Das Thema
Wer sich als Vorstand oder Aufsichtsrat über eigenen Nachwuchs freut, kann keine Elternzeit beantragen. Auch wenn die Eltern der Mandatsträger pflegebedürftig werden, ist eine Pflegezeit im Gesetz nicht vorgesehen. Es bleibt aktuell die Alternative, die Arbeit vollständig aufzugeben oder mit vollem Risiko fortzuführen. Aber wer behält schon aus dem Kreißsaal oder beim Füttern den Überblick im Unternehmen?
Das darf so nicht sein, meint die Initiative #stayonboard. Längerfristige Abwesenheit aus familiären Gründen zwingt Vorstandsmitglieder faktisch zu einer Mandatsniederlegung. Unternehmen brauchen aber Vorstände, die mit beiden Beinen im Leben stehen und auch familiär Verantwortung übernehmen.
Dr. Jessica Jacobi ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Partnerin bei KLIEMT.Arbeitsrecht in Berlin und eine #stayonboard-Initiatorin. Die #EFAR-Redaktion sprach mit ihr darüber, was Arbeitsrechtler über die Gesetzesinitiative wissen sollten.
#EFAR: Frau Dr. Jacobi, fordert die Initiative #stayonboard Mutterschutz bzw. Eltern- und Pflegezeit auch für Vorstände?
Jacobi: So ähnlich. Wir fordern eine Auszeit für Mütter und Väter, die Vorstände von Aktiengesellschaften sind, aus Anlass der Geburt eines Kindes, bei Pflegefällen in der Familie und bei längerer Krankheit. Die Begriffe „Mutterschutz“, „Elternzeit“ und „Pflegezeit“ sind arbeitsrechtliche Konzepte für die eben genannten Anlässe. Die Details sind daher anders geregelt, als wir es für AG-Vorstände fordern. Eine Bezahlung der Vorstandsmitglieder während der Mandatspause ist z.B. von uns nicht vorgesehen. Die im Moment diskutierten Gesetzesentwürfe enthalten auch noch keine Fristen für die Inanspruchnahme, so wie sie etwa das Arbeitsrecht für Mutterschutz und Elternzeit vorsieht.
#EFAR: Wie stellt sich #stayonboard das Verfahren zum Ruhen des Mandats vor?
Jacobi: Wir stellen uns vor, dass das Vorstandsmitglied im Grundsatz einen gesetzlichen Anspruch hat, den es rechtzeitig geltend machen muss. Bei der Auslegung des Begriffes „rechtzeitig“ ist zu berücksichtigen, dass sich etwa Schwangerschaften und Geburten (auch aus Sicht des Vaters) deutlich langfristiger einplanen lassen als Krankheiten oder Pflegefälle. Auch die Interessen der Gesellschaft an einer geordneten Unternehmensführung und Übergabe der Aufgaben sind hier zu berücksichtigen.
Sodann ist es Aufgabe des Aufsichtsrats, auf dieses Anliegen zu reagieren. Im Ausnahmefall, etwa bei einem Verlangen zur Unzeit, muss der Aufsichtsrat das Recht haben, das Verlangen des Vorstandsmitglieds abzulehnen. Während der Abwesenheit muss das Vorstandsressort durch einen Vertreter oder eine Vertreterin wahrgenommen werden.
Während der Mandatspause ruhen alle Rechte und Pflichten aus dem Vorstandsamt (es sei denn, es ist etwas anderes vereinbart, z.B. im Hinblick auf die Nutzung eines Dienstwagens oder die Fristen aus einem Stock-Option-Plan). Die Mandatspause muss publik gemacht werden, etwa im Handelsregister. Rechtlich sehen wir die Mandatspause als ein „Ruhen“ des Mandats. Der jüngst vorgelegte Entwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucher (BMJV, zum Entwurf noch im Folgenden) sieht hingegen eine vorübergehende Abberufung vor. Das Vorstandsmitglied ist damit in dieser Zeit von Haftungsrisiken befreit. Nach dem Ende der Mandatspause lebt das Vorstandsamt mit allen Rechten und Pflichten wieder auf.
Der jetzt vom BMJV vorgelegte Entwurf eines Gesetzestextes sieht keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Mandatspause vor. Er unterstellt im Hinblick auf den Ablauf, wenn man die Gesetzesbegründung liest, ein „Gesuch“ des Vorstandsmitglieds. Ausdrücklich erwähnt er aber nur, dass der Aufsichtsrat in Fällen der Verhinderung das Vorstandsmitglied vorübergehend abberufen kann. Wir fordern hingegen einen ausdrücklichen Anspruch, weil nur so ein Gespräch auf Augenhöhe möglich ist. Und sollte es bei dem jetzigen Entwurf des BMJV bleiben, so muss aus unserer Sicht jedenfalls klargestellt werden, dass der Aufsichtsrat nicht etwa einseitig beschließen kann, ein Vorstandsmitglied sei durch familiäre Umstände vorübergehend an der Erfüllung seiner Pflichten gehindert und müsse in eine Auszeit geschickt werden.
#EFAR: Am 02.07.2020 haben einzelne Abgeordnete und die Fraktion der FDP einen Antrag im Bundestag eingebracht, ein entsprechendes Gesetz zur Umsetzung des Ruhens eines Vorstandsmandats aus familiären Gründen vorzubereiten. Was hat sich hier getan?
Jacobi: Um einmal mit dem aktuellen Stand anzufangen – wir sind noch nicht am Ziel! Aber wir sind auf einem sehr guten Weg. Es ist ein ungewöhnlicher Erfolg, dass ein Gesetzgebungsvorhaben durchkommt, das nicht auf der Agenda der Koalitionsparteien steht, und dass ein Vorhaben von allen demokratischen Parteien unterstützt wird. Wie Sie sagen, es gab einen ersten Antrag der FDP-Fraktion vom 02.07.2020. Dieser wurde erneut aufgegriffen und erweitert durch einen weiteren Antrag der FDP-Franktion vom 23.02.2021.
Sodann gibt es einen Antrag von Bündnis90/Die Grünen vom 16.12.2020, der neben dem „Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ (FüPoG II) auch eine Auszeit für Vorstandsmitglieder fordert (dort Seite 3).
Aktuell liegt nun ein Referentenentwurf aus dem BMJV vom 12.02.2021 vor, der die Einführung eines befristeten Widerrufs der Bestellung von AG-Vorstand, GmbH-Geschäftsführer und SE-Direktoren aus familiären Gründen vorsieht. Der Entwurf wurde von der Online Zeitschrift Business Insider am 17.02.2021 kurz beschrieben. Auf der Website des BMJV war der Entwurf bei Redaktionsschluss noch nicht verfügbar.
Am 25.02.2021 wurde zu #stayonboard und zum FüPoG II im Bundestag debattiert. Wer noch nie eine Bundestagsdebatte online verfolgt hat, dem kann ich das sehr empfehlen. Die einzelnen Diskussionsbeiträge sind nur fünf Minuten lang, das ist auch für Anwält*innen unter Zeitnot machbar und wirklich interessant – schließlich wenden wir in unserem Beruf die Gesetze an, die das Ergebnis dieses parlamentarischen Prozesses sind.
Am 01.03.2021 hat eine Anhörung von Expertinnen (es waren tatsächlich ausschließlich Frauen) vor dem Familienausschuss des Bundestages stattgefunden. Dort haben sich mehrere der teilnehmenden Expertinnen ausdrücklich für unser Gesetzesvorhaben und für einen Anspruch der Vorstandsmitglieder auf eine Mandatspause aus familiären Gründen ausgesprochen, so etwa RAin Dr. Daniela Fovaccia von der Kanzlei Hengeler, oder Sarna Röser vom Verband „Die Familienunternehmer e.V.“. Nun wird der Gesetzesentwurf im BMJV überarbeitet und hoffentlich in unserem Sinne verändert und noch in dieser Legislaturperiode als Gesetz verabschiedet.