Das Thema
Kann ein Kirchenaustritt selbst vor Begründung eines Arbeitsverhältnisses die spätere Kündigung rechtfertigen? Wie weit reicht die Autonomie der Kirchen? Europarechtliche Vorgaben treten im Rahmen von kirchlich geprägten Arbeitsverhältnissen immer stärker in den Vordergrund. Mitte 2022 hat das BAG dem EuGH Fragen zur Rechtswirksamkeit der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen Austritts aus der Kirche vorgelegt (BAG, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 21. Juli 2022 – 2 AZR 130/21 (A)).
Mit Blick auf diese Vorlage des BAG darf mit Spannung erwartet werden, ob und welche Vorgaben der EuGH für die Frage der Rechtswirksamkeit von Kündigungen wegen Austritts aus der Kirche machen wird und damit auch, welchen Umfang er der Autonomie der Kirchen bei der Ausgestaltung und Durchführung der kirchlich geprägten Arbeitsverhältnisse belässt.
Austritt aus der katholischen Kirche als Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten
Nachdem Sachverhalt ist die Klägerin Hebamme und war bereits von 1994 bis 2014 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus, ist dem Deutschen Caritasverband angeschlossen und erfüllt den Sendungsauftrag der katholischen Kirche in Form von Krankenhausbehandlung und –pflege. Auch konfessionslose Hebammen sind bei ihr beschäftigt. Im Anschluss an ihre Vorbeschäftigung bei der Beklagten trat die Klägerin aus der katholischen Kirche aus. 2019 sollte eine Wiedereinstellung erfolgen. In dem diesbezüglich geführten Einstellungsgespräch kam die (fehlende) Mitgliedschaft der Klägerin in der katholischen Kirche nicht zur Sprache.
Vor Antritt des neuen Arbeitsverhältnisses wurde der Klägerin allerdings ein Personalfragebogen übersandt, der Fragen zu einem etwaigen Kirchenaustritt enthielt. Die Klägerin gab darin an, 2014 aus der katholischen Kirche ausgetreten zu sein und händigte den Personalfragebogen nebst unterzeichnetem (neuen) Arbeitsvertrag an die Beklagte aus. Nach dem (neuen) Arbeitsvertrag sollte die ,,Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse‘‘ Bestandteil des Arbeitsverhältnisses werden. Diese sah und sieht vor, dass der Austritt aus der katholischen Kirche als Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten die Kündigung rechtfertige.
Erst nach Antritt des (neuen) Arbeitsverhältnisses fiel der Beklagten der Austritt der Klägerin aus der katholischen Kirche auf. In der Folge wurden mehrere Gespräche mit der Klägerin geführt, in der dieser auch die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses angekündigt wurde, sofern sie der Kirche nicht erneut beitrete. Dies lehnte die Klägerin ab, woraufhin die Beklagte das Arbeitsverhältnis noch vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit aus § 1 Abs. 1 KSchG kündigte (zum Vorstehenden: ArbG Dortmund, Urteil vom 9. Januar 2020 – 4 Ca 3024/19; LAG Hamm, Urteil vom 24. September 2020 – 18 Sa 210/20; BAG, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 21. Juli 2022 – 2 AZR 130/21 (A)).
Vorinstanzen uneinig
Das ArbG Dortmund gab der von der Klägerin erhobenen Kündigungsschutzklage in erster Instanz statt. Die Beklagte berief sich u.a. darauf, dass sie die Entscheidung getroffen habe, keine Hebammen zu beschäftigen, die aus der katholischen Kirche ausgetreten seien. Zur Begründung führte das ArbG u.a. aus, dass sich die Beklagte widersprüchlich – und damit treuwidrig – verhalten habe, wenn sie zwar einerseits die Entscheidung zur Nichtbeschäftigung ausgetretener Hebammen vortrage, sich aber vor Einstellung der Klägerin nicht hinreichend über einen Austritt der Klägerin informiert habe. Auf eine von der Klägerin geltend gemachte Diskriminierung nach dem AGG kam es insofern nicht mehr an (zum Vorstehenden: ArbG Dortmund, Urteil vom 9. Januar 2020 – 4 Ca 3024/19).
Das LAG Hamm sah dies in der Berufungsinstanz anders und wies die Kündigungsschutzklage der Klägerin ab. Treuwidriges Verhalten vermochte das LAG u.a. bereits deshalb nicht zu erkennen, weil der Klägerin noch vor Antritt des (neuen) Arbeitsverhältnisses ein Personalfragebogen mit der Frage des Kirchenaustritts übersandt worden war. Auch eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen ungerechtfertigter Diskriminierung nach § 134 BGB i.V.m. §§ 1, 7 Abs. 1 AGG lehnte das LAG ab und führte insofern u.a. aus, dass die Kündigung aufgrund des Kirchenaustritts die Klägerin zwar unmittelbar benachteilige, diese Benachteiligung aber nach § 9 Abs. 1 AGG gerechtfertigt sei. Keine Hebammen zu beschäftigen, die aus der katholischen Kirche ausgetreten seien, sei insb. nicht willkürlich, da der Austritt eine Ablehnung der Kirche zum Ausdruck bringe, während die Konfessionslosigkeit lediglich die Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche aufzeige (zum Vorstehenden: LAG Hamm, Urteil vom 24. September 2020 – 18 Sa 210/20).
BAG legt wichtige Fragen dem EuGH vor
Gegen die Entscheidung des LAG Hamm wandte sich wiederum die Klägerin. Zwar teilte das BAG die Auffassung des LAG, dass die Kündigung jedenfalls nicht treuwidrig erfolgt und die Klägerin durch die Kündigung unmittelbar wegen der Religion als Merkmal im Sinne des AGG benachteiligt worden sei, legte dem EuGH aber nunmehr Fragen zur möglichen Rechtfertigung einer solchen Benachteiligung vor.
Konkret geht es vor allem um die Frage, wie weitreichend Art. 4 der RL 2000/78/EG – auf der die Rechtfertigungsmöglichkeit von Benachteiligungen wegen der Religion nach § 9 AGG beruht – unter Berücksichtigung der Autonomie der Kirchen insb. nach Art. 17 AEUV zu verstehen ist. Der Wortlaut beschränke sich – so das BAG – grundsätzlich auf die ,,Religion‘‘ als berufliche Anforderung zur Rechtfertigung und die Berücksichtigung illoyalen Verhaltens betreffe nach dem Wortlaut der Richtlinie lediglich bereits beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Ob insofern auch die Forderung eines Nichtaustritts bzw. eines Wiedereintritts (vor Begründung des Arbeitsverhältnisses) von den europarechtlichen Vorgaben erfasst sind, wird der EuGH nunmehr klären müssen (zum Vorstehenden: BAG, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 21. Juli 2022 – 2 AZR 130/21 (A) – Pressemitteilung des Gerichts).
Kündigungen nach Kirchenaustritt: Der aktuelle Stand
Kündigungen nach Kirchenaustritten waren bereits mehrfach Gegenstand arbeitsgerichtlicher Verfahren in der Vergangenheit (siehe bspw. BAG, Urteil vom 4. März 1980 – 2 AZR 1151/78; BAG, Urteil vom 25. April 2013 – 2 AZR 579/12; LAG Brandenburg, Urteil vom 13. November 2003 – 2 Sa 410/03; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. September 2004 – 6 Sa 346/04). Wesentlicher Aspekt für die Frage der Wirksamkeit derartiger Kündigungen ist – jedenfalls sofern das Kündigungsschutzgesetz (bereits) Anwendung findet – die Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien unter Berücksichtigung der ,,Wechselwirkung von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und den Grundrechten der Arbeitnehmer‘‘ (BAG, Urteil vom 25. April 2013 – 2 AZR 579/12).
Tendenziell überwog bislang das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und rechtfertigte die aufgrund des Kirchenaustritts ausgesprochenen Kündigungen (siehe bspw. BAG, Urteil vom 4. März 1980 – 2 AZR 1151/78; BAG, Urteil vom 12. Dezember 1984 – 7 AZR 418/83; BAG, Urteil vom 25. April 2013 – 2 AZR 579/12; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Januar 1997 – 11 Sa 428/96). Dies galt vor allem nachdem das Bundesverfassungsgericht Mitte der 1980er Jahre eine Entscheidung des BAG aufgehoben hatte, in der das BAG die Kündigung eines Buchhalters wegen Austritts aus der Kirche für sozial nicht gerechtfertigt hielt (BAG, Urteil vom 23. März 1984 – 7 AZR 249/81). Das Bundesverfassungsgericht betonte dabei u.a. die Schwere des Verstoßes eines Austritts gegen kirchliches Recht und das Erfordernis der hinreichenden Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen (BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 1718/83, 2 BvR 856/84).
Austritt aus der Kirche: Welche Vorgaben kommen vom EuGH?
Spätestens seit Inkrafttreten des AGG sind auch europarechtliche Vorgaben im Zusammenhang mit Kündigungen wegen Kirchenaustritten zu beachten. Dies wird vor allem dann relevant, wenn das Erfordernis einer sozialen Rechtfertigung mangels erfüllter Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht besteht. 2013 hatte das BAG die mit der Kündigung eines Sozialpädagogen wegen Austritts aus der Kirche einhergehende unmittelbare Benachteiligung vor dem Hintergrund des § 9 AGG für gerechtfertigt erachtet, da der Kläger für die Erfüllung des karitativen Auftrags seiner Arbeitgeberin infolge des Austritts nicht mehr geeignet sei und der Austritt illoyales Verhalten im Sinne von § 9 AGG darstelle (BAG, Urteil vom 25. April 2013 – 2 AZR 579/12).
Auf instanzgerichtlicher Ebene hatte das LAG Baden-Württemberg demgegenüber zuletzt der Kündigung eines bei einer Kindertagesstätte tätigen Kochs eine Absage erteilt, u.a. weil die Tätigkeit als Koch nicht hinreichend mit dem Verkündungsauftrag der Kirche verbunden sei (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2021 – 4 Sa 27/20).
Mit Blick auf die jetzige Vorlage des BAG darf also mit Spannung erwartet werden, ob und welche Vorgaben der EuGH für die Frage der Rechtswirksamkeit von Kündigungen wegen Austritts aus der Kirche machen wird und damit auch, welchen Umfang er der Autonomie der Kirchen bei der Ausgestaltung und Durchführung der kirchlich geprägten Arbeitsverhältnisse belässt.