Das Thema
Eine Arbeitnehmerin arbeitete seit dem 01.03. 2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Unternehmens. Die Grundvergütung betrug zum Tätigkeitsbeginn 3.500 Euro brutto. In dem Unternehmen waren zwei weitere männliche Arbeitnehmer ebenfalls als Außendienstmitarbeiter tätig. Einer der beiden nahm nahezu zeitgleich, zum 01.01. 2017, mit der Arbeitnehmerin seine Tätigkeit auf. Auch diesem hatte die Arbeitgeberin zunächst eine Grundvergütung in Höhe von 3.500 Euro brutto angeboten. Dies lehnte der Arbeitnehmer allerdings ab und erhielt auf Grund seines guten Verhandlungsgeschicks ein erhöhtes Grundgehalt in Höhe von 4.500 Euro brutto. Dies begründete die Arbeitgeberin damit, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei.
Mit ihrer Klage machte die Arbeitnehmerin die Zahlung rückständiger Vergütung für die streitgegenständliche Zeit von März 2017 bis Juli 2019 in Höhe der jeweiligen Differenz zwischen ihrem Gehalt und dem Gehalt des männlichen Kollegen geltend. Sie begründete ihr Begehren damit, dass sie ein ebenso hohes Grundgehalt verdiene wie ihr männlicher Kollege, da beide die gleiche Arbeit verrichten. Daneben verlangte die Arbeitnehmerin die Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000 Euro, da sie hinsichtlich des Gehalts auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Vor dem ArbG Dresden und dem Sächs. LAG wurde die Klage abgewiesen.
BAG: Benachteiligung aufgrund des Geschlechts
Jedoch war die Revision der Arbeitnehmerin vor dem BAG erfolgreich (Urt. v. 16.02.2023 – 8 AZR 450/21). Das Gericht bejahte die geschlechterspezifische Benachteiligung der Arbeitnehmerin mit der Begründung, dass, obgleich die Arbeitnehmerin und ihr männlicher Kollege gleiche Arbeit verrichteten, die Frau eine niedrigere Vergütung erhalten habe als ihr männlicher Kollege. Aus diesem Grund hat die Arbeitnehmerin nach Ansicht des BAG einen Anspruch gemäß Art. 157 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), § 3 Abs. 1 und § 7 Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) auf eine gleich hohe Vergütung wie ihr männlicher Kollege. Dass die Arbeitnehmerin trotz gleicher Arbeit ein niedrigeres Grundgehalt erhalten habe, begründe die Vermutung, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei. Nach Ansicht des BAG ist der Arbeitgeberin die Widerlegung dieser Vermutung insbesondere nicht mit der Begründung gelungen, dass der männliche Arbeitnehmer ein besseres Verhandlungsgeschick hatte oder einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Hinsichtlich der Zahlung einer Entschädigung auf Grund der geschlechterspezifischen Benachteiligung hat das BAG der Arbeitnehmerin eine Entschädigung in Höhe von 2.000 Euro zugesprochen.
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung des BAG zielt darauf ab, die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern zu beseitigen. Das BAG entschied nun über die bislang nicht geklärte Frage, ob ein besseres Verhandlungsgeschick eine individuelle Eigenschaft einer jeden Arbeitnehmerin oder eines jeden Arbeitnehmers ist oder es sich als geschlechterspezifische Benachteiligung auffassen lässt. Das BAG hat gezeigt, dass nach seiner Ansicht allein das Verhandlungsgeschick kein geeignetes objektives Differenzierungskriterium zur Rechtfertigung einer Entgeltungleichheit darstellt. Hierdurch wird die Privatautonomie bei dem Abschluss von Arbeitsverträgen zugunsten des Gebots der Entgeltgleichheit eingeschränkt. Sinn und Zweck des Gebots der Entgeltgleichheit ist, die bestehende Differenz zwischen den Gehältern von Männern und Frauen zu schließen. Dies würde allerdings nicht erreicht, wenn es Arbeitgebern möglich wäre, bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit mit Arbeitnehmern eines Geschlechts individuell eine höhere Vergütung gegenüber Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts zu vereinbaren, ohne dass darüber hinaus weitere objektive Differenzierungskriterien erkennbar sind.
Fazit
Arbeitgeber müssen damit rechnen, dass auch andere Arbeitnehmer möglicherweise nachziehen und versuchen werden, eine geschlechterspezifische Benachteiligung hinsichtlich der Gehaltsverhandlungen geltend zu machen. Daher sollten Unternehmen zukünftig geschlechterspezifische Entgeltungleichheiten wegen des Verhandlungsgeschicks eines Beschäftigten vermeiden. Trotzdem sind Differenzierungen in Bezug auf die Höhe der Vergütung weiterhin zulässig, sofern sie objektiv und geschlechtsneutral begründet sind. Falls noch nicht geschehen, ist Arbeitgebern daher zu empfehlen, ein Entgeltvergütungssystem einzurichten, welches objektive Kriterien für die Vergütungsbemessung aufstellt. Das können zum Beispiel die Betriebszugehörigkeit, erworbene Abschlüsse, Auslandserfahrung oder auch Sprachkenntnisse (falls für das Unternehmen nutzbar) sein. Gutes Verhandeln gehört jedenfalls nicht dazu.