Das Thema
Nach § 165 Satz 3 SGB IX unterliegen öffentliche Arbeitgeber der gesetzlich statuierten Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Menschen zum Vorstellungsgespräch. Deren Verletzung ebnet regelmäßig den Weg für eine Anwendbarkeit der Vermutungsregelung nach § 22 AGG als auch von finanziellen Entschädigungsansprüche nach dem AGG. Nach einer Entscheidung des BAG vom 25.01.2024 (8 AZR 318/22) unterfallen kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts jedoch – mangels Qualifikation als öffentliche Arbeitgeber – nicht der gesetzlichen Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch.
Der Fall
Die Beklagte – ein Kirchenkreis, d. h. ein Zusammenschluss mehrerer benachbarter Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche und als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt – inserierte mittels öffentlicher Stellenanzeige eine Vakanz in der Finanzbuchhaltung. Nach deren Wortlaut war eine „Ausbildung zur/zum Verwaltungsfachangestellten oder eine vergleichbare kaufmännische Ausbildung“ wünschenswert. Hierauf bewarb sich der kaufmännisch ausgebildete Kläger mit ausdrücklichem Hinweis auf das Vorliegen einer Schwerbehinderung (GdB von 60). Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erfolgte nicht – über die Nichtberücksichtigung im (weiteren) Bewerbungsprozess wurde der schwerbehinderte Stellenbewerber lediglich schriftlich informiert.
Der abgelehnte Bewerber machte sodann gegenüber dem Kirchenkreis gerichtlich Entschädigungsansprüche in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund (kolportierter) Benachteiligung wegen (Schwer-)Behinderung geltend. Namentlich begründe hier bereits die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch die Vermutung einer Benachteiligung wegen (Schwer-)Behinderung: Als Körperschaft des öffentlichen Rechts qualifiziere sich der Kirchenkreis auch als öffentlicher Arbeitgeber und unterliege mithin der gesetzlichen Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 165 Satz 3 SGB IX.
Das BAG bestätigte die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz und verneinte insoweit ebenfalls den klägerseitig geltend gemachten Anspruch auf finanzielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
(Allgemeines bzw. spezielles) Benachteiligungsverbot
Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 AGG normiert ein (allgemeines) Benachteiligungsverbot wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. Merkmals. Die dort enthaltene kataloghafte Aufzählung abschließender Gründe erfasst u. a. Behinderung als insoweit geschütztes Merkmal. Mithin dürfen Beschäftigte – nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG gelten als solche bereits auch Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis – nicht aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt werden.
Nach dem (speziellen) Benachteiligungsverbot des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte (ebenfalls) nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen – nach dem Wortlaut des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX gelten hierzu im Einzelnen die Regelungen des AGG. Demnach muss zwischen Benachteiligung und (Schwer-)Behinderung ein kausaler Zusammenhang bestehen (vgl. BAG, Urt. v. 23.11.2023 – 8 AZR 164/22) bzw. insoweit vermag zugunsten einer (vermeintlich) benachteiligten Person ggf. auch die Beweiserleichterung nach § 22 AGG zu streiten (vgl. BAG, Urt. v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20).
Beweiserleichterung für (vermeintlich) benachteiligte Person
Die Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligung und (Schwer-)Behinderung trägt grundsätzlich diejenige Person, die einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtlich geltend macht. In Praxi bestehen für (vermeintlich) benachteiligte Beschäftigte durchgreifende Schwierigkeiten – insbesondere einem abgelehnten Stellenbewerber dürfte ein erfolgreicher Nachweis von Kausalität zwischen Benachteiligung und eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. Merkmals (dass z.B. das Vorliegen einer Behinderung ursächlich für die Ablehnung gewesen ist) vielfach kaum gelingen, da es sich hierbei um sog. innere Tatsachen (bspw. in Gestalt einer diskriminierenden Motivation) handelt.
Diese Erschwernis – d.h. jene regelmäßig für (vermeintlich) benachteiligte Beschäftigte auftretende Schwierigkeiten beim Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Benachteiligung und eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. Merkmals – soll durch die Beweiserleichterung nach § 22 AGG abgefedert werden: Abgelehnte Bewerber brauchen demnach zunächst (lediglich) Indizien zu beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Gelingt dies, so trägt nunmehr die andere Partei die Beweislast dafür, dass ausschließlich andere als jene in § 1 AGG genannten Gründe bzw. Merkmale eine entsprechend ungünstigere Behandlung begründet haben (vgl. BAG v. 25.11.2021).
Vermutungswirkung bei Verstößen gegen Verfahrens- bzw. Förderpflichten zugunsten (schwer-)behinderter Beschäftigter
Eine Benachteiligung wegen (Schwer-)Behinderung wird insbesondere bei etwaigen Verstößen des (potenziellen) Arbeitgebers gegen Vorschriften, die ihrerseits Verfahrens- bzw. Förderpflichten zugunsten von (schwer-)behinderten Beschäftigten statuieren, vermutet. Derartige arbeitgeberseitige Verstöße erweisen sich als grundsätzlich geeignet, einen (ersten) Anschein dergestalt zu erwecken, dass aufseiten des (potenziellen) Arbeitgebers kein tatsächliches Interesse an einer Beschäftigung (schwer-)behinderter Menschen besteht (vgl. BAG v. 25.11.2021). Dies gilt jedenfalls wohl dann, soweit dem (potenziellen) Arbeitgeber eine (Schwer-)Behinderung des Beschäftigten bekannt gewesen ist bzw. zumindest hätte bekannt sein müssen (vgl. BAG, Urt. v. 26.11.2020 – 8 AZR 59/20).
Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch
Nach höchstrichterlichem Verständnis qualifiziert sich die Vorschrift in § 165 Satz 3 SGB IX bzw. jene hierdurch vermittelte Pflicht öffentlicher Arbeitgeber zur Einladung von schwerbehinderten Bewerbern zum Vorstellungsgespräch als entsprechend begünstigend wirkende Verfahrens- bzw. Förderpflicht (vgl. BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 171/20). Anders formuliert: Der Verstoß eines öffentlichen Arbeitgebers gegen die Pflicht zur Einladung von schwerbehinderten Bewerbern zum Vorstellungsgespräch kann mithin die Vermutung einer Benachteiligung wegen (Schwer-)Behinderung bzw. eine (insoweit naheliegende) Anwendbarkeit der Beweiserleichterung nach § 22 AGG indizieren.
Hier: Keine Qualifikation als öffentlicher Arbeitgeber
Der Pflicht zur Einladung von schwerbehinderten Bewerbern zum Vorstellungsgespräch nach § 165 Satz 3 SGB IX unterliegen ausschließlich „öffentliche Arbeitgeber“. Nach Maßgabe des § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX gilt als öffentlicher Arbeitgeber insoweit (auch) „jede sonstige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts.“ Nach höchstrichterlicher Auffassung soll der hier beklagte Kirchenkreis – obgleich als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt – demgegenüber nicht als „öffentlicher Arbeitgeber“ zu qualifizieren sein.
Der hier entscheidungserhebliche Begriff des „öffentlichen Arbeitgebers“ sei vielmehr entsprechend der anerkannten juristischen Methodik auszulegen, also anhand des Wortlauts, Systematik, Sinn und Zweck sowie begleitenden Gesetzesmaterialien und Entstehungsgeschichte (vgl. hierzu ausführlich BAG, Urt. v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18). Allein der undifferenzierte Wortlaut von § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX gebiete für sich genommen (noch) keine zwingende Inklusion von kirchlichen Einrichtungen, welche als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt sind. Vielmehr fuße die Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts maßgeblich auf staatlichem Hoheitsakt, d.h. durch Verleihung des Körperschaftsstatus. Im Gegensatz hierzu sei die rechtliche Stellung kirchlicher Körperschaften des öffentlichen Rechts namentlich zur Gewährleistung von deren Eigenständigkeit und Unabhängigkeit primär verfassungsrechtlich begründet – diese nehmen auch weder Staatsaufgaben wahr noch sei konzeptionell eine verwaltungs- bzw. staatsorganisationsrechtliche Eingliederung oder deren Unterliegen unter staatlicher Aufsicht vorgesehen.
Ein hiervon rechtlich abweichendes Ergebnis erscheine zudem weder durch Systematik noch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX gerechtfertigt: In systematischer Hinsicht werde der Begriff des öffentlichen Arbeitgebers anhand den Organisationseinheiten der öffentlichen Verwaltung näher determiniert, sodass ein gedanklicher Rückgriff hierauf bei – sich entsprechend außerhalb der öffentlichen Verwaltung befindlichen – kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts fruchtlos bleiben müsse. Nach Sinn und Zweck des § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX solle hiermit insbesondere die teilhaberechtliche Vorbildfunktion öffentlicher Arbeitgeber abgesichert werden – eine derartige Vorbildfunktion habe der Gesetzgeber indes offenkundig weder privaten Arbeitgebern noch kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts auferlegen wollen.
Fazit
Die höchstrichterliche Entscheidung unterstreicht zuvorderst wohl die (auch für das Arbeitsrecht bedeutsame) Trennung von Staat und Kirche. Mit dem Untergang bzw. der Nichtentstehung der Indizwirkung bei unterlassener Einladung schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch dürften kirchliche Arbeitgeber daher vielfach (zumindest) einem diskriminierungsrechtlichen Fallstrick entkommen sowie vor hierauf basierenden Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG gefeit sein. Weiterhin gleichwohl verbleibenden Risiken (bspw. durch versehentliche Verwendung diskriminierender Stellenanzeigen) bleibt durch rechtliche Prüfung des gesamthaften Rekrutierungsprozesses sowie dessen uneingeschränkt AGG-konformer Ausgestaltung bzw. entsprechender Optimierung zu begegnen.