Das Thema
Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und die Frage der Reichweite nachvertraglicher Verschwiegenheitspflichten hat in der arbeitsrechtlichen Praxis seit der Einführung des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) im April 2019 immer mehr an Bedeutung erlangt. In der Fachliteratur wurde rasch erkannt, dass mit der Neuregelung für Unternehmen künftig konkreter, aktiver Handlungsbedarf bestehen wird, um den Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse sicherzustellen. Hinsichtlich der konkreten Einzelheiten des Handlungsbedarfs ließ die zunächst vage Gesetzesbegründung des GeschGehG allerdings noch viele Fragen offen, die im Laufe der letzten Jahre zunehmend durch die Wirtschaftspraxis und durch gerichtliche Entscheidungen konkretisiert wurden.
Ein neues Urteil des BAG (8. Senat, Urt. v. 17.10.2024 – 8 AZR 172/23) stellt entscheidend heraus, warum angemessene Maßnahmen zur Sicherung von Geschäftsgeheimnissen für Unternehmen unverzichtbar geworden sind, und bestätigt die bisherige Annahme, dass das GeschGehG ihnen – sofern sie rechtzeitig handeln – weitgehende gesetzliche Ansprüche zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse zukommen lässt.
Rechtlicher Rahmen und Entscheidung des BAG
Das am 26.04.2019 in Kraft getretene GeschGehG, eingeführt zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/943 (EU-Richtlinie), soll einen einheitlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen bieten. Es definiert den Begriff des Geschäftsgeheimnisses (§ 2 Nr. 1 GeschGehG) und normiert einen Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung bzw. Unterlassung (§ 6 GeschGehG).
Über den Wortlaut der EU-Richtlinie hinaus knüpft der deutsche Gesetzgeber den Schutz von Geschäftsgeheimnissen zudem an eine subjektive Komponente, nämlich ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung. Wann ein solches berechtigtes Interesse im Einzelfall vorliegt, ist nicht höchstrichterlich entschieden. In der Literatur und Rechtsprechung wird diese subjektive Komponente dazu genutzt, rechtswidrig erlangte Informationen vom Schutz auszuschließen oder ein Kriterium zum Ausschluss von Bagatellsachverhalten zu etablieren.
Definition des Geschäftsgeheimnisses, insbesondere Anforderungen an dessen Schutz
Geschäftsgeheimnisse sind alle Informationen, die weder in ihrer Gesamtheit noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich sind, einen kommerziellen Wert aufweisen und Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen sind.
Eine wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses ist somit bereits nach dem Gesetzeswortlaut das Vorliegen konkreter, angemessener Sicherungsmaßnahmen, § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG. Wie einleitend bereits ausgeführt, sind somit aktive, konkrete und belegbare Schutzmaßnahmen des Geheimnisinhabers erforderlich. Deren konkrete Ausgestaltung war von Anbeginn an Gegenstand einer Diskussion in der Fachliteratur.
Es hat sich herauskristallisiert, dass solche Schutzmaßnahmen dabei technischer, personell-organisatorischer und vertraglicher Natur sein können.
Technische Schutzmaßnahmen
Technische Schutzmaßnahmen umfassen dabei Zutritts- und Weitergabebeschränkungen, Schutz durch Passwörter, Verschlüsselung, Sichtbarkeitssperren oder Maßnahmen zur Weiterverfolgbarkeit von Dokumenten. Zudem sind Maßnahmen zur Gewährleistung der Cyber-Sicherheit nachzuweisen. Je nach Gewichtigkeit bzw. Gefährdungslage des konkreten Geheimnisses sollen standardisierte Zugangsregelungen genügen oder aber abgestuft individuelle Schutzmaßnahmen entsprechend dem identifizierten Risiko getroffen werden. In jedem Fall erfordert ein erfolgreicher Geschäftsgeheimnisschutz auch die Gewährleistung einer angemessenen IT-Sicherheit inklusive Bewertung und Überwachung möglicher Angriffswege.
Technische organisatorische Maßnahmen können dabei sein: Einführung eines „need-to-know-Prinzips“ (vgl. Scholtyssek/Judis/Krause: Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz – Risiken, Chancen und konkreter Handlungsbedarf für Unternehmen, CCZ 2020, 23 [27]); Einschränkungen des Informationsflusses innerhalb des Zielunternehmens und Errichtung differenzierter Berichtigungstermine; Identifikation von Angriffswegen; Überprüfung der IT-Sicherheit und Dokumentation der ergriffenen Schutzmaßnahmen; Ernennung eines Geheimnisschutzbeauftragten bei größeren Unternehmen; Schulungen, insbesondere des Transaktionsteams zum Umgang mit dem Unternehmens-Know-how in der Due-Diligence-Phase (vgl. Mursa/Simon: Geschäftsgeheimnisschutz Compliance bei Unternehmensverkäufen im Tech-Bereich, CCZ 2022, 109 [110]).
Personell-organisatorische Schutzmaßnahmen
Mittels personell-organisatorischer Maßnahmen sollte zum einen der Kreis der Personen, die Zugriff auf konkrete Geschäftsgeheimnisse haben, beschränkt werden (need-to-know-Prinzip). Zum anderen kann hierüber im Streitfall idealerweise auch der Nachweis erfolgen, aus welchem sachlichen Grund der Personenkreis Zugriffsrechte auf das jeweilige Geschäftsgeheimnis hatte (vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 28.04.2022 – 6 U 39/21).
Darüber hinaus werden in der Literatur die Ernennung eines Beauftragten für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und regelmäßige Schulungen von Mitarbeitern zu Pflichten bezüglich Geschäftsgeheimisse des Arbeitgebers sowie zur Vermeidung von Haftungsrisiken bezüglich Fremdgeheimnissen als erfolgversprechende organisatorische Maßnahmen genannt.
Vertragliche Schutzmaßnahmen
Zuletzt werden vertragliche Verschwiegenheitsvereinbarungen in Literatur und Rechtsprechung als grundsätzlich mögliche Schutzmaßnahme diskutiert. Während dabei das OLG Schleswig auch AGB-rechtlich unwirksame Klauseln zu akzeptieren scheint, stellt die wohl überwiegende Auffassung darauf ab, ob eine etwaige Verschwiegenheitsklausel sich auf konkrete Informationen bezieht. Nur in diesem Fall sei für den Arbeitnehmer erkennbar, bei welchen konkreten Informationen es sich um ein Geheimnis handelt.
Die getroffenen Schutzmaßnahmen müssen angemessen sein. Dies erfordert nach vorherrschender Auffassung nicht, dass die bestmögliche (bzw. teuerste) Schutzmöglichkeit gewählt wird. Die Rechtsprechung (OLG Schleswig) hat in der Vergangenheit eine abgestufte Vorgehensweise vorgeschlagen: Je nach Wichtigkeit bzw. Sensibilität der Geschäftsgeheimnisse können unterschiedlich aufwendige Schutzmaßnahmen angemessen sein. Die Klassifizierung der Geschäftsgeheimnisse nach Risikokategorien und Ableitung bzw. Begründung angemessener Schutzmaßnahmen obliegt dem Geheimnisinhaber.
Nur wenn angemessene Schutzmaßnahmen getroffenen werden, liegt überhaupt ein schutzwürdiges Geschäftsgeheimnis nach § 2 Nr. 1 GeschGehG vor.
Unterlassungsanspruchs nach § 6 GeschGehG
Liegt ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des GeschGehG vor, statuiert § 6 GeschGehG die Rechtsgrundlage für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche. Der in der Vergangenheit anwendbare Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 8 Abs. 1 UWG a.F. bzw. §§ 823, 1004 Abs. 1 BGB wurde durch § 6 GeschGehG abgelöst.
Wesentlicher Unterschied zu den bisherigen Regelungen des UWG ist, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen an angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen des Geheimnisinhabers geknüpft ist (vgl. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG). Die Frage, ob eine Information als (schutzwürdiges) Geschäftsgeheimnis eingestuft wird, hängt somit maßgeblich an einer aktiven Handlungspflicht des Geheimnisinhabers. Liegen keine angemessenen Sicherungsmaßnahmen vor bzw. können solche nicht nachgewiesen werden, kann dieser Unterlassungsansprüche bezüglich einer etwaigen Verletzung seiner Rechte ggf. gerichtlich nicht durchsetzen.
Entscheidung des BAG
Anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen waren zwei wesentliche Rechtsfragen bislang noch nicht abschließend obergerichtlich geklärt:
- Wie ist mit Altfällen umzugehen, die aus der Zeit vor Inkrafttreten des GeschGehG herrühren?
- Welche Anforderungen sind an den Nachweis angemessener Sicherungsmaßnahmen zu knüpfen?
Beide Aspekte hat das BAG in seinem Urteil vom 17.10.2024 adressiert.
Unterlassungsanspruch bei Altfällen
Liegt ein Fall vor, bei dem die Verletzungshandlung aus dem Zeitraum vor dem 26.04.2019 herrührt, nimmt das BAG eine „Doppelprüfung“ vor:
So führt es in seinem Urteil zunächst aus, dass das GeschGehG die bisherigen Regelungen der §§ 17 – 19 UWG a.F ohne eine Übergangsregelung abgelöst hat. Der Gesetzgeber habe den bisherigen Schutz von Geschäftsgeheimnissen als nicht ausreichend erachtet und das Inkrafttreten des Gesetzes am 26.04.2019 – unmittelbar nach Verkündung – bestimmt. Mangels konkreter gesetzlicher Regelung für Altfälle sei somit ab diesem Datum für die Prüfung von Unterlassungsansprüchen nur noch auf § 6 GeschGehG abzustellen (so auch schon BayObLG, Beschl. v. 22.02.2023 – 102 AR 73/22, Rn. 31, 32).
Hieraus könne jedoch nicht gefolgert werden, dass unter Geltung von §§ 17 – 19 UWG a.F begangenen Rechtsverletzungen keine Bedeutung mehr zukommen soll. Ein nach § 6 Satz. 1 GeschGehG auf Wiederholungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch bestehe, wenn das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig ist.
Bei Altfällen reiche es demnach für einen Unterlassungsanspruch aus, dass vor dem Inkrafttreten des GeschGehG ein Verstoß gegen §§ 17 ff. UWG a.F vorlag und danach zum Entscheidungszeitpunkt die weiteren Voraussetzungen des § 6 Satz1 GeschGehG erfüllt sind.
Mit dieser Doppelprüfung soll nach dem BAG insbesondere eine verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung verhindert werden: Vor dem 26.04.2019 abgeschlossene Sachverhalte sind somit hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit nur nach den Voraussetzungen der damals geltenden §§ 17 ff. UWG a.F zu beurteilen.
Da ein Unterlassungsanspruch qua Natur der Sache zukunftsgerichtet ist, soll mit dieser Doppelprüfung gleichzeitig gewährleistet werden, dass der gesetzgeberische Wille bei der Regelung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen gewahrt wird. Im vom BAG entschiedenen Fall war somit ein Unterlassungsanspruch aufgrund einer Rechtsverletzung aus dem Zeitraum vor April 2019 auch anhand des Maßstabs von § 6 GeschGehG zu beurteilen.
Anforderungen an den Schutz von Geschäftsgeheimnissen
Eine wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses ist das Vorliegen konkreter, angemessener Sicherungsmaßnahmen, § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG. Wie bereits eingangs ausgeführt, sind somit aktive, konkrete und belegbare Schutzmaßnahmen des Geheimnisinhabers erforderlich, die technischer, personell-organisatorischer und vertraglicher Natur sein können.
In seiner Entscheidung führt das BAG zunächst aus, dass die zu ergreifenden Geheimhaltungsmaßnahmen von der Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen und den konkreten Umständen der Nutzung abhängen. In Betracht kämen beispielsweise Zugangsbeschränkungen oder vertragliche Sicherungsmechanismen. Dabei obliegt es dem Geheimnisinhaber im Streitfall sowohl nachzuweisen, dass und welche Geheimhaltungsmaßnahmen er getroffen hat, als auch deren Angemessenheit im konkreten Einzelfall zu belegen. Damit bestätigt das BAG die Ausführungen der Vorinstanz (LAG Köln, Urt. v. 28.09.2022 – 11 Sa 128/22):
- Nach den dort getroffenen Feststellungen habe es z.B. an arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitsklauseln hinsichtlich konkreter Informationen, technischer Sicherungsmaßnahmen sowie eines zumutbaren und gleichwohl effektiven Kontrollsystems gemangelt.
- Eine umfassende „Catch-all“-Klausel im Arbeitsvertrag stelle zudem gerade keine wirksame Sicherungsmaßnahme dar, sondern sei als allgemeine Geschäftsbedingung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund einer übermäßigen Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam.
Auch das BAG führt aus: Nach den Feststellungen des LAG Köln seien konkrete angemessene technische Sicherungsmaßnahmen vom Arbeitgeber nur pauschal behauptet und nicht einzeln belegt worden. Dies reiche nicht aus.
Die im konkreten Fall vereinbarte Verschwiegenheitsvereinbarung über
„alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie alle sonstigen ihm im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden Angelegenheiten und Vorgänge der Gesellschaft“
mit Wirkung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus sei ebenfalls unwirksam. Zwar sei es möglich, den Geheimnisschutz über das GeschGehG hinaus vertraglich zu erweitern. Dies gelte auch für den Schutz von Informationen, die keine Geschäftsgeheimnisse i.S.v. § 2 Nr. 1 GeschGehG sind. Eine unspezifische Formulierung wie im entschiedenen Fall sei jedoch eine unangemessene Benachteiligung des Beschäftigten, da sie einen Eingriff in die durch das Grundgesetz gewährleistete Berufsfreiheit (Art. 12 GG) darstelle und im Widerspruch zu den Regelungen betreffend nachvertragliche Wettbewerbsverbote (§§ 74 ff. HGB) stünde.
Auch aus § 241 Abs. 2 BGB kann nach Auffassung des BAG im entschiedenen Fall kein Unterlassungsanspruch abgeleitet werden, da das Geheimhaltungsinteresse des (ehemaligen) Arbeitgebers hinter den grundgesetzlich geschützten Interessen des Arbeitnehmers an der Verwertung seines beruflichen Wissens und seinem Recht auf Berufsfreiheit zurückstünde.
Nach den Ausführungen des BAG kann sich eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht – bei überwiegendem Interesse des Unternehmen am Schweigen des Mitarbeiters – allenfalls auf einzelne, konkret bestimmte Geschäftsgeheimnisse beziehen. Alternativ verweist das Gericht den Arbeitgeber auf die Vereinbarung eines (zeitlich beschränkten) nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Ein solches war im entschiedenen Fall aber nicht vereinbart.
Handlungsbedarf für die Praxis
Die Kernbotschaft lautet: Unternehmen müssen aktiv in den Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse investieren. Das pauschale Berufen auf die Verletzung von Betriebsgeheimnissen bzw. pauschale Formulierungen in Verträgen mit Mitarbeitern oder Geschäftspartnern bieten keinen ausreichenden Schutz. Fehlen angemessene Schutzmaßnahmen bzw. können diese nicht belegt werden, entfällt ggf. jeglicher gesetzliche Schutz – mit weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen und Haftungsrisiken.
Die folgenden drei Kernelemente sind daher essenziell für die Sicherung eigener Geschäftsgeheimnisse:
- Klassifizierung relevanter Geschäftsgeheimnisse,
- Definition und Dokumentation angemessener technischer und organisatorischer Schutzmaßnahmen
- (Arbeits-)Vertragliche Verpflichtung von Mitarbeitern bzw. Geschäftspartnern zur Verschwiegenheit über konkrete Geschäftsgeheimnisse unter Berücksichtigung der Entscheidung des BAG
Nur so können Verletzungshandlungen Dritter gerichtlich verfolgt und beseitigt werden.
Erstellung eines Geheimnisschutzkonzepts
Ausgangsbasis eines erfolgreichen Geheimnisschutzes ist eine Klassifizierung der im Unternehmen vorhandenen Geschäftsgeheimnisse. Zum einen ist hierfür eine Übersicht erforderlich, welche konkreten Informationen als Geschäftsgeheimnisse eingestuft werden. Eine genaue Bezeichnung der geschützten Informationen ist im Lichte der Entscheidung des BAG essenziell. In einem zweiten Schritt ist die Kritikalität für das Unternehmen zu bewerten. In der Praxis hat sich eine Einordnung in drei Kategorien („Kronjuwelen“ / geschäftskritische Geheimnisse mit erheblicher wirtschaftlicher Relevanz / Informationen mit spürbaren finanziellen Auswirkungen) etabliert.
Aufbauend auf der Klassifizierung muss die Definition von Schutzmaßnahmen und die Zuordnung von Schutzmaßnahmen zu konkreten Geschäftsgeheimnissen auf Basis der vorhergehenden Risikoeinstufung erfolgen. Eine gründliche Klassifizierung bildet dabei nicht nur die Basis für die Implementierung geeigneter Schutzmaßnahmen, sondern kann im Streitfall auch dazu dienen das Argument eines nach dem Gesetz zulässigen „Reverse Engineering“ zu widerlegen. Ist ein Geheimnis konkret definiert und der Kreis der zugriffsberechtigten Personen bekannt, kann je nach Sachverhalt leichter gegen einen legitimen Zugriff auf das Geheimnis argumentiert werden.
Um die Angemessenheit der Schutzmaßnahmen zu gewährleisten, sollten technische und personell-organisatorische Maßnahmen entsprechend der Risikoabstufung in unterschiedlicher Ausprägung definiert werden (Maßnahmen-Pool).
Ohne jegliche IT-Sicherheitsvorkehrungen oder Zutrittskontrollen verlieren Unternehmen den Schutz ihrer Daten. Solche Maßnahmen bilden daher die absolute Grundlage eines Geschäftsgeheimnisschutzes. Wie der Entscheidung des BAG entnommen werden kann, genügte es jedoch im Streitfall gerade nicht, nur allgemein auf Zugangsbeschränkungen bzw. Passwortschutz zu verweisen. Es müssen vielmehr zu dem konkreten Geheimnis konkrete, angemessene Schutzmaßnahmen belegt werden können. Vorab definierte technische und organisatorische Maßnahmen müssen daher maßgeschneidert entsprechend der Risikoabstufung einzelnen Geschäftsgeheimnissen zugeordnet werden. Anhand der initialen Klassifizierung der Geschäftsgeheimnisse und des risikobasierten Maßnahmenpools kann im Streitfall nicht nur belegt werden, dass überhaupt konkrete Schutzmaßnahmen vorlagen, sondern auch dass diese angemessen waren.
Denn liegen im Streitfall – im Gegensatz zur BAG-Entscheidung – überhaupt belegbare Schutzmaßnahmen vor, verlagert sich der Streit in der Praxis oftmals auf die Frage der Angemessenheit. Zwar ist der Geheimnisinhaber nicht dazu verpflichtet die beste bzw. teuerste Schutzmaßnahme zu implementieren. Er muss gleichwohl das Gericht von der Angemessenheit der gewählten Schutzmaßnahme überzeugen. Dies wird regelmäßig leichter fallen, wenn entsprechende Erwägungen vorgenommen und dokumentiert wurden.
Das Geheimnisschutzkonzept ist regelmäßig auf Aktualität und Angemessenheit zu prüfen und ggf. anzupassen. Entsprechende Maßnahmen erleichtern im Streitfall regelmäßig die Beweisführung .
Vertragliche Absicherung – Überprüfung bestehender Verträge
Arbeitsverträge (sowie Verträge mit Geschäftspartnern) sollten hinsichtlich ihrer Geheimhaltungsklauseln überprüft und an die Rechtsprechung des BAG angepasst werden.
Geheimhaltungsklauseln in Arbeitsverträgen, die sich uferlos auf alle während des Arbeitsverhältnisses erhaltenen betrieblichen Informationen erstrecken („Catch-all-Klauseln“), stellen keine angemessene Geheimhaltungsmaßnahme dar. Catch-all-Klauseln sind nach der Rechtsprechung regelmäßig dann unwirksam, wenn sie uneingeschränkt und zeitlich unbegrenzt formuliert sind und damit die Arbeitnehmer unangemessen nach § 307 Abs.1 Satz 1 BGB benachteiligen. Es bedarf daher einer konkreten und transparenten Regelung. Insbesondere darf die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG nicht zu stark eingeschränkt werden und es muss ein ausreichendes Interesse des Arbeitgebers an der Aufnahme einer Geheimhaltungsklausel bestehen.
In der Praxis wird die Herausforderung darin liegen, für einzelne Beschäftigte konkret festzulegen, mit welchen Geschäftsgeheimnissen sie in Berührung kommen und zu deren Schutz sie verpflichtet werden. Auch hier erleichtert die vorstehend aufgeführte Klassifizierung die praktische Umsetzung. Bei Geschäftsgeheimnissen der beiden obersten Kategorien (hohe bis mittlere wirtschaftliche Relevanz) wird man – analog zum Insiderrecht – eine Dokumentation konkreter Verpflichtungen zur Verschwiegenheit und ggf. explizite Belehrungen der Mitarbeiter zu Verschwiegenheitspflichten vornehmen müssen. Bei Geheimnissen auf der unteren Kritikalitätsstufe sind ggf. aus Gründen der Praktikabilität im Sinne einer Risikoabwägung pauschalere Formulierungen denkbar.
Ein weiterer Ansatz in der Literatur schlägt die Beschränkung einer pauschalen Regelung durch großzügiges Ausschließen von Themenfeldern von der Verschwiegenheit vor. Ob eine solche Klausel wirksam wäre, ist gerichtlich soweit ersichtlich nicht entschieden. Zudem muss bei einer derartigen Vorgehensweise darauf geachtet werden, dass mit einem solchen Ausschluss bei einem Arbeitnehmer nicht versehentlich ein Geschäftsgeheimnis, mit dem dieser nicht in Berührung kommt, ungewollt schutzlos gestellt wird.
Sofern mit arbeitsvertraglichen Regelungen bei Abwägung von Praktikabilität und Risiko eines Geheimnisverlusts nicht die gewünschte Sicherheit erreicht werden kann, sind flankierend Regelungen zu nachvertraglichen Verschwiegenheitspflichten anzudenken.
Fazit
Geschäftsgeheimnisse stellen regelmäßig einen erheblichen wirtschaftlichen Faktor für Unternehmen dar. Das GeschGehG hat den Schutz solcher Geheimnisse vordergründig modernisiert, damit aber neue und in der Praxis erhebliche Herausforderungen für Arbeitgeber mit sich gebracht. Das Urteil des BAG vom 17.10.2024 verdeutlicht die entscheidende Rolle der Geschäftsgeheimnis-Compliance für Unternehmen, gerade in Bezug auf Beschäftigte. Neben der Notwendigkeit ein robustes Schutzkonzept für Geschäftsgeheimnisse zu etablieren, liegt der Fokus darauf, Mitarbeiter wirksam und möglichst langfristig zur Wahrung dieser Geheimnisse zu verpflichten.
Das BAG hat dabei klargestellt, dass sowohl an den Nachweis eines angemessenen Schutzkonzepts als auch an die Wirksamkeit konkreter vertraglicher Verschwiegenheitsverpflichtungen hohe Anforderungen zu stellen sind. Gerade die Sicherstellung handhabbarer und gleichzeitig rechtssicherer vertraglicher Regelungen wird Unternehmen auch weiterhin vor erhebliche Herausforderungen stellen.