Spätestens nach den Entscheidungen des EuGH vom 14.05.2019 (C-55/18) und des BAG vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) zur Arbeitszeiterfassung steht die Frage nach einer Reform des Arbeitszeitrechts auf der politischen Tagesordnung.
Gutachten von Stowasser, Thüsing und Höpfner
Gesamtmetall hat daher drei renommierte Professoren gebeten, sich mit aktuellen Fragen des Arbeitszeitrechts auseinanderzusetzen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Vorstöße des EuGH und jüngst auch des BAG zur Verschärfung der Pflichten zur Erfassung von Arbeitszeiten. Der Verband hat dazu am 07.02.2023 drei Gutachten vorgelegt:
- ein personalwirtschaftliches zum Wert flexibler Arbeitszeitmodelle und den Gefahren von Einschränkungen vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) unter Federführung des Direktors Prof. Sascha Stowasser,
- ein rechtswissenschaftliches zu den Grenzen europäischer Umsetzungspflichten für den deutschen Gesetzgeber von Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherung, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, und
- ein weiteres rechtswissenschaftliches Gutachten zu den unionsrechtlichen Mindestvorgaben zur Ausgestaltung eines Systems der Arbeitszeiterfassung auch im Kontext der aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von Prof. Dr. Clemens Höpfner, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln.
Umfassende Arbeitszeiterfassung keineswegs zwingend
Die Gutachten sollen belegen, dass eine umfassende Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten auch nach den Entscheidungen aus Luxemburg und Erfurt keineswegs zwingend ist, sondern stattdessen eine Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts geboten und auch rechtlich möglich wäre. Eine Reform des Arbeitszeitrechts darf aus Sicht der Arbeitgeber in der Metall- und Elektro-Industrie nur als Gesamtpaket erfolgen, das die Spielräume der europäischen Arbeitszeitrichtlinie hinsichtlich der Höchstarbeitszeit und der Ruhezeit umfassend nutzt, ohne den notwendigen Schutz der Beschäftigten aus dem Auge zu verlieren. Dabei müsse ein höherer Autonomiegrad einhergehen mit einer größeren, zeitgemäßen Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre Arbeitszeit und deren Erfassung. Das gelte insbesondere für orts- und zeitflexible Arbeitsmodelle wie die Vertrauensarbeitszeit und das mobile Arbeiten. Nur so sei ein Ausgleich zwischen berechtigtem Arbeitsschutz und der modernen Arbeitswelt ohne neue Bürokratiebelastungen und Stechuhrmentalität erreichbar. Konkret heiße das:
- Die Regelungen zur Höchstarbeitszeit müssten gemäß der Vorgabe der europäischen Arbeitszeitrichtlinie von einer Tageshöchstarbeitszeit auf eine Wochenhöchstarbeitszeit umgestellt werden. Keiner solle deswegen länger arbeiten müssen, aber man solle die Arbeit besser innerhalb der Woche verteilen dürfen.
- Flankierend müsse die geltende Ruhezeitregelung mit einer unbeschränkten tariflichen Öffnungsklausel versehen werden.
- Werde bei der Erfassung der Arbeitszeit eine Regelung überhaupt für notwendig erachtet, seien klare Ausnahmeregelungen sowie eine echte Wahlfreiheit bei der Form der Erfassung zwingend erforderlich, um innovative Arbeitszeitmodelle nicht zu behindern. Wie bisher müsse daher eine einvernehmlich vereinbarte Vertrauensarbeitszeit auch künftig von einer minutengenauen Erfassung der Arbeitszeit ausgenommen bleiben. Auch hier sei der Koalitionsvertrag beim Wort zu nehmen.
(Pressemitteilung und Meldung Gesamtmetall v. 07.02.2023; Foto © Gesamtmetall / Dana Barthel)