Das Thema
Der Einsatz von Fremdpersonal im Rahmen von Werk- und Dienstverträgen bleibt risikobehaftet. Neben einer Rechtsprechung, die eine selbstständige Leistung in Abgrenzung zu einer Arbeitnehmerleistung zunehmend kritisch sieht, entwickeln sich Prüfmechanismen und gesetzliche Rahmenbedingungen mit hoher Dynamik weiter.
Insbesondere der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Betriebsprüfungen (z.B. KIRA – Künstliche Intelligenz für risikobasierte Arbeitgeberprüfungen), die geplante digitale Aufrüstung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls und neue gesetzliche Vorhaben erhöhen die ohnehin bereits hohe Rechtsunsicherheit für Unternehmen. Nachfolgend ein Überblick über die aktuellen Entwicklungen und ihre Relevanz für die HR-Compliance-Praxis.
BSG-Rechtsprechung: Der Parteiwille verliert weiter an Bedeutung
Die Kriterien für die Abgrenzung zwischen einer selbständigen Leistungserbringung einerseits und einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung andererseits sind seit Jahren im Wandel. Das Bundessozialgericht hat seine Rechtsprechung seit der sog. Erziehungshelfer-Entscheidung im Jahr 2017 bis zur Herrenberg-Entscheidung im Jahr 2022 immer weiter fortentwickelt zu einer nunmehr nahezu ausschließlich tätigkeitsbezogenen Betrachtung, in der personenbezogene Merkmale wie z.B. die Vergütungshöhe, der Parteiwille oder mehrere Auftraggeber als Kriterien für das Bestehen einer selbständigen Leistungserbringung stark an Relevanz abgenommen haben. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) und mit ihr die Sozialgerichte gehen daher immer häufiger von einer abhängigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Sofern die Vertragsparteien aber in diesen Fällen von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und/ oder diese gewollt haben, drohen Nachzahlungen zur Sozialversicherung sowie Lohnsteuern und Umsatzsteuern. Im schlimmsten Fall kommen für die verantwortlichen Personen im Unternehmen sogar Strafbarkeitsrisken wegen der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 266a StGB und/ oder Steuerhinterziehung gem. § 370 AO in Betracht.
DRV testet KIRA: Aufdeckungswahrscheinlichkeit steigt erheblich
In der Vergangenheit sind solche zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen führenden „Scheinselbstständigkeiten“ häufig nicht geahndet worden. Der DRV fehlten in Betriebsprüfungen dafür schlicht die Prüfkapazitäten. Das wird sich in Zukunft aber ändern. Denn die DRV entwickelt mit KIRA (Künstliche Intelligenz für risikobasierte Arbeitgeberprüfungen) ein Tool, das digitale Unternehmensdaten automatisiert und mit KI-Einsatz auf Indizien für Scheinselbständigkeit untersucht. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Daten aus der Lohnbuchhaltung, sondern auch aus der Finanzbuchhaltung. Es werden von KIRA die Auftragnehmer-Rechnungen nach personenbezogenen Time-and-Material-Rechnungen gescannt und diese für eine detaillierte Prüfung des Vertragsstatus herausgefiltert.
Um sich bereits jetzt auf KIRA-Prüfungen durch die DRV möglichst gut vorzubereiten, empfehlen wir den Rechnungsprüfprozess in der Praxis so anzupassen, dass Muster vermieden werden, die auf Scheinselbständigkeit hindeuten könnten:
- Stellen sie sicher, dass konkrete Leistungsgegenstände abgerechnet werden statt nur Personentage oder „Time & Material“.
- Die Leistungsnachweise sollten von den Rechnungen getrennt werden und somit nicht gemeinsam mit den Rechnungen archiviert werden.
- In den Auftragnehmer-Rechnungen sollte stets ein Bezug zum Bestellvorgang hergestellt werden („gemäß Beauftragung vom …“)
- Muster im Gutschriftenverfahren sollten kritisch hinterfragt werden.
Die ersten KIRA-Betriebsprüfungen laufen bereits in einer Pilotphase. Es ist absehbar, dass risikoorientierte Prüfungen der DRV künftig KI-gestützt erfolgen – mit deutlich erhöhter Aufdeckungswahrscheinlichkeit für fehlabgegrenzte Fremdpersonalbeauftragungen.
Gesetzesinitiative zur Schwarzarbeitsbekämpfung: Der Zoll erhält digitale Werkzeuge
Nicht nur die DRV soll im Rahmen der alle vier Jahre stattfindenden Regelbetriebsprüfung geeignetere Prüfwerkzeuge erhalten. Auch das Hauptzollamt soll für Anlassbetriebsprüfungen digital aufgerüstet werden. Ein Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) zur Modernisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung sieht umfangreiche Änderungen vor. Zielsetzung dieser Gesetzänderungen ist ausdrücklich die gesamte Beanstandungsquote aus den Prüfungen des Zoll mindestens zu verdoppeln. Zu erwarten ist daher – ausweislich des Referentenentwurfs – ein Anstieg der aufgedeckten Verstöße wegen Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB mit substanziellen Schadenssummen. Man sollte sich von dem martialischen Namen des Gesetzes („Schwarzarbeit“) nicht täuschen lassen. Denn auch bei hochbezahlter, aber fehlabgegrenzter Tätigkeit von scheinselbständigen IT-Freelancern handelt es sich letztlich um „Schwarzarbeit“.
Kernpunkte des neuen Referentenentwurfs
- Zentrales Risikomanagement & Datenanalyse: Neu eingeführt werden eine zentrale Steuerungsstelle sowie ein operatives Informations- und Datenanalysesystem, das Prüfungen auf Basis von Risikokriterien und unter Einsatz von KI ermöglicht. Der Informationsaustausch unter den Behörden (z.B. DRV, Finanzamt, etc.) wird nochmals verstärkt.
- Systematische Risikoermittlung: Auswahl der Prüffälle nach objektiven und systematisch ermittelten Risikoindikationen (z.B. nach Beschäftigten- und Lohnstruktur, Verhältnis Personalaufwand und Umsatz, Art der Dienst- Werkleistung, etc..).
- Erweiterte Ermittlungsbefugnisse & Mitwirkungspflichten: erhebliche Erweiterung ist geplant, z.B. dürfen Prüfer zukünftig auch unangekündigt Geschäftsräume betreten und elektronisch gespeicherte Daten einsehen – unabhängig vom Speicherort (Cloud-Systeme); Unternehmen müssen zukünftig auch Einsicht in Datenverarbeitungssysteme zulassen.
Der Referentenentwurf soll im August 2025 im Bundeskabinett abgestimmt werden.
Einwilligungsmodell für Lehrkräfte: § 127 SGB IV ohne praktische Wirkung?
Während sich die Prüfkapazitäten für den rechtskonformen Einsatz von Fremdpersonal einerseits verstärken, gibt es aber andererseits auch Tendenzen, die jedenfalls den Anschein erwecken, ggf. zukünftig Fremdpersonal, ohne das Risiko eine Hinterziehung von Sozialbeiträgen bei Abgrenzungsfehlern einsetzen zu können. So hat der Gesetzgeber erstmals für eine Berufsgruppe eine zeitlich befristete Bereichsausnahme geschaffen. In Teilen wird die Hoffnung geäußert, dass nun Bereichsausnahmen für weitere Berufsgruppen, wie z.B. IT-Entwickler, Ingenieure, etc. folgen werden, für die Unternehmens-seitig ebenfalls ein erheblicher Bedarf besteht und die auf dem Arbeitsmarkt derzeit kaum verfügbar sind.
Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 zur Selbständigkeit von Lehrkräften sind auch bei der Statusbeurteilung von Lehrkräften – wie bei jeder anderen Tätigkeit auch – die von der BSG-Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien heranzuziehen (sog. Herrenberg-Urteil). Das hat dazu geführt, dass eine Vielzahl von Bildungseinrichtungen mit erheblichen Beitragsnachforderungen konfrontiert wurden und somit existenziell bedroht waren.
Mit dem neuen § 127 SGB IV hat der Gesetzgeber für Lehrkräfte, Dozenten o.Ä. daher eine Übergangsregelung geschaffen. Danach ist die Versicherungs- und Beitragspflicht von Lehrkräften bis Ende 2026 ausgesetzt, wenn
- die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer Selbständigkeit ausgegangen sind und
- die betroffene Lehrkraft gegenüber dem Bildungsträger der Aussetzung der Versicherungs- und Beitragspflicht zustimmt.
Rechtsfolge ist dann, dass Lehrkräfte ab dem 1. März 2025 bis zum 31. Dezember 2026 als selbständig tätige Lehrer im Sinne des § 2 SGB VI gelten und ihre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung selbst und allein tragen müssen.
Anforderungen sind hoch – die rechtliche Wirkung ist begrenzt
In der Praxis läuft die Regelung der Bereichsausnahme für Lehrkräfte jedoch wegen ihrer bürokratischen Ausgestaltung weitestgehend ins Leere. Vertragsinhalt über Selbständigkeit und Zustimmung der Lehrkraft sind unterschiedliche Voraussetzungen und müssen daher getrennt voneinander vorliegen. Die Zustimmungserklärung der Lehrkraft bedarf zu ihrer Wirksamkeit einer vorhergehenden Information der Lehrkraft über die Rechtsfolgen ihrer Zustimmung. Die Zustimmungserklärung und Informationen müssen beweisfest dokumentiert werden.
Häufig geben die betroffenen Lehrkräfte auch keine Zustimmungserklärung ab, da sie keine alleinige Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wollen.
Faktisch zeigt sich: Die Anforderungen sind hoch, die rechtliche Wirkung begrenzt. Die Regelung kommt in der Praxis kaum flächendeckend zur Anwendung – und ist kein Vorbild für andere Tätigkeitsbilder. Hinzu kommt, dass die DRV in ihrer Prüfpraxis teilweise Beiträge vor dem 1. März 2025 erhebt, eine Rückwirkung der Ausnahmeregelung also nur bis dahin begrenzt annimmt. Diese rechtlich unzutreffende Vorgehensweise schränkt den Anwendungsbereich der Regelung in der Praxis aber nochmals ein.
Altersvorsorgepflicht für Selbständige: Viel Symbolik, wenig Risikoabsicherung
Die bislang mit sehr viel Rechtsunsicherheit einhergehende Pflicht der Unternehmen, selbständige Leistungen von sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerleistungen abzugrenzen, könnte ggf. entfallen sofern auch für Selbständige eine entsprechende Versicherungs- und Beitragspflicht bestehen würde (sog. Schweizer Modell). Diese Hoffnung wurde durch den Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition genährt, wonach alle „neuen“ Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden sollen – mit Opt-out-Möglichkeit bei Nachweis gleichwertiger Vorsorge (z.B. berufsständische Versorgungswerke). Es ist unwahrscheinlich, dass der Koalitionsvertrag so wie geplant umgesetzt wird. Die Altersvorsorgepflicht ist politisch hoch umstritten, viele Streitfragen nach wie vor ungeklärt, wie zum Beispiel die einer paritätischen Beitragslast auch für Selbständige. Entsprechende Gesetzesinitiativen in der Vergangenheit sind allesamt gescheitert.
Doch selbst bei einer Umsetzung würde keine Rechtssicherheit in Bezug auf (straf-)rechtliche Risiken einer Fehlabgrenzung des Vertragsstatus eintreten. Die Lohn- und umsatzsteuerlichen Risiken sowie Risiken in den anderen Zweigen der Sozialversicherung würden dem Grund nach bestehen bleiben; lediglich das mögliche Hinterziehungsvolumen würde verringert. Bestandsselbständige sind nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung umfasst. Dieser Punkt würde die Rechtsunsicherheit der Unternehmen sogar noch verstärken. Denn es ist wahrscheinlich, dass bereits seit langen Jahren scheinselbständig tätige Personen versuchen würden, die Rentenbeiträge aus der (nicht verjährten) Vergangenheit z.B. durch Statusverfahren bei der DRV zwecks Erhöhung ihrer Rente noch zu realisieren. Hierdurch wird die Aufdeckungswahrscheinlichkeit für vergangene und sogar bereits schon abgeschlossene Beauftragung nochmals deutlich erhöht.
Praxisempfehlung: Einrichtung oder Anpassung von Fremdpersonal-Compliance-Systemen
Die Prüfintensität der Behörden wird sich zukünftig weiter verstärken. Die gesetzgeberischen Reformen für den rechtssicheren Einsatz von Fremdpersonal sind (rechts-)unsicher und unpraktikabel. Es bleibt daher dabei, dass Unternehmen sich durch einen Compliance-Prozess vor den gravierenden Rechtsfolgen einer Scheinselbständigkeit absichern müssen. Dieser muss sowohl die zukünftigen Beauftragungen als auch wegen den dargestellten Aufdeckungsrisiken die derzeit laufenden und abgeschlossenen Beauftragungen umfassen.
Nur ein proaktives und eigeninitiatives Zugehen auf den zuständigen Rentenversicherungsträger bei festgestellter Risikoindikation sichert einen angemessenen Prüf- und Umstellungszeitraum und schirmt die verantwortlichen Personen im Unternehmen weitestgehend von Strafbarkeitsrisiken ab.