Das Thema
Nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Hamburg (Beschluss vom 16. Juli 2020 – 8 TaBV 8/19) steht dem Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Personalschlüsseln – also im Sinne einer Mindestpersonalbesetzung zur Vermeidung einer ansonsten gesundheitsgefährdenden Überlastung des Personals – zu.
Damit stellt sich dieser Beschluss ganz offensichtlich gegen etwa die Entscheidung des LAG Schleswig- Holstein (16 TaBV 21/17) vom 25. April 2018, wo noch entscheiden wurde, dass der Betriebsrat Regelungen zur Mindestpersonalbesetzung gerade nicht erzwingen kann.
Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit der Entscheidung des LAG Hamburg vor allem zur Frage, wie stark diese Rechtsprechung in den Kernbereich der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit eingreift.
Arbeitgeber wehrt sich gegen Spruch der Einigungsstelle über Quote einer Mindestpersonalbesetzung
In einem Klinikum im Hamburger Norden fanden über mehrere Jahre immer wieder Gespräche zwischen Betriebsrat und Klinikleitung über die – jeweils durchgeführten – Gefährdungsbeurteilungen und die daraus abzuleitenden Maßnahmen statt. Zu dem Zwecke waren im Klinikum immer wieder externe Sachverständige zugegen, um die Belastung der Mitarbeiter – durch Rückfrage bei diesen – abzufragen.
Schließlich wurde in einer Einigungsstelle über die aus den Befunden der Sachverständigen abzuleitenden Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Mitarbeiter verhandelt. Dem Betriebsrat ging es hierbei vordringlich um die Festlegung von Mindestpersonalquoten je Patientenbett, während die Arbeitgeberseite eine solche Festlegung strikt ablehnte. Die Einigungsstelle kam dann jedoch durch Spruch zur Festlegung einer eben solchen Mindestbesetzungsquote.
Die Klinikleitung focht den Spruch der Einigungsstelle umgehend beim Arbeitsgericht Hamburg an und obsiegte dort; das Arbeitsgericht Hamburg stellte die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle – wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht – fest.
LAG Hamburg hält Mindestpersonalquote für wirksam – und die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein für falsch
Die Beschwerde des Betriebsrates gegen die erstinstanzliche Entscheidung fand beim LAG Hamburg jedoch Gehör; das LAG Hamburg wies die Anträge der Arbeitgeberseite zurück und hielt den Spruch der Einigungsstelle für wirksam. Das LAG Hamburg verwies zunächst darauf, dass die gegensätzliche Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 25. April 2018 – 6 TaBV 21/17) in einem vergleichbaren Sachverhalt unzutreffend sei; auch wenn das Rechtsbeschwerdeverfahren vom Bundesarbeitsgericht nicht mehr habe entschieden werden können (wegen anderweitiger Erledigungen), habe es aber jedenfalls in seinem Beschluss vom 19. November 2019 (1 ABR 22/18) deutlich gemacht, dass die vom LAG Schleswig-Holstein herangezogene Begründung nicht tragend sei.
Das LAG Schleswig-Holstein hatte – mit der wohl herrschenden Meinung im Schrifttum – die Auffassung vertreten, dass die Festlegung von Mindestbesetzungsquoten dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates entzogen sei. Zum einen handele es sich bei der Festlegung der Beschäftigtenanzahl um den Kernbereich der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit, in den der Betriebsrat nicht mit seinen erzwingbaren Mitbestimmungsrechten eingreifen dürfe. Überdies folge auch aus einem systematischen Verständnis des § 92 BetrVG einerseits und des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zum anderen, dass die Mitbestimmung bei der Gesundheitsprävention die Festlegung von Mindestbesetzungsquoten gerade ausschließe. § 92 BetrVG gewährt dem Betriebsrat bei der Personalplanung nämlich ausschließlich Informations- und Beratungsrechte und gerade keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte.
Die Entscheidung des LAG Hamburg passt nicht in die Systematik der Betriebsverfassung
Im Ergebnis ist die Entscheidung des LAG Hamburg abzulehnen. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht in der Tat einen fein justierten Katalog an Informations-, Beratungs- und echten Mitbestimmungsrechten vor. Die für die Erledigung einer bestimmten Aufgabe vorgesehene Anzahl an Mitarbeitern kann immer – irgendwie – im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz der Belegschaft gesehen werden. Die Zubilligung eines Mitbestimmungsrechtes bei der Festlegung von Beschäftigungsquoten würde daher in der Tat im Ergebnis wohl dazu führen, dass § 92 BetrVG eine eigene Daseinsberechtigung verliert. Das aber kann dem Gesetzgeber, der die entsprechenden Paragrafen bewusst so – abgewogen und austariert – in der Intensität der Beteiligungsrechte des Betriebsrates vorgesehen hat, gerade nicht unterstellt werden.
Bereits im Hinblick auf die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und des damit einhergehenden Spannungsverhältnisses zwischen § 90 BetrVG einerseits (Gestaltung des Arbeitsplatzes) und der Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz (§ 87 BetrVG) andererseits hatte das BAG dies in einer ganzen Reihe von Entscheidungen schon ebenso bewertet. Es hat explizit hervorgehoben, dass eine extensive Auslegung von § 87 BetrVG nicht dazu führen darf, dass die Systematik des Betriebsverfassungsgesetzes im Ergebnis obsolet wird.
Überdies zeigt das Betriebsverfassungsgesetz in seiner Systematik, dass die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen (mit welcher Personalstärke möchte ich den Betrieb führen?) ebenfalls der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrates entzogen sind, §§ 111, 112 BetrVG. Hier ist in der Tat der grundrechtlich verbürgte Kern der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit nicht nur berührt, sondern im Kern bedroht. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, das diese Wertung konterkariert, liefe der gesamten Gesetzessystematik zuwider.
Weitere Kritik und Argumente hierfür
Dem LAG Hamburg ist zudem vorzuhalten, dass es – bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung der Einigungsstelle – völlig unbeachtet ließ, dass diese eine so weitreichende Entscheidung auf Basis von mehrere Jahre alten Informationen und ohne Erwägung alternativer Optionen (beispielsweise Abdelegation administrativer Aufgaben vom medizinischen Personal) getroffen hat.
Unberücksichtigt ließ das LAG Hamburg überdies den Umstand, dass im pflegerischen Bereich der Gesetzgeber selbst Mindestbesetzungsvorgaben getroffen hat, die im vorliegenden Fall (mangels expliziter Sachverhaltsangaben ist davon auszugehen) eingehalten wurden. Wenn aber der Gesetzgeber – durch parlamentarischen Beschluss – in die unternehmerische Gestaltungsfreiheit nur bis zu einem bestimmten Grade eingreift, dann kann es – durch extensive Auslegung von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG – gerade nicht mehr zulässig sein, dass der Betriebsrat qua Mitbestimmungsrecht diese gesetzgeberische Entscheidung noch ausweitet und noch strengere Anforderungen an die Kliniken stellt.
Der Kampf um Mindestbesetzungsquoten und der Mitbestimmung dazu geht weiter
Es ist bereits seit einiger Zeit zu beobachten, dass der Kampf (um die Möglichkeiten der Erzwingung!) von Mindestbesetzungsquoten auf politischer Ebene (diverse gesetzgeberische Verordnungen zu solchen Quoten), auf gesellschaftlicher Ebene, auf gewerkschaftlicher Ebene (Forderung von Personalbesetzungs-Tarifverträgen) sowie teilweise auf betrieblicher Ebene von den Betriebsräten geführt wird. Und dieser Kampf wird weiter gehen.
Hierbei ist freilich immer die rechtliche Erzwingbarkeit (steht hier im Fokus) von der betrieblichen Notwendigkeit (ganz andere Diskussionsebene) zu unterscheiden. Werden diese Ebenen vermischt, besteht häufig die Gefahr, dass die durchaus nachvollziehbare Forderung nach mehr Personal – etwa im Bereich der Pflege – den Blick auf rechtliche Grundsätze – etwa im Betriebsverfassungsrecht – trübt.
Arbeitgebern, die von Gewerkschaften und Betriebsräten entsprechend angegangen werden, kann nur zu ausgesprochen vorsichtigem Agieren geraten werden; die enge rechtliche Begleitung des arbeitgeberseitigen Verhaltens in diesen Fragen ist dringend anzuraten, um unnötige Fehler in der Kommunikation oder gar unnötige Entscheidungen zu Lasten der Arbeitgeberseite zu vermeiden.