Das Thema
Compliance Officer werden von der Unternehmensleitung eingestellt, um Rechtsverstöße innerhalb des Unternehmens zu verhindern. Macht sich ein Compliance Officer aber selbst strafbar, wenn er es unterlässt, die Begehung von Straftaten durch Angehörige des Unternehmens zu verhindern? Dafür müsste ihn eine strafrechtliche Garantenpflicht zur Abwendung solcher Straftaten treffen. Seit der Entscheidung des BGH zur Berliner Stadtreinigung vor nunmehr acht Jahren (BSR-Entscheidung, BGH vom 17. Juli 2009, 5 StR 394/08) wurde eine mögliche Garantenpflicht der Compliance Officer kontrovers diskutiert. In genannter Entscheidung hatte der BGH Compliance Officern „im Vorbeigehen“ (durch ein obiter dictum) ausgeführt, Compliance Officer treffe die strafrechtliche Pflicht, Straftaten anderer Unternehmensangehöriger zu verhindern.
Garantenstellung der Unternehmensleitung
Grundsätzlich ist zunächst die Unternehmensleitung dafür verantwortlich, dass das geltende Recht durch die Unternehmensangehörigen eingehalten wird. Ein Ansatz zur Begründung einer Garantenstellung der Unternehmensleitung hat sich dazu etabliert: das Modell der „Herrschaft im Unternehmen“. Mitarbeiter, die über ausreichende betriebliche Kompetenzen verfügen, um andere Unternehmensangehörige von Strafrechtsverstößen abzuhalten, sollen auch strafrechtlich dazu verpflichtet sein, dies zu tun. Aufgrund der weiten Kompetenzen und Verantwortung auf der Ebene der Unternehmensleitung, soll diese also eine verschärfte strafrechtliche Haftung treffen.
Es wird versucht ein durch die betriebliche Tätigkeit gesteigertes Risiko zur Rechtsgutsverletzung durch eine erhöhte strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmensleitung für die durch sie genutzte, beherrschte und für sie aussichtsreiche Organisation zu kompensieren. Unabhängig von anderen Aspekten zur Begründung von Garantenstellungen ist daher jedenfalls eine Überwachergarantenstellung der Unternehmensleitung gegenüber den übrigen Unternehmensangehörigen (sogenannte strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung) durch ihre betrieblichen Kompetenzen hinreichend begründet.
Garantenstellung des Compliance Officers?
Die Unternehmensleitung kann die ihr nachgeordneten Mitarbeiter mit Teilen ihrer betrieblichen Kompetenzen ausstatten. Sofern man also die Garantenstellung der Unternehmensleitung aufgrund ihrer betrieblichen Kompetenzen bejaht hat, liegt es nahe, dies nun auch für diejenigen Unternehmensmitarbeiter zu tun, die mit betrieblichen Kompetenzen ausgestattet sind, die denen der Unternehmensleitung gleichen und damit eine funktionale Nähe zur Unternehmensleitung begründen. In diesem Kontext wird dann häufig von einer von der Unternehmensleitung abgeleiteten Garantenstellung gesprochen. Allerdings begrenzt sich diese Garantenstellung dann logischerweise – und das wurde bisher nur vereinzelt erkannt – keineswegs exklusiv auf Compliance Officer, sondern findet sich dann bei sämtlichen Unternehmensangehörigen mit einer hinreichend funktionalen Nähe zur Unternehmensführung.
Funktionale Nähe des Compliance Officers zur Unternehmensleitung?
Um nun auch bei den der Unternehmensführung nachgelagerten Mitarbeitern eine Garantenstellung annehmen zu können, müssen die übertragenen Kompetenzen denen der Unternehmensleitung gleichen und damit eine funktionale Nähe zu dieser begründen.
Wann liegt nun eine solche hinreichende funktionale Nähe eines Compliance Officers zur Unternehmensleitung vor, die eine Ausweitung der Garantenstellung zur Folge hat?
Zur Beantwortung dieser Frage können die arbeitsrechtlichen Ansätze zur Klassifizierung von Angestellten als sogenannte leitende Angestellte herangezogen werden. Die Qualifizierung eines (Chief) Compliance Officers als ein leitender Angestellter kann dann Anhaltspunkte dafür bieten, dass er ebenfalls wie die Unternehmensleitung Garant ist. Dafür ist unter anderem entscheidend, ob der Compliance Officer Einflussmöglichkeiten im Unternehmen hat, die mit denen der Unternehmensleitung vergleichbar sind. Anhaltspunkte dafür sind etwa die Wahrnehmung weisungsfreier Arbeitnehmerfunktionen, ein wesentlicher Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen und die Wahrnehmung von Führungsaufgaben, vergleichbar mit denen der Unternehmensleitung. Ist die Wahrnehmung von Führungsaufgaben prägend für die Gesamttätigkeit eines Compliance Mitarbeiters, liegt auch eine Einordnung als leitender Angestellter nahe.
Solche Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten sind zumeist auf den Unternehmensebenen zu finden, die der Unternehmensleitung direkt nachgelagert sind. So mag der Leiter einer Compliance Abteilung der Unternehmensführung direkt unterstellt sein und eine dementsprechende funktionale Nähe zu dieser aufweisen, auf noch weiter nachgelagerten Ebenen dürfte dies aber eher selten der Fall sein. Die Nähe zur Unternehmensleitung, die zur Begründung einer Garantenstellung notwendig ist, wird also, wenn überhaupt, nur beim Chief Compliance Officer vorliegen. Den übrigen Compliance Officern die keine Tätigkeit ausüben, die mit der der Unternehmensführung zu vergleichen ist, sind also keine Garanten und damit auch nicht strafrechtlich dazu verpflichtet andere Unternehmensangehörige an der Begehung von Straftaten zu verhindern.
Fazit: Garantenpflicht einzelfallabhängig
Ob eine von der Unternehmensleitung abgeleitete Garantenstellung des Compliance Officers besteht, entscheidet sich danach, ob die Unternehmensleitung den jeweiligen Compliance Officer mit hinreichenden betrieblichen Kompetenzen ausstattet. Zur Bestimmung, ob für eine Garantenstellung hinreichende betriebliche Kompetenzen übertragen wurden, eignet sich eine Anlehnung an die arbeitsrechtliche Figur des leitenden Angestellten.
Für Compliance Officer, die im arbeitsrechtlichen Sinne als leitende Angestellte zu klassifizieren sind, liegt zumindest die Vermutung nahe, dass diese auch Überwachergarant für die übrigen Unternehmensangehörigen sind. Je weiter der jeweilige Compliance Officer in der Unternehmenshierarchie von der Unternehmensleitung entfernt ist, umso unwahrscheinlicher ist es, dass er eine von dieser abgeleitete Garantenstellung innehat.
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