Das Thema
Aktuell finden sich seitens der Ärzteverbände Empfehlungen für Grippeschutzimpfungen und die Zulassung eines Impfstoffes zur Prävention gegen eine Erkrankung am Corona-virus wird von der Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt. Gleichzeitig bergen Impfungen auch Risiken.
Das BAG hatte Ende 2017 entschieden: Ein Arbeitgeber, der eine Grippeschutzimpfung in seinen Räumlichkeiten durch die Betriebsärztin anbietet und die anfallenden Kosten übernimmt, haftet grundsätzlich nicht für auftretende Impfschäden – BAG vom 21. Dezember 2017 (8 AZR 853/16).
Gilt dies nach wie vor und wären die dort entwickelten Grundsätze auf eine Impfung gegen das SARS-COV-2 Virus übertragbar?
Ausgangspunkt: Eine typische Grippeschutzimpfung im Betrieb
Seit 2017 gab es soweit ersichtlich keine erneute Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der Haftung des Arbeitgebers für Impfschäden, daher sei an dieser Stelle nochmals die Entscheidung aus des BAG 2017 rekapituliert: Die Betriebsärztin der beklagten Arbeitgeberin, rief alle interessierten Mitarbeiter des Betriebs zur Teilnahme an einer Grippeschutzimpfung auf, deren Kosten die Beklagte übernahm. Nach Bekunden der klagenden Arbeitnehmerin, ist ihr durch die Maßnahme ein Impfschaden entstanden. Für diesen hafte die Beklagte, da sie vor der Impfung nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Mit ihrer Klage fordert sie von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Zudem begehrt sie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der Schädigung in Folge der Impfung noch entstehen werden. Die freiberuflich tätige Betriebsärztin war dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
Arbeitgeber treffen keine Pflichten zur Aufklärung
Das BAG kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die beklagte Arbeitgeberin der Klägerin nicht für den von ihr behaupteten Impfschaden haftet, da sie keine Pflichten gegenüber der Klägerin verletzt hat. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten kein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist, aus dem die Beklagte zur Aufklärung verpflichtet gewesen wäre.
Die Vorinstanz hatte dazu ausgeführt, dass zu der Grippeschutzimpfung nicht die Beklagte, sondern die Betriebsärztin eingeladen hat. Dass sie die Einladung mit dem Zusatz Betriebsärztin versehen hat, ändert nichts daran, dass sie diejenige ist, die durch die E-Mail zu erkennen gegeben hat, dass die Grippeschutzimpfung durch sie bzw. durch ihre Kollegin durchgeführt werden wird und sie die entsprechende Behandlungsleistung erbringen wollten.
Die Beklagte war vorliegend auch nicht aufgrund des zwischen ihr und der Klägerin bestehenden Arbeitsverhältnisses verpflichtet, die Klägerin über etwaige Risiken der Impfung aufzuklären und musste sich deshalb auch nicht einen möglichen Verstoß der Ärztin gegen die Aufklärungspflicht zurechnen lassen. Da es bereits an einer Grundlage für eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin fehlt, kann dahingestellt bleiben, ob die Aufklärung vor der Impfung tatsächlich ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.
Eine deliktische Haftung der Beklagten durch Unterlassen oder Mittäterschaft war hier nach den Ausführungen der Vorinstanz auch nicht gegeben, da die Durchführung einer solchen betrieblichen Impfung nicht rechtswidrig ist, sondern als Ganzes gesehen einen sinnvollen Beitrag zum Gesundheitsschutz der Belegschaft und der Bevölkerung bietet.
Grippeschutzimpfung unterliegt auch nicht dem Recht der allgemeinen Unfallversicherung
Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Schadensersatz kam hier zwar dem Grunde nach in Betracht, da ein Impfschaden i. d. R. kein Arbeitsunfall ist. Daher greift das Haftungsprivileg des Arbeitgebers nicht, wonach der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die gesetzliche Unfallversicherung in Anspruch nehmen muss und ein direkter Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte (vgl. u. a. SG Dortmund, Urt. v. 5.8.2015 – S 36 U 818/12) unterliegt eine allgemeine Grippeschutzimpfung grundsätzlich nicht dem Recht der allgemeinen Unfallversicherung, da sie der Erhaltung der Gesundheit dient und damit dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen ist. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Impfung mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem ursächlichen Zusammenhang steht.
Vorsicht mit der Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf zu erwartende Impfung gegen Coronavirus
Ob die in Bezug auf die bereits seit vielen Jahren durchgeführten Impfungen gegen die jeweils aktuellen hauptsächlichen Erreger der jährlichen Grippe (Influenza) auf eine erst noch zuzulassende Impfung gegen das neuartige SARS-COV-2 Virus übertragbar sind, erscheint jedoch zweifelhaft. Anders als bei den Grippeschutzimpfungen würden zunächst auch Praxiserfahrungen zu Impfungen über längere Zeiträume fehlen, was weitreichende Folgen haben kann.
Insbesondere ließe sich eine deliktische Haftung des Arbeitgebers bei Impfschäden nicht ausschließen, da zumindest zum aktuellen Zeitpunkt noch ungewiss erscheint, ob die Durchführung einer solchen betrieblichen Impfung als Ganzes gesehen nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen einen sinnvollen Beitrag zum Gesundheitsschutz der Belegschaft und der Bevölkerung bieten würde wie es in den bisherigen Argumenten der Landesarbeitsgerichte zur Grippeschutzimpfung angeführt wurde. Es ist ratsam, hier die weiteren Empfehlungen der zuständigen Behörden und medizinischen Experten abzuwarten, sobald es einen zugelassenen Impfstoff geben sollte.
Darüber hinaus werden sich ohnehin auch praktische Fragen ergeben, etwa wie viele Impfstoffdosen nach Zulassung in Deutschland generell und dann für die einzelnen Betriebsärzte überhaupt verfügbar sein werden und wie die Vergabe geregelt wird.
Arbeitgeber: Hygienekonzept beachten und weiterhin Vorsicht bei der Kommunikation im Vorfeld einer Grippeschutzimpfung
Bei der Durchführung der aktuellen Grippeschutzimpfung in den Betriebsräumen des Arbeitgebers während der andauernden Pandemie ist auf die Einhaltung jeweils geltenden Hygienekonzepts zu achten, das sich am aktuellen SARS-COV-2 Arbeitsschutzstandard des Bundesarbeitsministeriums unter Beteiligung wie der Betriebsärzte und Betriebsräte ausrichten sollte.
Dies bedarf auch sehr guter Organisation der Impfung im Vorfeld, so dass zB am besten keine Wartezeiten entstehen, in denen es zu einer Ansammlung von mehreren Menschen auf dichtem Raum kommt. Darüber hinaus ist auf die Einhaltung weiterer Schutzmaßnahmen wie zB Tragen von Schutzmasken, gute Belüftung der Räume, Desinfektion etc. zu achten, soweit dies in der Organisationshoheit des Arbeitgebers und nicht der des behandelnden Betriebsarztes liegt.
Weiterhin dürfte jedoch gelten: Betriebsärzte können grundsätzlich Grippeschutzimpfungen gegen die jährliche Influenza in den betrieblichen Räumlichkeiten anbieten, insbesondere wenn dies wie aktuell auch seitens der Ärzteverbände empfohlen wird. Arbeitgeber können auch die Kosten dafür übernehmen, ohne dass sie Schadensersatzrisiken für Impfschäden in Bezug auf Grippeschutzimpfungen in Kauf nehmen müssen.
Empfehlungen für die Praxis: Besser keine Einladung zur Impfung durch Arbeitgeber
Soweit nach dem Urteil bei Grippeschutzimpfungen keine Haftung des Arbeitgebers besteht, ist dennoch zu empfehlen, dass der Arbeitgeber selbst weder zu solchen Impfungen einlädt noch Empfehlungen dazu ausspricht, sondern dies vollumfänglich dem Kompetenzbereich des Betriebsarztes überlässt.
Darüber hinaus kann die Entscheidung nicht auf berufsbezogene Impfungen übertragen werden. Insoweit greifen dann jedoch zumeist der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und ein Haftungsprivileg des Arbeitgebers. Abseits von Haftungsfragen sollte jedoch in diesem Bereich immer ein sorgsamer Maßstab angelegt werden, bevor Impfmaßnahmen angeboten werden.