Das Thema
Das BUrlG regelt in § 1 und in § 7 Absatz 3, dass das Urlaubsjahr das jeweilige Kalenderjahr ist und der Urlaub im Urlaubsjahr genommen werden muss. Wird dieser nicht genommen, droht der ersatzlose Verfall, so die Rechtslage bis 2018.
Bereits am 06.11.2018 entschied der EuGH in der Rechtssache C-619/16 u.a., dass der Arbeitgeber Aufforderungs- und Hinweispflichten nachkommen muss, um den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dass aus diesem Grund arbeitgeberseits ein entsprechendes rechtzeitiges Hinweisschreiben an die Arbeitnehmer erfolgen muss, um sich auf einen Verfall von nicht genommenen Urlaubsansprüchen berufen zu können, dürfte insofern bekannt sein. Fraglich war, ob sich der Arbeitgeber auf die Verjährung berufen konnte, wenn er dem nicht nachgekommen ist.
BAG 20.12.2022 – Verjährung von Urlaubsansprüchen
Das BAG beschäftigte sich in seiner Entscheidung vom 20.12.2022 (9 AZR 266/20) mit der Frage, inwieweit diese Urlaubsansprüche, die somit nicht verfallen sind, der Verjährung unterliegen (vgl. dazu auch den EFAR-Beitrag „Verjährung von Urlaubsansprüchen“).
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin war vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei der Beklagten beschäftigt und hatte über die Jahre hinweg wegen des hohen Arbeitsaufkommens ihren Urlaub nicht antreten können. Arbeitgeberseits wurde die Klägerin weder aufgefordert ihren Urlaub zu nehmen noch darauf hingewiesen, dass dieser verfallen könnte. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin dann die Abgeltung der nicht genommenen Urlaubsansprüche geltend gemacht.
Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens ließ das BAG vom EuGH klären, in welchem Verhältnis die allgemeinen Verjährungsbestimmungen gemäß §§ 194 ff. BGB zu den Urlaubsregelungen stehen. Hierbei kam der EuGH mit Urteil vom 22.9.2022 – C-120/21 zu dem Ergebnis, dass auch der Beginn der Verjährung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat (vgl. dazu auch den EFAR-Beitrag „Urlaub bis in alle Ewigkeit?“).
Mit der Entscheidung vom 20.12.2022 fällte das BAG das Urteil, dass der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub der gesetzlichen Verjährung unterliegt. Diese beginnt erst am Ende desjenigen Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer dennoch den Urlaub aus freien Stücken nicht genommen hat. Das BAG kommt zu dem Ergebnis, dass der Urlaub weder am Ende des Kalenderjahres verfällt, noch nach Ablauf von drei Jahren verjährt ist, da der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist.
Wie sollte demnach mit den Fällen umgegangen werden, in denen Urlaubsansprüche aus der Vergangenheit bestehen bzw. bestehen könnten? Solange das Arbeitsverhältnis läuft, gibt es ohne entsprechendes Hinweisschreiben keinen Verfall und keine Verjährung.
Ein Risiko für den Arbeitgeber besteht darin, ob er in der Vergangenheit auch rechtlich wirksam seinen Aufforderung- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen ist. Man wird sich die Frage stellen müssen, ob der Hinweis in der Vergangenheit wirksam erfolgt und der Zugang beim einzelnen Arbeitnehmer nachweisbar ist.
Im Ergebnis sind dies Ansprüche, deren Geltendmachung insbesondere im Rahmen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu erwarten sind. In der Beratungspraxis wird sich demnach die Frage gestellt, ob vorsorglich entsprechende Klauseln in Aufhebungsverträgen mit aufgenommen werden sollten. Ebenso ist diese Rechtsfolge ein weiteres Argument dafür, aus Arbeitgebersicht in den Arbeitsverträgen zwischen den Ansprüchen auf gesetzlichen Urlaub und dem zusätzlichen darüberhinausgehenden Urlaub zu unterscheiden.
Urlaubsabgeltungsanspruch – Ausschlussfristen und Verjährung
Im Januar dieses Jahres beschäftigte sich das BAG mit der Frage, welche Auswirkungen sich diesbezüglich auf den Urlaubsabgeltungsanspruch ergeben. In der Entscheidung vom 31.01.2023 (9 AZR 244/20) ging es um die Frage, ob der Urlaubsabgeltungsanspruch, welcher mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht, nach Maßgabe tarifvertraglicher Ausschlussfristen verfallen kann.
Hintergrund war folgender Sachverhalt:
Der Kläger war vom 01.04.2007 an für die Beklagte tätig, wobei streitig ist, ob es sich in der Zeit bis 2010 um ein Arbeitsverhältnis handelte. Auf das dann folgende Arbeitsverhältnis fand der „Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen“ Anwendung. Dieser regelt, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen sind. In der Zeit vom 01.04.2007 bis zum 30.06.2010 erhielt der Kläger keinen Urlaub. Das anschließende Arbeitsverhältnis endete am 30.09.2014. Im August 2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, Urlaubsansprüche aus den Jahren 2007–2010 abzugelten. Der Arbeitgeber lehnte dies u.a. mit der Berufung auf Verfall und Verjährung ab.
Ausgangspunkt für die Entscheidung des BAG war, dass die Urlaubsansprüche für 2007 bis 2010 nicht im laufenden Arbeitsverhältnis verfallen sind. Denn der Arbeitgeber war seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen. Aus selbigem Grund sind diese Ansprüche zumindest im laufenden Arbeitsverhältnis nicht verjährt.
In dieser Entscheidung urteilte das BAG, dass auf den Urlaubsabgeltungsanspruch die tarifvertraglichen Ausschlussfristen Anwendung finden. Im konkreten Fall gab es die Besonderheit, dass aufgrund der Änderung der Rechtsprechung durch das o.g. Urteil vom EuGH vom 06.11.2018 die tarifvertraglichen Ausschlussfristen jedoch erst 2018 zu laufen begonnen haben. Denn der Kläger musste zuvor davon ausgehen, dass Urlaubsansprüche automatisch mit Ablauf des Urlaubsjahres verfallen.
Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses tarifvertragliche Ausschlussfristen zu wahren sind, sofern der Arbeitnehmer noch Abgeltungsansprüche für nicht genommenen Urlaub geltend machen möchte. Dies ist sicherlich insbesondere in den oben erwähnten Problemfeldern relevant, bspw. wenn es um die Frage geht, ob arbeitgeberseits dokumentiert wurde, sofern entsprechende Hinweisschreiben seit 2018 erfolgt sind oder diese inhaltlich angreifbar sein sollten.
Parallel entschied das BAG am selben Tag in entsprechender rechtlicher Konsequenz in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 9 AZR 456/20, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch seinerseits der Verjährung unterliegt, welche mit Schluss des Kalenderjahres beginnt, in dem das Arbeitsverhältnis endet. Die rechtliche Beendigung bildet insofern eine Zäsur. Der Unterschied bezüglich der Verjährung im laufenden Arbeitsverhältnis, deren Beginn die Einhaltung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers erfordert und des „automatischen“ Beginns der Verjährung bei Beendigung, ergibt sich aus den Unterschieden zwischen den jeweiligen Ansprüchen. Der Urlaubsanspruch richtet sich auf Freistellung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung, während der Urlaubsabgeltungsanspruch einen reinen Zahlungsanspruch darstellt. Bei diesem endet nach Ansicht des BAG die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis bedeutet insbesondere die Entscheidung, dass im laufenden Arbeitsverhältnis eine Verjährung erst beginnt, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen ist, das größte rechtliche Risiko.
Einerseits bezüglich der Frage, wie man mit den Fällen umgehen sollte, bei denen bspw. in den letzten Jahren gar kein Hinweisschreiben erfolgt ist. Andererseits mit den Fällen, in den dieses zwar erfolgt ist, jedoch den Anforderungen des BAG nicht genügt oder der Zugang schlichtweg nicht dokumentiert wurde. Denn letztendlich muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass er ordnungsgemäß seinen Obliegenheiten nachgekommen ist. Dies ist sicherlich im Einzelfall problematisch, wenn keine entsprechende Dokumentation erfolgt ist.