Gleicher Maßstab für alle Gläubigen?
Dass eine Kaufhausangestellte in einer Parfümerieabteilung ein islamisches Kopftuch trägt, ist vom Arbeitgeber hinzunehmen. Das meint zumindest das BAG (Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01). Die Arbeitnehmerin nehme ein Grundrecht in Anspruch, die Befürchtungen des Unternehmens, dadurch Kunden zu verlieren, müssten dahinter zurückstehen.
Dieser Maßstab gilt auch für Christen, glaubt das Arbeitsgericht Bochum (Urteil vom 8.7.2010 – 4 Ca 734/10). Es gab der Kündigungsschutzklage eines Call-Center Mitarbeiters statt, der seine Kundengespräche mit der Verabschiedungsformel: „Jesus hat Sie lieb, vielen Dank für Ihren Einkauf bei … und einen schönen Tag“ beendet hatte.
Diese Formulierung entsprach nicht ganz den Vorgaben in einem sog. Standardskript des Unternehmens. Danach sollte die Verabschiedung am Ende eines Telefonats mit den Worten erfolgen: „Ich danke Ihnen für Ihre Bestellung bei … Auf Wiederhören“ oder „Ich danke Ihnen für Ihre Bestellung bei … und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag/Abend o. ä. Auf Wiederhören“.
Keine Beschwerden, keine Konflikte und dennoch: Kündigung
Kundenbeschwerden gab es wegen der religiös unterlegten Verabschiedung ebenso wenig wie Konflikte mit Kollegen. Und dem Arbeitgeber war auch seit langem bekannt, dass der Mitarbeiter „tief religiös“ ist. Dennoch wurde sein Arbeitsverhältnis nach mehrjähriger Betriebszugehörigkeit eines Tages wegen der von ihm genutzten Verabschiedungsformel außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt.
Vor dem Arbeitsgericht hatte seine Kündigungsschutzklage Erfolg. Nach Auffassung der Bochumer Richter stand der Wirksamkeit der Kündigung bereits entgegen, dass ihr keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vorausging. Sie sei aber auch aus materiellem Grunde unwirksam:
„Die vom Kläger bei der Verabschiedung von Kunden im Rahmen seiner dienstlichen Telefonate verwendete und von seinem christlichen Glauben geprägte Verabschiedungsformel ist von der Beklagten hinzunehmen. Zwar kollidiert diese Verabschiedungsformel mit den dem Kläger erteilten Weisungen. Der Kläger schuldet der Beklagten aber keinen bedingungslosen Gehorsam. Vielmehr führt die Berücksichtigung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Klägers dazu, dass die im Direktionsrecht ihren Ausdruck findende Unternehmerfreiheit der Beklagten zurückzustehen hat.“
LAG Hamm zeigt kein Verständnis
Das Gericht betonte, dass es insoweit „den Wertungen bezüglich des Tragens eines islamischen Kopftuches durch eine Verkäuferin“ folgt. Und es führte aus, dass „die als Schlussformel verwendete Grußformel des Klägers die Geschäftsinteressen der Beklagten nicht stärker beeinträchtigen kann, als das weisungswidrige und den gesamten Kommunikationsvorgang mit dem Kunden potentiell prägende Tragen eines islamischen Kopftuches durch eine Verkäuferin im Einzelhandelsgeschäft. Denn im letzteren Falle tritt die demonstrativ nach außen gekehrte Religiosität der Verkäuferin bereits vor und zeitlich während des gesamten Kommunikationsvorgangs deutlich in den Vordergrund. Was für das islamische Kopftuch gilt, hat erst recht für den christlich geprägten Abschiedsgruß zu gelten“.
Und das LAG Hamm (Urteil vom 20.04.2011 – 4 Sa 2230/10) zeigte deutlich weniger Verständnis für seine religiösen Gefühle als die Vorinstanz. Es hielt nicht „nur“ die ordentliche, sondern sogar die außerordentliche Kündigung für gerechtfertigt.
Anhaltspunkte für eine unvollständige oder unwirksame Betriebsratsanhörung sah das LAG nicht. Dass der Mitarbeiter entgegen einer allgemeinen Weisung des Arbeitgebers in Form des sog. Standardskripts eine hiervon abweichende Verabschiedung gewählt hatte, stelle eine beharrliche Verletzung seiner Arbeitspflicht dar, die eine fristlose Kündigung rechtfertige.
Gericht glaubt dem Gläubigen nicht
Zwar erkannten die Richter an, dass der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit des Arbeitnehmers beachten und auf einen ihm offenbarten Glaubens- oder Gewissenskonflikt Rücksicht nehmen muss. Es werde aber nicht jede Handlung, die im weitesten Sinn auf religiöse Ansichten zurückgeführt werden kann, durch die Glaubensfreiheit geschützt. Erforderlich sei, dass es sich um eine zwingende Verhaltensregel handelt, von der der Betroffene nicht ohne innere Not absehen kann.
Genau das hatte der gekündigte Mitarbeiter aber geltend gemacht. Er hatte vorgetragen, dass er als gläubiger Christ verpflichtet sei, stets seinen Glauben zu bekunden und weiterzutragen und sich dazu aufgrund verschiedener Bibelstellen verpflichtet sehe.
Dem Christ sei es nicht gelungen, „nachvollziehbar darzulegen, dass er in eine ernste Gewissensnot geraten würde, wenn er bei der Verabschiedung von Kunden der Beklagten davon absähe, auf den von ihm gewählten religiösen Zusatz zu verzichten“. Daher sei der Fall anders zu bewerten als der vor dem Bundesarbeitsgericht entschiedene. Dort habe die Klägerin in nachvollziehbarer Weise auf für sie bindende Glaubensvorschriften verweisen können.
Arbeitnehmer nicht leidensfähig genug
Und nicht nur das: Nach Meinung des Gerichts gibt es sogar „konkreten Anlass (…) an einem unlösbaren Gewissenskonflikt des Klägers bei Beachtung der arbeitgeberseitigen Weisung zu zweifeln.“ Denn der gekündigte Mitarbeiter hatte in einem nachfolgenden Beschäftigungsprozess vor dem Arbeitsgericht Bochum angeboten, jedenfalls vorübergehend, nämlich bis zu einer Entscheidung in dem vorliegenden Berufungsverfahren, auf den christlichen Zusatz in Telefonaten zu verzichten.
Dass er dies „vor dem Hintergrund erheblicher finanzieller Belastungen angeboten“ hat, „weil er über kein Einkommen verfügt habe“, zeige, dass es sich nicht um einen unauflöslichen Gewissenskonflikt handle: Denn wenn „finanzielle Gründe es ihm aus seiner Sicht erlauben, zumindest vorübergehend von seiner Verabschiedungsformel Abstand zu nehmen, ist schwer erklärlich, weshalb es ihm dann nicht möglich sein soll, sich generell im Rahmen des Arbeitsverhältnisses der arbeitgeberseitigen Weisung bezüglich der Art und Weise der Beendigung von Telefonaten mit Kunden zu beugen.“
Entscheidung obliegt dem höchsten Gericht
Man muss demnach in einer Notlage also bereit sein, seine gesamte soziale Existenz zu verlieren, um zu belegen, dass man wirklich gläubig ist. Ein erstaunlich strenger Maßstab – bei dem die Richter wohl die Lebenseinstellung christlicher Märtyrer vergangener Jahrhunderte vor Augen hatten.
Überzeugend ist das alles nicht, zumal die Begründungen kaum mit den Wertungen in der genannten Entscheidung der obersten Arbeitsrichter in Einklang zu bringen sind. Es wäre daher spannend gewesen, wie diese den Fall einschätzen. Nur leider kam er nicht vor das BAG.
Damit obliegt die Letztentscheidung wohl dem jüngsten Gericht. Ob die Argumente des LAG Hamm dieses überzeugen können, erscheint eher fraglich. Hoffen wir also, dass ihnen dort ein guter Anwalt zur Seite steht – so sie denn überhaupt einen im Himmel finden.
Aktuelle Buchveröffentlichung des Autors (Prof. Dr. jur. Arnd Diringer):