Das Thema
Eine wesentliche Änderung ist, dass die Einwanderung zukünftig auf drei Säulen beruhen soll:
- der Fachkräftesäule,
- der Erfahrungssäule und
- der Potentialsäule.
Ein zentraler Fokus auf Fachkräfte bleibt bestehen. Allerdings werden neue Einreise- und Beschäftigungsmöglichkeiten nicht nur für Fachkräfte, sondern insbesondere auch für Ausländer mit Berufserfahrung oder einem gezeigten Potential geschaffen.
Änderungen für die Erteilung einer Blauen Karte EU
Die Erteilung einer Blauen Karte EU für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung soll nun bereits bei einem Mindest-Bruttogehalt von 56,6 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze möglich sein. Bei Berufsanfängern, die einen Hochschulabschluss nicht mehr als drei Jahre vor der Beantragung der Blauen Karte EU erworben haben sowie in Mangelberufen soll unter anderem ein Mindest-Bruttogehalt von 45,3 Prozent dieser Grenze erforderlich sein. Überdies soll dieses niedrigere Mindest-Bruttogehalt für deutlich mehr Berufsgruppen gelten (vgl. § 18g Abs. 1 AufenthG-E).
Zukünftig ist überdies eine Blaue Karte EU auch für Ausländer ohne akademische Ausbildung vorgesehen. Dies erfasst Ausländer, die ein tertiäres Bildungsprogramm abgeschlossen haben, wobei konkrete Voraussetzungen für das Bildungsniveau erfüllt sein müssen. Erfasst sind ferner sogar solche Ausländer, welche unter anderem über Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, die auf einer in den letzten sieben Jahren erworbenen, mindestens dreijährigen Berufserfahrung in einem Beruf der Gruppen 133, 25 ISCO-08 beruhen (vgl. § 18g Abs. 2 AufenthG-E) und deren Niveau mit einem Hochschulabschluss oder einem Abschluss eines mit einem Hochschulstudium gleichwertigen tertiären Bildungsprogramms vergleichbar ist. Dabei muss diese Qualifikation einem Ausbildungsniveau entsprechen, das in der Bundesrepublik Deutschland mindestens der Stufe 6 der Internationalen Standardklassifikation im Bildungswesen (ISCED 2011) oder der Stufe 6 des Europäischen Qualifikationsrahmens zugeordnet ist.
Erweiterungen zur Beschäftigungsausübung für Berufserfahrene und Fachkräfte
Darüber hinaus soll Ausländern mit einer in den letzten fünf Jahren erworbenen, mindestens zweijährigen Berufserfahrung und einer ausländisch anerkannten Berufsqualifikation, die eine mindestens zweijährige Ausbildungsdauer voraussetzt oder mit einem im Ausland anerkannten Hochschulabschluss ein Aufenthalt zur Beschäftigungsausübung ermöglicht werden (vgl. § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 6 Abs. 1 BeschV-E). Es entfällt mithin die Voraussetzung, dass eine Beschäftigung auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie angestrebt wird und zudem sind keine deutschen Sprachkenntnisse mehr erforderlich. Voraussetzung bleibt jedoch ein – wenn auch herabgesetztes – Mindest-Bruttogehalt von 45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze. Diese Gehaltsschwelle findet nur für Beschäftigungen zu tariflichen Arbeitsbedingungen bei tarifgebundenen Arbeitgebern keine Anwendung.
Eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung von Beschäftigungen für Fachkräfte mit Berufsausbildung oder mit akademischer Ausbildung soll nun alle qualifizierten Beschäftigungen erfassen und nicht mehr nur solche Beschäftigungen, zu der die Qualifikation sie befähigt (vgl. §§ 18a, 18b AufenthG-E).
Einführung einer Anerkennungspartnerschaft und einer Chancenkarte
Durch die Einführung einer Anerkennungspartnerschaft wird Ausländern bereits vor Anerkennung einer ausländischen Berufsqualifikation die Einreise ermöglicht und eine Aufenthaltserlaubnis von bis zu einem Jahr erteilt (vgl. § 16d Abs. 3a AufenthG-E i.V.m. § 2a BeschV-E). Voraussetzung ist neben anderen, dass der Ausländer mit einem Arbeitgeber eine Vereinbarung geschlossen hat. Durch diese muss sich zum einen der Ausländer verpflichten, spätestens nach Einreise einen Anerkennungsantrag zu stellen. Zum anderen muss der Arbeitgeber sich verpflichten, einen eventuell erforderlichen Ausgleich (z.B. Nachqualifizierung) zu ermöglichen. Er muss zugleich für die Ausbildung oder Nachqualifikation geeignet sein.
Eine wesentliche Neuerung ist die Einführung einer Chancenkarte. Diese soll Personen mit Potential ermöglichen, zur Arbeitsplatzsuche bis zu einem Jahr einreisen zu können. Während der Arbeitsplatzsuche dürfen sie überdies eine Beschäftigung von durchschnittlich bis zu zwanzig Stunden oder Probebeschäftigungen für jeweils höchstens zwei Wochen ausüben (vgl. § 20a AufenthG-E). Nicht nur qualifizierten Fachkräften, sondern auch Personen mit einem ausländischen, mindestens zweijährigen Berufsabschluss soll die Chancenkarte unter bestimmten Voraussetzungen nach einem transparenten Punktesystem erteilt werden (vgl. §§ 20a Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4, 20b AufenthG-E). Kriterien sind dabei neben Qualifikation und Sprachkenntnissen beispielweise auch das Alter oder ein Deutschlandbezug (vgl. 20b AufenthG-E).
Kritische Aspekte des Gesetzesentwurfs
Leider wurde es versäumt, das Verfahren der Arbeits- und Fachkrafteinwanderung umfassend zu digitalisieren und zu beschleunigen. Stattdessen führen sogar viele der Neuerungen zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand und daher eher zu einem verlängerten Verfahren. So ist etwa unklar, wie die Bewertung eines Ausbildungsniveaus erfolgen soll. Dies birgt das zusätzliche Risiko, dass der Ausgang langwieriger Visaverfahren schwer vorhersehbar ist, was wiederum die Personaleinsatzplanung deutlich beeinträchtigt.
Aktueller Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Der Bundestag hat am 27.04.2023 erstmals über den Gesetzentwurf beraten. Abgeordnete der FDP, SPD und des Bündnis 90/Die Grünen begrüßen den Gesetzentwurf und betonen die Notwendigkeit eines solchen modernen Einwanderungsrechtes für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Abgeordnete der CDU/CSU kritisieren den Entwurf, befürchten einen Zuwanderungswachstum von zu wenig oder kaum qualifizierten Personen und einen Missbrauch des Sozialstaats. Zudem fordern sie schnellere Verfahren. Abgeordnete der Linken begrüßen zwar eine erleichtere Zuwanderung, fordern für eine bessere Deckung des Arbeits- und Fachkräftebedarfs jedoch gute Arbeitsbedingungen und anständige Löhne und sie lehnen die ökonomisierte Sichtweise auf Migration ab. Abgeordnete der AfD lehnen insgesamt eine erleichterte Zuwanderung und den Entwurf entschieden ab.
Die Abgeordneten des Bundestages haben die Vorlage zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen. Der Bundesrat wird erstmals am 12.05.2023 über den Entwurf beraten. Ausschüsse des Bundesrates empfehlen dem Bundesrat, den Gesetzesentwurf grundsätzlich zu begrüßen, fordern jedoch insbesondere ein einfacheres und schnelleres Verfahren.
Es bleibt abzuwarten, wie das Gesetzgebungsverfahren zukünftig verläuft. Jedoch ist voraussichtlich mit einem Inkrafttreten im November 2023 zu rechnen.