Das Thema
Bekanntlich hat der EuGH entschieden, dass es den Mitgliedstaaten obliege, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann (Urt. v. 14.05. 2019 – C-55/18; Anm. d. Red.: vgl. dazu auch „EuGH: EU-Staaten müssen Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichten – Die wichtigsten Fragen“). Diese Entscheidung wurde durch den deutschen Gesetzgeber bislang nicht in nationales Recht umgesetzt (Anm. d. Red.: vgl. „Arbeitszeiterfassung: Der Regelungsvorschlag des BMAS zur gesetzlichen Ausgestaltung“).
In der Folge haben mehrere Gerichte entschieden, dass die Entscheidung des EuGH keine Auswirkungen auf die prozessuale Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess hat (zuletzt LAG Niedersachsen, Urt. v. 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20, Revision zugelassen, und LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.02.2021 – 8 Sa 169/20). Das BAG wird die Reichweite der Entscheidung des EuGH und damit dessen praktischen Auswirkungen noch vor dem Gesetzgeber klären (Anm. d. Red.: vgl. „Arbeitszeiterfassung: Arbeitsgerichte überholen Gesetzgeber“).
Die Entscheidung des EuGH hat aber auch Auswirkungen auf die Gestaltung von Arbeitszeitmodellen. Denn mit einer Erfassung der Arbeitszeit wird diese “sichtbar” und “schlägt” damit auf die Vergütungsebene durch. Auf der anderen Seite funktionieren flexible Arbeitszeitmodelle häufig nur mit einer (elektronischen) Erfassung der Arbeitszeit, die eine Saldierung von Guthaben ermöglicht.
Bisher: Kein Initiativrecht des Betriebsrats
Aber: Nicht jeder Arbeitgeber will eine solche elektronische Arbeitszeiterfassung – im Gegensatz zu manchem Betriebsrat. Bislang konnten Arbeitgeber Forderungen von Betriebsräten nach Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung unter Verweis auf die Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 18.11.1989 – 1 ABR 97/88) und des LAG Niedersachsen (Beschl. v. 22.10.2013 – 1 TaBV 53/13) zurückweisen (Anm. d. Red.: vgl. auch „Arbeitszeiterfassung: Ab sofort und mit Betriebsrat?“).
Und nun: Ein Hammer aus Hamm!
Dies könnte sich nun ändern. Denn das LAG Hamm legt § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG weit aus und erkennt ein Initiativrecht des Betriebsrats an (Beschl. v. 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20). Die Revision zum BAG wurde zugelassen.
What´s next?
Ich halte die Entscheidung für falsch. Das “Ob” der Einführung technischer Einrichtungen muss dem Arbeitgeber vorbehalten bleiben. Ein Initiativrecht würde das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unzulässig erweitern und einen Eingriff in mitbestimmungsfreie unternehmerische Entscheidungen darstellen. Im Bereich der Arbeitszeitgestaltung hätte ein Initiativrecht des Betriebsrats zudem weitreichende Konsequenzen für Arbeitgeber – insbesondere bei der Gestaltung von Vertrauensarbeitszeitmodellen. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG der extensiven Auslegung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einen Riegel vorschiebt. Arbeitgeber, die sich mit der (Neu-)gestaltung ihrer Arbeitszeitmodelle befassen, sollten diese Entwicklung im Auge behalten.
Anm. d. Red.: Vgl. zu diesen Themen zudem auch die #EFAR-Beiträge