Das Thema
Betriebsratswahlen sind eine aufregende Zeit, in der viele Menschen erstmals mit einer demokratischen Wahl und deren Herausforderungen erstmals in Kontakt kommen. Situationen, in denen alle Beteiligten – Arbeitgeber, Gewerkschaften, Wahlvorstand und Kandidaten – unbedacht schnell ins Stolpern geraten und Haftungstatbestände auslösen können. Aber auch Situationen, in denen oftmals hypersensibel von den Beteiligten auf Äußerungen der anderen Beteiligten reagiert wird.
Bis Ende Mai 2022 werden derzeit wieder bundesweit Betriebsräte gewählt. Der folgende Beitrag soll einige der häufigsten Stolperfallen während der Wahl beleuchten, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Die unrechtmäßige Beeinflussung laufender Betriebsratswahlen
Wenn von Haftung für Fehlverhalten gesprochen wird, wird in der Regel v.a. arbeitgeberseitiges Verhalten thematisiert. Auch die politischen Diskussionen um die Streichung des Antragserfordernisses für die strafrechtliche Verfolgung wird stets mit Handlungen von Arbeitgebern (“Union Busting”) begründet. Natürlich kommt das vor – und wird oftmals zu recht kritisch in den Medien begleitet. Aber auch andere Akteure unterliegen in der Praxis bisweilen der Versuchung, unrechtmäßig Einfluss nehmen zu wollen.
Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft, wer die Wahl eines Betriebsrats oder der Jugend- und Auszubildendenvertretung behindert oder durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflusst. Die Tat wird nur auf Antrag des (Gesamt-/Konzern-) Betriebsrats, des Wahlvorstands, des Unternehmers oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft verfolgt.
Strafbar machen kann sich jedermann, also nicht nur der Arbeitgeber bzw. die Arbeitsgebervertreter, sondern auch „normale“ Arbeitnehmer, Gewerkschaftsvertreter, Betriebsräte und Wahlkandidaten. Beispiele für strafbares Verhaltens sind:
Straftaten durch den Arbeitgeber/Arbeitgebervertreter: Beispiele
- Der Arbeitgeber verwehrt Gewerkschaftsvertretern im Zusammenhang mit der Wahl / Wahlvorbereitung den Zugang zum Betrieb.
- Der Arbeitgeber fordert den Wahlvorstand auf, die Wahl nicht durchzuführen und droht mit Nachteilen für den Fall der Wahldurchführung bzw. bietet eine finanzielle Belohnung für den Abbruch der Wahl.
- Der Arbeitgeber beraumt für den Zeitpunkt einer Wahlversammlung eine „Konkurrenzveranstaltung“ an und / oder offeriert Belohnungen für das Nichterscheinen bei der Wahlversammlung.
- Der Arbeitgeber weigert sich, die zur Wahl nötigen Informationen (bspw. Information zu Mitarbeitern für Wählerliste) zur Verfügung zu stellen; alternativ ist auch eine Behinderung der Wahl durch Falschinformationen an den Wahlvorstand denkbar.
- Der Arbeitgeber nimmt eigenmächtig Änderungen an den vom Wahlvorstand ausgehängten Informationen (Wählerliste, Wahlausschreiben usw.) vor.
- Der Arbeitgeber kündigt Arbeitnehmern, die sich für die Wahl eines Betriebsrats einsetzen bzw. als Kandidaten / Wahlvorstandsmitglieder fungieren.
- Der Arbeitgeber verweigert die Zustimmung zum Aushang von Wahlunterlagen (Einladungsschreiben zu Wahlversammlung, Wahlausschrieben usw.) bzw. entfernt solche Aushänge.
- Der Arbeitgeber fördert eine Kandidatenliste, durch Werbemittel, durch das Sammeln (lassen) von Stützunterschriften, die Aufforderung, sich als Kandidat zur Verfügung zu stellen bzw. eine bestimmte Liste zu wählen oder durch „Stimmkauf“.
- Der Arbeitgeber weigert sich, die Mitglieder des Wahlvorstands für deren Tätigkeit (bezahlt) von der Arbeit freizustellen.
- Der Arbeitgeber weigert sich, die für die Betriebsratswahl erforderlichen Unterlagen / Gegenstände anzuschaffen (Wahlurne, Wahlzettel usw.) bzw. Auslagen zu erstatten (Reisekosten des Wahlvorstands, Übersetzung der Wahlunterlagen für ausländische Mitarbeiter usw.).
So vielfältig wie das Leben sind die Fallgestaltungen, die zu strafrechtlichen Risiken führen. Für deren Vermeidung ist es unabdingbar, dass die auf Arbeitgeberseite mit solchen Themen beschäftigten Personen (Personalabteilung, Geschäftsführung, ggf. Compliance-Bereich) zumindest die Grundzüge des Wahlverhaltens und der arbeitgeberseitigen Pflichten, etwa durch eine Schulung, kennen.
Keine Neutralitätspflicht des Arbeitgebers
Vielfach, namentlich von Gewerkschaftsseite, wird kontinuierlich behauptet, Arbeitgeber träfe eine strenge Neutralitätspflicht bei Betriebsratswahlen; sie dürften weder eine Liste positiv kommentieren, noch gar Kritisches zu einer anderen Liste äußern. Diese Linie wurde in der Vergangenheit auch vereinzelt von Arbeitsgerichten vertreten (LAG Hessen, Beschl. v. 12.11.2015 – 9 TaBV 44/15), aber überzeugend vom BAG abgelehnt (Beschl. v. 25.10.2017 – 7 ABR 10/16). Selbstverständlich steht auch Arbeitgebern und deren Vertretern ein Recht auf Meinungsäußerung zu. Geschützt wird durch §§ 20 Abs. 2, 119 BetrVG die freie Willensbildung der wählenden Arbeitnehmer; diese wird durch Meinungsäußerungen – von welcher Seite auch immer – aber nicht gefährdet.
Das BAG geht in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2017 (AZ 7 ABR 10/186) sogar noch weiter, wenn es festhält, dass auch Initiativen des Arbeitgebers, die auf eine geänderte Zusammensetzung des Betriebsrats hinauslaufen sollen oder eine alternative Liste initiieren sollen, keine unzulässige Wahlbeeinflussung darstellen; diese ist nur dann unzulässig – und strafbar – wenn die in §§ 20 Abs. 2, 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG genannten Mittel hinzukommen – Androhung / Zufügung von Nachteilen oder Versprechen / Gewähren von Vorteilen.
“Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts genügt es nicht, dass eine Gesamtbetrachtung … eine “Gesamtstrategie” der Arbeitgeberinnen mit dem Ziel einer anderen Betriebsratszusammensetzung erkennen lassen. Hierin liegt noch kein Verstoß gegen das Verbot der Wahlbeeinflussung…” (Rn. 24)
“Allein die Anregung, eine alternative, möglicherweise “arbeitgeberfreundliche” Liste aufzustellen und das gezielte Werben um eine Kandidatur auf dieser Liste erfüllt noch nicht die Voraussetzungen einer verbotenen Wahlbeeinflussung…” (Rn 26)
Wenn Derartiges von Arbeitgeberseite erwogen wird, sollte eines bedacht werden – in der Regel bewirken solche Maßnahmen das genaue Gegenteil – Arbeitnehmer wählen gerade die angegriffenen Kandidaten.
Typische Fälle der unzulässigen Wahlbeeinflussung durch Arbeitnehmer
Anders als bei Parlamentswahlen gibt es im BetrVG keine „Ämterinkompatibilität“, d.h. die neutralen Wahlleiter (Wahlvorstand) können zugleich zur Wahl kandidieren. Das ist eigentlich unvorstellbar, aber im BetrVG – mangels hinreichender Anzahl an Menschen – nicht anders möglich. In diesem Interessengegensatz reagiert nicht jede:r immer rechtlich und moralisch einwandfrei.
Typische Fälle der unzulässigen Wahlbeeinflussung (die jedenfalls zur Wahlanfechtung berechtigt, aber nicht zwingend strafbar sein muss) durch Arbeitnehmer sind etwa:
- Kandidaten, die anderen Kandidaten (durch Zerstörung deren Wahlwerbung, Bedrohung von Kolleg:innen etc.) schaden wollen,
- Mitglieder des Wahlvorstands, die ihr Amt so ausüben, dass Konkurrenz bei der Wahl benachteiligt wird (einseitige Gestaltung der Wahlzettel, Fälschung von Wahlzetteln, „einseitige“ Stimmauszählung uvm.) oder auch
- übereifrige Führungskräfte (klassischerweise aus dem „Mittelmanagement“), die den Mitarbeitern ihrer Abteilung/ihres Teams klarmachen, dass eine Kandidatur als Betriebsrat nicht in Frage komme oder sonst Einfluss auf die Wahl nehmen wollen.
Gerade bei der letztgenannten Gruppe („unguided missiles“) wird oft unterstellt, dass solche Führungskräfte nicht ohne Anweisung „von oben“ gehandelt haben und folglich eine geheime Anweisung dazu besteht. Im Zuge einer dann möglichen Strafanzeige und der resultierenden Ermittlungen steht eine Geschäftsführung schnell – medial wie auch strafrechtlich – mit dem Rücken zur Wand.
Enge Begleitung der Wahl erforderlich
Für Arbeitgeber ist es ratsam, sich also nicht nur aktiv mit dem Thema „Betriebsratswahl“ zu beschäftigen und diese gut vorzubereiten in dem Sinne, dass Führungskräfte (und andere Mitarbeiter) frühzeitig sensibilisiert und zu ordnungsgemäßem Verhalten geschult werden. Auch die enge “Begleitung” der Wahlen bis Ende Mai sollte im Fokus stehen, um unliebsame Überraschungen und Folgeprobleme zu vermeiden.