie eine Unwirksamkeit der Kündigung, versuchen sie dagegenzuhalten, drohen betriebliche Blockaden und erhebliche Störungen des Betriebsfriedens.