Das Thema
Der Starkregen im Juli 2021 hat in Teilen Deutschlands zu einer Hochwasserkatastrophe geführt, die nicht nur viele Leben gekostet, sondern auch unzählige Menschen und Betriebe an den Rand ihrer Existenz geführt hat. Häuser, Straßenzüge und Betriebsstätten sind zerstört, ganze Ortschaften teilweise infrastrukturell abgeschnitten. Was infolge dessen arbeitsrechtlich gilt, soll der folgende Beitrag zugunsten aller Betroffenen beleuchten.
Rechtliche Ausgangslage: Ohne Arbeit kein Lohn
Naturkatastrophen wie Hochwasser und Überschwemmungen setzen die arbeitsvertraglichen Pflichten von Unternehmen und Beschäftigten grundsätzlich nicht aus: Beschäftigte sind verpflichtet, ihre Arbeitsleistung zu erbringen, im Gegenzug haben Unternehmen die vereinbarte Vergütung zu zahlen. Dabei gilt der gesetzliche Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, demzufolge Beschäftigte – zunächst unabhängig von den dahinterstehenden Gründen – keine Vergütung erhalten, wenn sie ihre Arbeitsleistung nicht erbringen. Hintergrund ist, dass die Erbringung der Arbeitsleistung als „absolute Fixschuld“ bei Nichterbringung unmöglich wird und nicht nachgeholt werden kann. Mit der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung entfällt auch der Anspruch auf die Vergütung als Gegenleistung.
Ausnahmen mit Folge der Vergütungsfortzahlung
Etwas anderes gilt in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“, die auch in Fällen der Hochwasserkatastrophe Anwendung finden können. Sie ordnen als Rechtsfolge an, dass Beschäftigte – obwohl sie nicht arbeiten – ihren Anspruch auf Vergütungszahlung behalten.
a) Betriebsrisiko der Unternehmen, § 615 S. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Die Ausnahme des § 615 S. 3 BGB regelt Fälle, in denen primär nicht die Beschäftigten, sondern das Unternehmen mit seiner Betriebsstätte von der Hochwasserkatastrophe betroffen ist. Sind Beschäftigte an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert und stammt der Grund dafür aus der betrieblichen Risikosphäre des Unternehmens, bleibt der Vergütungsanspruch trotz Nichterbringung der Arbeitsleistung erhalten. Ein Unternehmen trägt insoweit das Betriebsrisiko, wenn es die von den Beschäftigten angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen kann.
b) Betriebsrisiko bei Hochwasser und anderen Naturkatastrophen
Sofern Beschäftigte in der Lage sind und sich bereit erklären, zu arbeiten, das Unternehmen aber wegen Betriebsstörungen, z.B. aufgrund defekter Produktionsmaschinen, fehlender Rohstoffe oder wegen Stromausfalls, die Beschäftigten im Betrieb nicht einsetzen kann, ist das Betriebsrisiko des Unternehmens betroffen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Unternehmen für die Betriebsstörung selbst verantwortlich sind, z.B. weil sie es versäumt haben, Rohstoffe rechtzeitig zu bestellen, oder die Betriebsstörung von außergewöhnlichen, unvorhersehbaren und unbeeinflussbaren, von außen wirkenden Ereignissen wie Hochwasser, Brände oder andere Naturkatastrophen hervorgerufen wurde, sogenannter „höherer Gewalt“.
Wurde also eine Betriebsstätte insgesamt oder in wesentlichen Teilen durch das Hochwasser als höhere Gewalt zerstört und können Beschäftigte aus diesem Grund ihre Arbeitsleistung nicht erbringen, erhalten sie dennoch die für die betroffenen Zeiten vereinbarte Vergütung. |
Dies gilt nicht, wenn die fortbestehende Vergütungspflicht die Existenz des Unternehmens gefährden würde. Zudem kann die Anwendung von § 615 S. 3 BGB arbeits- oder kollektivvertraglich (in einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag) ausgeschlossen sein. Erforderlich dafür ist jedoch eine klar verständliche und ausdrückliche Ausschlussregelung.
c) Vorübergehende Verhinderung der Beschäftigten, § 616 S. 1 BGB
Eine gesetzliche Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ besteht gemäß § 616 S. 1 BGB auch dann, wenn Beschäftigte wegen aus ihrer Sphäre stammenden Gründen für einen nicht erheblichen Zeitraum daran gehindert sind, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Auch dann besteht ihr Anspruch auf Vergütung fort. Typische Anwendungsfälle des § 616 S. 1 BGB sind etwa unaufschiebbare Arzttermine oder familiäre Ereignisse. Darüber hinaus dürfte § 616 S. 1 BGB auch dann Anwendung finden, wenn Beschäftigte infolge der Hochwasserkatastrophe ihr Hab und Gut sichern, ihr Zuhause wieder in Stand setzen müssen oder – im schlimmsten Fall – Zeit benötigen, um vorübergehend eine Notunterkunft zu suchen und bewohnbar zu machen. Dies gilt ebenfalls, wenn Beschäftigte an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gehindert sind, weil Betreuungseinrichtungen oder Schulen überschwemmt sind und sie deshalb ihre Kinder betreuen müssen. Dabei haben sich Beschäftigte jedoch vorrangig um alternative Betreuungsmöglichkeiten zu bemühen.
Die Vorschrift des 616 S. 1 BGB erfasst dabei stets nur einen „nicht erheblichen Zeitraum“. Welche Dauer als „nicht erheblich“ angesehen wird, ist im Einzelfall anhand des Verhinderungsgrundes und der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses zu bestimmen, wobei ein Zeitraum von zwei bis zehn Tagen – je nach Grund der Verhinderung – als nicht erheblich angesehen wird. Auch im Fall der Hochwasserkatastrophe dürfte die Dauer der Arbeitsverhinderung je nach individueller Betroffenheit der Beschäftigten zu bestimmen sein.
Im Einzelfall ist bei massiver Beeinträchtigung von den Folgen des Unwetters auch ein über zehn Tage hinausgehender Zeitraum, in denen Beschäftigte Vergütungsfortzahlung erhalten, denkbar. |
Wichtig zu beachten ist dabei, dass eine persönliche Betroffenheit der Beschäftigten notwendig ist. Beschäftigte, die statt der Erbringung ihrer Arbeitsleistung bei Bekannten oder im umliegenden städtischen Gebiet Hilfe leisten wollen, haben danach grundsätzlich keinen gesetzlichen Anspruch auf Vergütungsfortzahlung nach § 616 S. 1 BGB. Um solche Unterstützungs- und Hilfsleistungen dennoch zu fördern, bietet es sich für Unternehmen und Beschäftigte an, individuelle Vereinbarungen zu treffen.
Sonderfall: Ehrenamtliche Tätigkeiten bei Feuerwehr und Katastrophenschutz
Im Fall ehrenamtlicher Tätigkeiten bei Feuerwehr und Katastrophenschutz finden speziellere landesrechtliche Vorschriften vorrangig zu § 616 S. 1 BGB Anwendung, die einen Vergütungsfortzahlungsanspruch normieren. So sind Unternehmen zum Beispiel nach § 21 Abs. 1 S. 1 Brand- und Katastrophenschutzgesetz NRW dazu verpflichtet, Arbeitsentgelte für Zeiträume von Einsätzen bei der Hochwasserkatastrophe fortzuzahlen.
d) Wegerisiko der Beschäftigten
Der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ findet Anwendung, wenn das sogenannte „Wegerisiko“ der Beschäftigten betroffen ist. In diesen Fällen sieht das Gesetz keine Regelung zum Erhalt des Vergütungsanspruchs der Beschäftigten vor. Der Begriff des Wegerisikos umfasst Fallgestaltungen, in denen lediglich der Weg der Beschäftigten zur Arbeitsstätte betroffen ist. Hierbei sind sowohl die Beschäftigten als auch das Unternehmen von der Hochwasserkatastrophe verschont geblieben, sodass sie grundsätzlich im „Normalbetrieb“ zusammenarbeiten können. Die Beschäftigten haben jedoch keine oder nur erschwerte Möglichkeiten, die Arbeitsstätte zu erreichen. Auch solche Situationen hat die Hochwasserkatastrophe hervorgerufen, zum Beispiel, weil Ortschaften durch das Hochwasser von der Straßen- und Personenbeförderungsinfrastruktur abgeschnitten oder einzelne Wegstrecken unpassierbar sind. Ist es Beschäftigten deshalb nicht möglich, ihren Arbeitsplatz zu erreichen, entfällt grundsätzlich auch die Vergütungspflicht der Unternehmen.
Angesichts der schwerwiegenden Folgen, welche die Hochwasserkatastrophe für Betroffene ohnehin schon hat, können individuelle Vereinbarungen auch hierbei helfen. Personelle Maßnahmen, wie etwa Abmahnungen, haben die Beschäftigten nicht zu befürchten, wenn sie ihr Unvermögen, die Arbeit zu erreichen, dem Unternehmen schnellstmöglich mitteilen.
Weisungsrecht des Unternehmens
Aus Sicht der Unternehmen stellt sich die Frage, ob Beschäftigte angewiesen werden können, bei akuter Gefahr für Betriebsstätte und Produktionsmittel Sicherungs- oder Aufräumarbeiten zu erbringen. Unternehmen können Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen und innerhalb der Grenzen des Arbeitsvertrages bestimmen. Regelmäßig dürfte „Katastrophenhilfe“ durch die Beschäftigten nicht von deren arbeitsvertraglich festgelegter Tätigkeit umfasst sein, sodass eine entsprechende Anweisung auf dieser Grundlage ausscheidet. Allerdings können Beschäftigte aufgrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht im Einzelfall zur sogenannten Nothilfe herangezogen werden. Dazu müssen unvorhergesehene äußere Umstände zwingend gebieten, vorübergehend andere Tätigkeiten wie Aufräum- oder Säuberungsarbeiten zu erbringen. Auch das Hochwasser und dessen Folgen dürften als unvorhergesehene äußere Umstände gelten, sodass Nothilfe im Einzelfall in Betracht kommt.
Unternehmen sollten die Belegschaft allerdings nur entsprechend der individuellen körperlichen Verfassung und soweit keine andere Hilfe verfügbar ist zur Nothilfe heranziehen. Auch Tätigkeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit sind nur zurückhaltend anzuordnen.
Kurzarbeitergeld (KUG)
Sollte die Betriebsstätte durch die Hochwasserkatastrophe unbrauchbar geworden sein, können Unternehmen Kurzarbeit, also eine vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit, einführen. Andernfalls müssten sie, da sie insoweit das Betriebsrisiko tragen (siehe unter II. 1.) Arbeitsentgelt zahlen, ohne die Beschäftigten sinnvoll im Betrieb einsetzen zu können. Kurzarbeit kann auch zur vorübergehenden vollständigen Einstellung der Arbeit führen, insoweit wird von Kurzarbeit Null gesprochen.
Einführung von Kurzarbeit
Unternehmen sind nicht zur einseitigen Einführung von Kurzarbeit berechtigt. Vielmehr bedarf es einer Rechtsgrundlage, die in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder in den Arbeitsverträgen der Beschäftigten liegen kann. Sofern eine solche Rechtsgrundlage nicht vorliegt, sollten sich die Arbeitsvertragsparteien einvernehmlich auf die (zeitlich befristete) Einführung von Kurzarbeit einigen. Nur wenn eine solche Einigung nicht zustande kommt, ist eine Änderungskündigung als letztes Mittel denkbar. An diese werden allerdings hohe Anforderungen gestellt.
Rahmenbedingungen des Kurzarbeitergeldes (KUG)
Das KUG ist in §§ 95 ff. Sozialgesetzbuch III (SGB III) normiert; es soll vorübergehenden Arbeitsausfall kompensieren. Im Zuge der Covid-19-Pandemie hat der Gesetzgeber den Umfang des KUG ausgeweitet. Beschäftigte haben – soweit hier relevant – Anspruch auf KUG, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt, welcher der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist. Ein erheblicher Arbeitsausfall muss vorübergehend und nicht vermeidbar sein und kann unter anderem auf einem sogenannten „unabwendbaren Ereignis“ beruhen. Ein solches liegt etwa in ungewöhnlichen, den üblichen Witterungsverläufen nicht entsprechenden Wetterverhältnissen, welche die Betriebstätigkeit unmittelbar verhindern oder die Zuwege zur Arbeit unmöglich machen. Eine Hochwasserkatastrophe, wie die gegenwärtige, stellt zweifelsohne ein solches Ereignis dar. Weiterhin muss im jeweiligen Kalendermonat mindestens ein Drittel der in dem Betrieb Beschäftigten von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen sein.
Der Arbeitsausfall ist bei der Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat, schriftlich oder elektronisch anzuzeigen. Die Bundesagentur für Arbeit hat auf ihrer Internetseite eine hilfreiche Handlungsempfehlung für die Beantragung hinterlegt.
Wenn Kurzarbeit wirksam eingeführt wurde und die sozialrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, erhalten die Beschäftigten Kurzarbeitergeld. Dessen Leistungshöhe orientiert sich an der Höhe des Arbeitslosengeldes. Beschäftigte erhalten 60 Prozent des Netto-Entgelts als Kurzarbeitergeld, Beschäftigte mit mindestens einem Kind 67 Prozent.
Empfehlung: Individuelle Lösungen und transparente Kommunikation
Für Fälle, in denen die gesetzlichen Regelungen die infolge der Hochwasserkatastrophe bestehenden Notfälle arbeitsrechtlich nicht lösen können, bieten sich individuelle Vereinbarungen an, die den Interessen der Unternehmen einerseits und der Beschäftigten andererseits gerecht werden.
Denkbar ist die Vereinbarung von unbezahltem Sonderurlaub, bei der die gegenseitigen Pflichten von Beschäftigten und Unternehmen – Erbringung der Arbeitsleistung und Vergütung – ausgesetzt werden. In den tarifvertraglichen Regelungen des öffentlichen Dienstes finden sich dazu bereits Regelungen. So sieht § 28 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) und die inhaltsgleiche Regelung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vor, dass Beschäftigte bei Vorliegen eines wichtigen Grundes unter Verzicht auf die Fortzahlung des Entgelts Sonderurlaub erhalten, ohne dass es dazu einer entsprechenden Vereinbarung bedarf. Wollen Unternehmen eine besondere Unterstützungsleistung erbringen, kommen auch Freistellungen der Beschäftigten unter Fortzahlung der Bezüge in Betracht.
Gegenstand einer Vereinbarung zwischen Unternehmen und Beschäftigten kann auch eine (zeitlich befristete) Tätigkeit im Home Office sein. Dies kann insbesondere dann helfen, wenn der Arbeitsplatz aufgrund von Weghindernissen nicht erreichbar ist. Ein Anspruch der Beschäftigten auf eine Tätigkeit im Home Office besteht nach Auslaufen der Covid-19-Pandemie-bedingten „Home-Office-Pflicht“ nicht mehr.
Zielführend auch bei Anwendbarkeit der gesetzlichen Ausnahmevorschriften ist stets, dass Unternehmen und Beschäftigte miteinander kommunizieren und gemeinsam Absprachen treffen, um den außergewöhnlichen Notlagen, welche die Hochwasserkatastrophe vielfach hervorgerufen hat, im Interesse aller Beteiligten am besten begegnen zu können. |
Zusammenfassung der denkbaren Fallkonstellationen
- Ist die Betriebsstätte aufgrund der Hochwasserkatastrophe zerstört und können Beschäftigte aus diesem Grund ihre Arbeitsleistung nicht erbringen, erhalten sie grundsätzlich weiterhin Vergütung.
- Sind Beschäftigte persönlich an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert, da sie mit Sicherungs- oder Aufbauarbeiten an ihrem Hab und Gut und zu Hause beschäftigt sind, erhalten Beschäftigte für einen nicht erheblichen Zeitraum, regelmäßig zehn Tage, weiterhin Vergütung.
- Können Beschäftigte ihren Arbeitsplatz aufgrund von Wegehindernissen infolge der Hochwasserkatastrophe nicht erreichen und deshalb ihre Arbeitsleistung nicht erbringen, steht ihnen keine Vergütung zu.
- Beschäftigte sollten dem Unternehmen stets schnellstmöglich mitteilen, wann und warum sie an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gehindert sind.
- Betroffene Unternehmen können die Belegschaft im Einzelfall anweisen, sogenannte „Nothilfe“ im Unternehmen zu leisten.
- Für betroffene Unternehmen empfiehlt es sich, Kurzarbeit einzuführen und Kurzarbeitergeld zu beantragen.
- Im Interesse aller Betroffen empfehlenswert sind individuelle Lösungen, die unbezahlten Sonderurlaub, bezahlte Freistellungen oder die Ermöglichung von Home Office zum Gegenstand haben können.