H&M mag es locker
Soll man alle Kollegen „duzen“ oder doch besser alle „siezen“? Oder vielleicht nur manche „duzen“, andere „siezen“? Diese Fragen hat sich wohl schon jeder Arbeitnehmer gestellt – und ganz individuell beantwortet. Was aber kann man tun, wenn das Unternehmen darauf besteht, dass man zu seinen Kollegen „Du sagt“, obwohl man das nicht will? Diese Frage musste das LAG Hamm (Urteil vom 29.7. 1998, 14 Sa 1145/98) beantworten.
Der Kläger war als Abteilungsleiter in der Filiale eines Bekleidungsunternehmens angestellt, das – so die Ausführungen im Tatbestand der Entscheidung – „einen konventionellen klassischen Stil pflegte, der insbesondere auch ein Publikum mittleren Alters ansprach“. Später wurde diese Filiale von H&M übernommen, ein Unternehmen, das nach den Darlegungen im Urteil des LAG Hamm „auf ein unkonventionelleres, preisbewußtes jüngeres Publikum“ setzt. Das Arbeitsverhältnis des Abteilungsleiters ging im Rahmen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB auf H&M über.
H&M legt im „Umgang der Mitarbeiter und Vorgesetzten untereinander (…) Wert auf einen betont kollegialen Stil, der den Abbau von Hierarchien zum Ziel hat. Sämtliche Belegschaftsmitglieder duzen sich untereinander.“ Und das wurde der Belegschaft unmittelbar nach dem Betriebsübergang in einer Betriebsversammlung auch mitgeteilt. In der Folgezeit sprachen sich die Mitarbeiter, einschließlich des Klägers, dementsprechend mit dem Vornamen an und „duzten“ sich.
Arbeitnehmer wünscht korrekte Umgangsformen
Nach knapp zwei Jahren ließ der Filialleiter dann aber dem Unternehmen durch seinen Rechtsanwalt mitteilen, dass er Wert darauf legt, dass „korrekte Umgangsformen gewahrt werden“. Er wolle sich „nur mit denjenigen Freunden und Mitarbeitern duzen (…), die er hierfür auswählt“. Die Firma H&M sollte die Mitarbeiter in der Filiale anweisen, ihn mit „Sie“ anzusprechen, es sei denn er biete einzelnen Mitarbeitern ausdrücklich das „Du“ an.
H&M lehnte das ab, woraufhin der Arbeitnehmer gegen das Unternehmen klagte. Vor dem Arbeitsgericht Rheine unterlag er und auch die Berufung blieb ohne Erfolg.
Danach ist dem Kläger durchaus „darin zu folgen, daß im deutschen Kulturkreis ein Selbstbestimmungsrecht des (erwachsenen) Individuums anzuerkennen ist, zu wählen, in welcher Weise es angeredet werden will. Denn bekanntermaßen existieren zwei mögliche Anredeformen, das „Du“ und das „Sie“, die in der Regel mit der Anrede beim Vornamen oder Nachnamen korrespondieren. Dieses Selbstbestimmungsrecht hat aber relativ enge Grenzen, denn es ist eingebettet in diejenigen Gebräuche, die im jeweiligen Beziehungskreis des Betroffenen üblich sind. Jemand, der beispielsweise in eine Gewerkschaft eintritt, als Bauarbeiter in einer Kolonne mitarbeitet oder als Sportler in einer Gemeinschaft mitspielt, muß sich üblicherweise gefallen lassen, daß er geduzt wird. Schon diese Beispiele zeigen, daß das Anredeselbstbestimmungsrecht kein absolutes ist. Ein Vergleich mit anderen Kulturkreisen, bei denen es nur eine Anredeform gibt, unterstreicht dies nur.“
Weder kollektiv- noch individualarbeitsrechtliche Bedenken
Der Betriebsrat habe die von H&M „initiierten neuen Umgangsformen offensichtlich mitgetragen, so daß eine formlose Regelungsabrede in der Mitbestimmungsangelegenheit gemäß § 87 I Nr. 1 BetrVG vorliegt“. Einen Anspruch gesiezt zu werden hätte der Arbeitnehmer daher nur, „wenn dieser Inhalt seines bisherigen Arbeitsverhältnisses gewesen sein sollte“.
Es könne allerdings „schwerlich davon ausgegangen werden, daß die Anredeform Gegenstand des bisherigen Vertragsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Firma D war“. Entscheidend sei aber letztlich, dass der Beschäftigte die „eingeführten neuen Umgangsformen akzeptiert hat“ – zumindest zunächst. Und insofern komme es auch nicht darauf an, ob dies – wie der Arbeitnehmer behauptete – mit Widerwillen geschah. Denn nach außen in Erscheinung getreten ist dieser Widerwille lange Zeit nicht.
Er hätte also schneller reagieren müssen. Hat er aber nicht. Und damit bleibt in der H&M-Filiale alles beim Neuen – ob es ihm passt oder nicht.
Aktuelle Buchveröffentlichung des Autors (Prof. Dr. jur. Arnd Diringer):