Paar lebt in einer “offenen Ehe”
„Zwar ist der Tätigkeit als Busfahrer immanent, dass man von vielen Personen auch gesehen wird. Das Risiko, dabei vom Ehemann der Frau erkannt zu werden, mit der man ein Verhältnis hat, ist jedoch keine beschäftigungstypische Gefahr.“ Diese Erkenntnis verdanken wir dem Landessozialgericht Bayern (Urt. v. 14.04.2021- L 3 U 344/17). Das hat entschieden, dass es sich nicht um einen Arbeitsunfall handelt, wenn der so erkannte Liebhaber von dem Ehegatten seiner Geliebten an seinem Arbeitsplatz angegriffen wird.
Der Busfahrer hatte vor der Attacke ein ca. ein bis zwei Monate dauerndes sexuelles Verhältnis mit der Ehefrau des späteren Täters. Die lebte nach den Feststellungen des Gerichts mit ihrem Mann in einer sogenannten „offenen Ehe“. Was damit gemeint ist erklärt Wikipedia:
„Eine offene Beziehung oder offene Partnerschaft bezeichnet eine Beziehung (gewöhnlich zwischen zwei Personen), in der die Beteiligten voneinander wissentlich die Freiheit haben, auch andere Partner, insbesondere Sexualpartner, zu haben. Ist ein Paar, das eine offene Beziehung vereinbart hat, verheiratet, handelt es sich um eine offene Ehe.“
Theorie und Praxis
So richtig geklappt hat das bei dem Täter und seiner Frau aber nicht. Zumindest hegte der Ehemann wohl ein gewisses Misstrauen. Er installierte zunächst im Garten, später in der Wohnung eine Wildkamera. Dadurch erfuhr er, dass seine Frau sich mit dem Busfahrer in den ehelichen vier Wänden getroffen und ihn dort geküsst hatte. Und nicht nur das: Die Bilder zeigten auch, dass sich die Ehefrau und ihr Liebhaber in der Wohnung gemeinsam Familienfotos angeschaut haben.
Begeistert war der Ehemann von alledem nicht. Und nachdem er seinen Nebenbuhler durch Zufall während dessen Tätigkeit an einer Bushaltestelle gesehen hatte, kam es zum Streit mit seiner Frau. Dabei bezeichnete der Familienvater sie als „Hure“ und „Schlampe“ und warf ihr neben dem Verhältnis mit dem Busfahrer vor, fremde Männer, von denen sie nicht wüsste, ob sie eventuell Pädophile seien, mit nach Hause gebracht zu haben. Bei diesem Streit wurde seine Frau auch leicht verletzt. Er stellte ihr aber am nächsten Tag in Aussicht, dass er ihr verzeiht, wenn sie die Affäre beendet.
Was seine Frau von diesem Vorschlag hielt, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Es spricht aber viel dafür, dass sie die außereheliche Beziehung tatsächlich beenden wollte. Jedenfalls fuhr sie tags darauf mit ihrem Mann zu einer Bushaltestelle, damit dieser ihren Liebhaber zu Rede stellen konnte. Und für dieses Gespräch nahm der gehörnte Ehemann drei Messer und einen Gasrevolver mit.
Liebhaber verloren, Mann weggesperrt
Als der Busfahrer die Tür des Fahrzeugs öffnete, stieg das Ehepaar ein. Der Mann forderte von seinem Rivalen zunächst, dass der ihm seinen Pass und sein Mobiltelefon aushändigt, wohl um genauere Informationen über ihn zu erhalten. Nachdem der Busfahrer das ablehnte, stach der Mann zu und zwar in schneller Folge drei Mal in den Oberkörper – ein versuchter Mord, wie das Landgericht Nürnberg Fürth (Urt. v. 25.02.2016 – 5 Ks 105 Js 1031/15) feststellte.
Neben den körperlichen Folgen führte das bei dem Busfahrer zu einer mittelschweren depressiven Episode, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer chronischen Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren. Als Arbeitsunfall wurde das Ereignis aber nicht anerkannt. Deshalb zog der Busfahrer vor Gericht.
Erfolg hatte er aber weder beim Sozialgericht Nürnberg (Urt. v. 09.10.2017 – S 2 U 253/16), noch beim Landessozialgericht Bayern. Wie das LSG ausführte, kam es nicht „infolge“ einer versicherten Tätigkeit zu dem Überfall, so dass die für die Anerkennung als Arbeitsunfall notwendige sogenannte Unfallkausalität fehlt. Der Angriff erfolgte aus rein privaten, nicht berufsbezogenen Motiven heraus.
Eine erwartbare, für den betroffenen Busfahrer aber natürlich bittere Entscheidung. Und da dürfte es für ihn auch kaum tröstlich sein, dass der Ehemann seiner Geliebten wegen der Tat zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt wurde.
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