Das Jura-Studium als Chance
Juristen können alles. So sehen das jedenfalls viele Juristen. Wörtlich nehmen darf man diese Formulierung indes nicht, wie der Verfasser dieses Beitrags immer wieder beweist, wenn er handwerklichen Tätigkeiten nachgeht. Gemeint ist, dass eine juristische Ausbildung viele Möglichkeiten eröffnet – nicht nur in klassischen Rechts-Berufen.
Juristen finden sich in Wirtschaft und Verwaltung in unterschiedlichen Funktionen. Und auch im politischen Bereich ist diese Berufsgruppe stark vertreten. So mag der Bundestag, wie es der ehemalige FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff einmal ausdrückte, zwar „mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer“ sein. Es finden sich jedoch deutlich mehr Abgeordnete mit einem Studium der Rechtswissenschaften als Lehramts-Absolventen.
Und so steht mancher nach dem 1. oder 2. juristischen Staatsexamen vor der Qual der Wahl. Aber wo auch immer man seinen beruflichen Schwerpunkt setzen möchte: Als Volljurist in einem Yoga-Ashram zu arbeiten, scheint jedenfalls nicht empfehlenswert. Das zeigt ein Fall, der sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigte.
Taschengeld und vegetarische Ernährung
Eine Juristin hatte rund acht Jahre lang in einem Yoga-Zentrum in Horn-Bad Meinberg, einem kleinen Ort in Ostwestfalen-Lippe, gelebt und gearbeitet. Betrieben wurde dieses Zentrum von „Yoga Vidya e.V.“, einem Verein, der laut Tagesschau Umsätze im zweistelligen Millionen-Bereich erwirtschaftet.
Nach den vertraglichen Vereinbarungen musste die Frau wöchentlich 42 Stunden arbeiten. Als Gegenleistung erhielt sie danach „ein Taschengeld plus Sozialversicherung, Unterkunft und Verpflegung“. Das Taschengeld betrug zwischen 360 und 430 Euro monatlich.
Viel ist das nicht gerade. Und dass sich nach dem Vertrag die „freie Verpflegung … nach yogischen Gesichtspunkten (richtet): vegetarische Vollwert-Ernährung größtenteils aus ökologischem Anbau“, mag zwar bei entsprechenden Ernährungsgewohnheiten gefallen. Im Vergleich zu einem normalen Arbeitseinkommen ist aber auch das eine sehr geringe Leistung.
Allerdings wurde in dem Mitarbeitervertrag auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man nur wenig bekommt. „Das Mitglied ist sich bewusst, dass aus diesem Vertrag kein Anspruch auf ein für das Aufgabengebiet marktübliches Gehalt, einen üblichen Lohn entsteht“, heißt es unter anderem in dieser Vereinbarung.
Über Purohita und Brahmacharya
Eine Weile lief alles entsprechend dieser Vereinbarung. Die Juristin war in verschiedenen Funktionen unter anderem mit der Seminar- und Unterrichtsplanung sowie verschiedenen Social-Media-Aktivitäten für den Verein befasst.
Zudem wurde sie, wie man der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts entnehmen kann, nach Abschluss verschiedener Ausbildungen „im Rahmen einer sog. Brahmachrya-Weihe zur Priesterin (Purohita) ernannt“. Die „spirituelle Entwicklung“ habe aber stets außerhalb der Arbeitszeit stattgefunden.
Was die vom BAG angesprochene „spirituelle Entwicklung“ bedeutet, erfährt man auf den Internet-Seiten des Vereins. „Der Purohita, das ist jemand, der dazu ernannt worden ist, der dazu eine Weihe bekommen hat, um Rituale auszuführen in einer speziellen Tradition einem bestimmten Tempel oder in einem bestimmten Ashram oder auch für eine bestimmte Familie“, heißt es dort.
Zölibat und sexuelle Enthaltsamkeit
Etwas schwieriger herauszufinden ist, was mit „Brahmachrya“ gemeint ist. Vermutlich haben die obersten Arbeitsrichter einen Buchstaben in dem Wort „Brahmacharya“ vergessen. Das ist nach den Angaben auf der Internet-Seite des Vereins „Leben im Absoluten … die Bewegung zu Gott oder Atman hin“.
Im engeren Sinne bedeutet es „Zölibat und sexuelle Enthaltsamkeit“. Es ist „strikte Enthaltsamkeit nicht nur vom Geschlechtsverkehr, sondern auch von selbsterotischen Manifestationen, Masturbation, homosexuellen Handlungen und allen Formen von Sexualpraktiken. Ferner muß (sic!) ein ständiges Enthalten von Nachsinnen über erotische Vorstellungen und wollüstige träume (sic!) miteinbezogen werden.“ Im weiteren Sinne „meint“ Brahmacharya „die absolute Kontrolle aller Sinne“.
TVöD oder Mindestlohn
Aber was auch immer der Begriff bedeuten mag. Glücklich wurde die Frau mit ihrem Leben im Ashram wohl nicht. Jedenfalls trat sie nach einigen Jahren aus der Gemeinschaft aus und beendete ihre Tätigkeit für den Verein.
Sie forderte nun nachträglich eine Vergütung unter Orientierung an der Entgeltgruppe 13 des TVöD. Nach Ansicht der Juristin hatte zwischen ihr und dem Verein ein Arbeitsverhältnis bestanden. Die Gegenleistung habe zu der erbrachten Arbeitsleistung in einem auffälligen Missverhältnis gestanden. Lege man den von ihr genannten Maßstab nicht zugrunde, sei zumindest der gesetzliche Mindestlohn geschuldet.
Nix gibt’s, meinte dagegen der Yoga-Verein. Die Frau sei kein Arbeitnehmer, sondern Mitglied einer hinduistischen Klostergemeinschaft gewesen. Insofern seien die gleichen Maßstäbe zugrunde zu legen, wie für Mitglieder von christlich-klösterlichen Gemeinschaften. Hier wie dort gehe es um Spiritualität und das sei der Frau auch bewusst gewesen.
Der Verein meinte, dass die Arbeiten der Juristin in dem Ashram als „gemeinnütziger Dienst einem ähnlichen Prinzip“ folgen „wie dies bei christlich klösterlichen (sic!) Leben nach dem Prinzip des ‚Ora et labora‘ der Fall ist“. Er verwies als Beispiel auf „die Andechser Brauerei, in der Mönche unter Mithilfe beschäftigter Arbeitnehmer Bier brauen, welches im Anschluss veräußert wird, ohne dass in den Raum gestellt würde, dass die tätigen Mönche im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig würden“.
Religionsgemeinschaft oder nicht
Vor dem ArbG Detmold (Urt. v. 15.10.2021 – 3 Ca 732/20) hatte die Juristin zunächst Erfolg – zumindest teilweise. Das Gericht verurteilte den Verein zur Zahlung von 46.118,54 Euro brutto nebst Zinsen, wies die Klage im Übrigen aber ab.
Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Es gebe jedoch keinen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 13 des TVöD, sondern nur auf Zahlung des Mindestlohns, auf den das entrichtete Taschengeld anzurechnen sei.
Das LAG Hamm sah das anders (Urt. v. 17.05.2022 – 6 Sa 1249/21). Der Verein sei als Religionsgemeinschaft anzusehen. Dass er sich auch erwerbswirtschaftlich betätige stehe dem nicht entgegen, da diese Aktivitäten „nicht in einem Umfang“ erfolgen, „dass davon auszugehen wäre, die religiösen Lehren seien nur Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele“. Auch dass man als Mitglied anderen Religionen angehören und diese ausüben kann, sei irrelevant: „Dies mag zwar zumindest der Auffassung der monotheistischen Religionen widersprechen, es ist jedoch rechtlich zu akzeptieren, dass der Beklagte eine religiöse Gemeinschaft hat, auch wenn er keinen Exklusivitätsanspruch erhebt“, so das LAG.
Die Juristin sei bei der Gemeinschaft nicht als Arbeitnehmer tätig gewesen. Dem Vertragsverhältnis läge keine Erwerbsabsicht zugrunde. Vielmehr sei das Verhältnis zwischen den Parteien religiös geprägt gewesen.
Keine Systembildung und Weltdeutung
Das BAG gab der Revision gegen diese Entscheidung statt und verwies die Sache zurück (Urt. v. 25.04.2023 – 9 AZR 253/22). Nach Ansicht der obersten Arbeitsrichter hat die Frau Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Die besonderen Gestaltungsrechte von Religionsgemeinschaften stehen dem nicht entgegen, da der Verein nicht als eine solche Gemeinschaft anzusehen sei.
Es fehle am dafür erforderlichen Mindestmaß an Systembildung und Weltdeutung. Der Verein beschränke „sich auf formelhafte Beschreibungen, wie Yoga Vedanta sei eine der Hauptrichtungen des Hinduismus und Yoga der Oberbegriff für alle Methoden der geistigen Entwicklung“. Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel menschlichen Lebens fänden sich nicht.
Das BAG verwies in seiner Argumentation auch auf die Satzung des Vereins: Die enthalte „eine Aufzählung verschiedener Glaubens- und Überzeugungsrichtungen, die weder als Einzelpositionen näher erläutert noch als Gesamtheit in einen inneren Sinnzusammenhang gestellt werden. Ein systemisches Gesamtgefüge religiöser bzw. weltanschaulicher Elemente und deren innerer Zusammenhang mit der Yoga V Lehre lassen sich nicht hinreichend erkennen“, so die Erfurter Richter.
Nicht alles, aber immerhin
Das LAG Hamm (Urt. v. 14.05.2024, Az. 6 Sa 1128/23) verurteilte den Verein daraufhin zur Zahlung des Mindestlohns. Die von dem Verein gegen die Entscheidung des BAG eingelegte Verfassungsbeschwerde nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an, da sie den gesetzlichen Darlegungsanforderungen nicht gerecht wurde (Beschl. v. 02.07.2024 – 1 BvR 2244/23).
Die Karlsruher Richter wiesen in dem Beschluss darauf hin, dass es dahinstehen könne, ob es sich um eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft handle. Denn die von der Juristin geleisteten Dienste, um deren arbeitsrechtliche Beurteilung es hier gehe, seien für sich genommen ohnehin nicht religiös geprägt.
Womit die Frau für die jahrelange Tätigkeit einen Betrag von etwas über 40.000 Euro erhielt. Das ist deutlich weniger, als die ursprünglich in Anlehnung an den TVöD geforderten ca. 200.000 Euro. Einen solchen Betrag hätte sie mit ihrer Ausbildung in vielen Berufen locker erwirtschaften können. Hat sie aber nicht. Augen auf bei der Berufswahl gilt eben auch für Juristen. Und vielleicht sogar besonders für sie.