Das Thema
Selten wurde dem Hinweisbeschluss eines Berufungsgerichts so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Beschluss OLG München vom 02.08.2018 (Az. 7 U 2107/18). Das OLG wies die Parteien darauf hin, dass die Berufung der beklagten GmbH zurückzuweisen sei, da ein mit dem klagenden Geschäftsführer vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot nichtig sei. Das Verbot sei gegenständlich zu weit gefasst, da es sogar „Hausmeistertätigkeiten“ bei Wettbewerbern untersage. Dabei hatte sich die GmbH in dem Vertrag nur der (auch für Arbeitnehmer) üblichen Formulierung bedient, wonach jedes Tätigwerden für ein Konkurrenzunternehmen untersagt sei.
Dies bedarf der Klärung: Sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit Gesellschaftsorganen nicht mehr wirksam regelbar?
Oberlandesgericht München nimmt Gesamtnichtigkeit eines zu weitreichenden „Verbots“ an
In dem entschiedenen Fall begehrte der Geschäftsführer einer GmbH die Gestattung, ab 01.08.2018 als Geschäftsführer eines Konkurrenzunternehmens tätig zu werden. Das LG München gab dem Antrag mit Urteil vom 19.06.2018 statt. Nach Einlegung der Berufung durch die GmbH erließ das OLG München den Hinweisbeschluss vom 02.08.2018, bevor es die Berufung endgültig nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückwies. Die GmbH, die u.a. hochwertige Marken-Brillengläser und Marken-Brillenfassungen produzierte und vertrieb, hatte mit dem Geschäftsführer am 05.02.2016 ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit folgender Reichweite vereinbart:
„Der Geschäftsführer verpflichtet sich, für die Dauer von einem Jahr nach Beendigung des Anstellungsvertrages weder in selbständiger noch unselbstständiger Stellung oder in sonstiger Weise für ein Konkurrenzunternehmen der Gesellschaft tätig zu werden (einschließlich Übernahme einer Organstellung o.ä.).“
Die GmbH kündigte dem Geschäftsführer Mitte 2017 ordentlich zum 31.07.2018 und stellte ihn frei. Der Geschäftsführer plante, ab 01.08.2018 Geschäftsführer einer Gesellschaft zu werden, deren Gruppe Brillengläser und -fassungen an Augenoptiker vertrieb.
Teilnichtigkeit kommt nicht in Betracht
Das OLG bestätigte, dass der Geschäftsführer als Geschäftsführer des Konkurrenzunternehmens tätig werden dürfe. Das Verbot sei zu weit gefasst. Die Interessen der GmbH müssten sich in der Reichweite des Verbots widerspiegeln. Ein zu weit gefasstes Verbot sei nach § 138 BGB nichtig. Die Höhe der Karenzentschädigung sei insoweit unerheblich, da ein Verbot auch ohne Karenzentschädigung zulässig sein könne. Dem Geschäftsführer sei hier jede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen untersagt worden. Darunter würden auch Hausmeistertätigkeiten fallen. Diese weise zu der früheren Tätigkeit keinen Bezug auf und sei daher nicht von berechtigten Interessen der GmbH gedeckt. Anderes folge nicht aus der Umgehungsgefahr, dass der Geschäftsführer bei dem Konkurrenten pro forma in untergeordneter Funktion angestellt werden könne. Damit ließe sich jede Reichweite eines Verbots rechtfertigen; Umgehungsgefahren könnten nicht durch Vertragsgestaltungen ausgeschlossen werden.
Eine geltungserhaltende Reduktion des Verbots – z.B. auf eine Organtätigkeit – komme nicht in Betracht. Eine Teilnichtigkeit sei bei der weiten Formulierung des Verbots ausgeschlossen. Der Mangel werde auch nicht durch die salvatorische Klausel der Vereinbarung geheilt, da diese rechtsunwirksam sei.
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot: Prüfungsmaßstäbe bei Organmitgliedern und Arbeitnehmern
Im Arbeitsverhältnis ist die Gestaltungsfreiheit bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten zum Schutz des Arbeitnehmers eingeschränkt. § 110 S. 2 GewO verweist auf die §§ 74 ff. HGB. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH finden die §§ 74 ff. HGB auf Organmitglieder jedoch keine Anwendung. Das Wettbewerbsverbot des Organs ist vielmehr an § 138 BGB i.V.m. Art. 2 und 12 GG zu messen. Mit Blick auf die Berufsausübungsfreiheit ist es nur rechtswirksam, wenn und soweit es notwendig ist, um sich vor einer illoyalen Verwertung der Arbeitserfolge durch das Organ zu schützen.
Das Verbot ist daher nur dann nicht sittenwidrig, wenn es das notwendige Maß in räumlicher, gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht nicht überschreitet. Dies ist (angelehnt an § 74a Abs. 1 HGB) in zwei Stufen zu prüfen: Das Verbot muss (1.) einem berechtigten geschäftlichen Interesse der Gesellschaft dienen. Ist dies der Fall, darf es (2.) die wirtschaftliche Tätigkeit des Organs nach Ort, Zeit und Gegenstand der Berufsausübung nicht unbillig erschweren.
Ist das Verbot zu weit gefasst, ist es insgesamt nichtig, sofern nicht nur eine zu lange Dauer vereinbart wurde, die auf zwei Jahre begrenzt wird.
Mit der Anlehnung an § 74a Abs. 1 HGB kommt es aber keineswegs zu einem Arbeitnehmerschutz „durch die Hintertür“: § 74a Abs. 1 HGB sieht für Wettbewerbsverbote mit Arbeitnehmern vor, dass diese nur insoweit verbindlich sind, wie ein berechtigtes geschäftliches Interesse des Arbeitgebers vorliegt und das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unbillig erschwert wird. Es findet also – gesetzlich normiert – eine geltungserhaltende Reduktion statt. Anders ist dies bei Verboten mit Organmitgliedern: Hier gibt es keine geltungserhaltende Reduktion des Verbots auf ein noch zulässiges Maß. Eine solche kann allein über eine Teilnichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 139 BGB) oder den Vertrag (z.B. eine salvatorische Klausel) erfolgen. Beide Wege sind aber nur eingeschränkt möglich: Die Teilnichtigkeit des Rechtsgeschäfts setzt dessen Teilbarkeit voraus. Zudem muss das Rechtsgeschäft noch Bestand haben können, wenn die nichtigen Teile gestrichen werden. Und die in einen Anstellungsvertrag eingefügte salvatorische Klausel ist wegen Umgehung des § 306 Abs. 2 BGB nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB rechtsunwirksam.
Eine Gemeinsamkeit bei der Prüfung der Wettbewerbsverbote von Organmitgliedern und Arbeitnehmern gibt es dann aber doch: Beide sind, was ihr Gegenstand angeht, einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB entzogen. Der Gegenstand des Verbots ist als Hauptleistungspflicht eines gegenseitigen Vertrags der Inhaltskontrolle entzogen. Dies wird oft übersehen.
Befinden sich Organmitglieder in einer Komfortzone?
Die Entscheidung des OLG München ist folgerichtig. Das OLG wendet die vom BGH entwickelten Grundsätze an. Das Wettbewerbsverbot war gegenständlich zu weit gefasst. Die Untersagung jeder Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen kann nicht von einem berechtigten Geschäftsinteresse getragen sein. Das OLG veranschaulicht dies mit seinem Hinweis auf Hausmeistertätigkeiten. Umgehungsgesichtspunkte begründen kein berechtigtes Geschäftsinteresse. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass die Höhe der Entschädigung insoweit keine Rolle spielt. Diese ist nur – auf der zweiten Prüfungsstufe – ein Aspekt dafür, ob das berufliche Fortkommen des Organs unbillig erschwert wird. Nicht zu beanstanden ist auch, dass eine geltungserhaltende Reduktion des Verbots aufgrund Teilnichtigkeit und der salvatorischen Klausel verneint wurde.
Nichtsdestotrotz bereitet die Entscheidung Unbehagen
Denn gerade der Vergleich mit Arbeitnehmern offenbart krasse Wertungswidersprüche: Dort, wo sich der Arbeitnehmer bei einer nur geringfügig überschießenden Regelung an ein reduziertes Verbot halten muss, ist das Organ von dem Verbot ganz befreit. Damit wird der von § 74a Abs. 1 S. 1 HGB bezweckte Schutz für den Arbeitnehmer im Vergleich zum Gesellschaftsorgan zu einem Nachteil. Zwar könnte eingewandt werden, dass Arbeitnehmer dann aber auch die zugesagte Entschädigung erhalten, während das Organ keinen Entschädigungsanspruch habe. Dies trifft aber nur bedingt zu: In der Regel ist das Organ daran interessiert, sich von dem Verbot zu lösen und sein Wissen bei der Konkurrenz einzubringen.
Will die Gesellschaft sich lösen, wird das zudem häufig nicht gelingen: Üblicherweise befindet sich in der Vereinbarung eine salvatorische Klausel, die ein zu weites Verbot geltungserhaltend reduziert, und auf deren Unwirksamkeit sich die Gesellschaft als Klauselverwender nicht berufen darf. Dies führt auf Basis des geltenden Rechts zu einer Bevorteilung des Organs, die sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Dessen Schutzbedürftigkeit ist typischerweise mit der eines Angestellten vergleichbar. Nicht ohne Grund wird deshalb von Teilen der Literatur eine analoge Anwendung des § 74a Abs. 1 HGB auf Wettbewerbsverbote mit Organen gefordert. Dies ist zumindest bei einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Gesellschaft sachgerecht, da das Organ dann einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzwürdig und als arbeitnehmerähnliche Person einzustufen ist.
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot in der Praxis: Konkrete Ausgestaltung ist geboten!
Die Folgen der Rechtsprechung sind unübersehbar: Mehr denn je ist bei der Gestaltung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote mit Organen Sorgfalt geboten. Bei der sachlichen Reichweite ist eine möglichst passgenaue Formulierung, zumindest aber eine Bezugnahme auf die §§ 74 ff. HGB zu empfehlen. Beide Ansätze könnten auch miteinander kombiniert werden.
Lösungsansatz 1: Verbot durch Auflistung untersagter Tätigkeiten und Aufgaben konkretisieren
Der Gegenstand des Verbots kann durch eine Auflistung untersagter Tätigkeiten und Aufgaben bei Konkurrenzunternehmen konkret formuliert werden. Zu achten ist darauf, dass die untersagten Tätigkeiten mit den aktuellen Aufgabenbereichen des Organmitglieds in einem funktionalen Zusammenhang stehen, da anderenfalls ein berechtigtes Geschäftsinteresse der Gesellschaft fehlen dürfte.
Beispiel:
„Der Geschäftsführer verpflichtet sich, … weder … noch … für ein Konkurrenzunternehmen der Gesellschaft wie folgt tätig zu werden:
- als gesetzliches Vertretungsorgan,
- in der Entwicklung und/oder Vertrieb von Produkten der Geschäftsbereiche …,
- in der Marktstrategie und Beratung, (…).“
Eine solche Gestaltung kann vermeiden, dass die Regelung als insgesamt nichtig eingestuft wird und auch Umgehungstatbestände wirksam erfassen. Gegebenenfalls sind einzelne Teile des Verbots sittenwidrig. Die Nachteile der Gestaltung liegen jedoch darin, dass im Zeitpunkt der Vereinbarung oft noch nicht beurteilt werden kann, welche Verbote später von einem berechtigten Interesse gedeckt sein könnten. Zudem könnten im Laufe der Jahre weitere Geschäftsfelder erschlossen werden, die in das Verbot nicht einbezogen wurden. Eine diesbezügliche ergänzende Vereinbarung bedürfte dann der Mitwirkung des Organs.
Lösungsansatz 2: Bezugnahme auf das Gesetz
Denkbar ist auch eine Bezugnahme auf die §§ 74 ff. HGB und – konkret – auf § 74a Abs. 1 HGB:
Beispiel:
„Der Geschäftsführer verpflichtet sich, …. Das Verbot ist begrenzt auf solche Tätigkeiten, deren Untersagung dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses der Gesellschaft dient. Es gilt § 74a Abs. 1 S. 1 HGB. (…)
Auf das Wettbewerbsverbot finden die §§ 74 ff. HGB entsprechend Anwendung, soweit in dieser Vereinbarung keine abweichenden Regelungen getroffen sind.“
Ob derartige Bezugnahmen wirksam und gerichtsfest sind, ist noch nicht geklärt. Es könnte eingewandt werden, dass sie eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion ermöglichten. Dem folge ich nicht: Eine vereinbarte Anwendung von Arbeitnehmerschutzvorschriften kann gerade dann, wenn der Vertrag von der Gesellschaft gestellt wird, nicht sittenwidrig sein. Eine Regelung, die Arbeitnehmern die Einhaltung eines nur eingeschränkten Verbots auferlegt, kann Organe nicht sittenwidrig beschränken. Der Organtätigkeit kann – nach Ansicht des BAG – auch ein Arbeitsvertrag zugrunde gelegt werden. Dann können auch die Anwendung einzelner Arbeitnehmerschutzvorschriften vereinbart werden.
Darüber hinaus dürfte eine Umgehung des § 306 Abs. 2 BGB ausscheiden, weil eine Hauptleistungspflicht geregelt wird. Jedenfalls aber läge ein gesetzlicher Grundgedanke i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor. All dies gilt zumindest dann, wenn auch die übrigen Vorschriften der §§ 74 ff. HGB (einschl. der Zusage einer Entschädigung gemäß § 74 Abs. 2 HGB) in Bezug genommen sind. Nicht ausreichen dürfte es hingegen, in einem zu weiten Verbot aufzunehmen, dass „ergänzend“ oder „im Übrigen“ die §§ 74 ff. HGB gelten, da dies den geregelten Verbotsgegenstand nicht abändern würde.
Fazit: Vorsicht und Sorgfalt anwenden!
Nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit Organmitgliedern sind noch nicht am Ende und nach wie vor wirksam vereinbar. Der Beschluss des OLG München mahnt aber zur Vorsicht und Sorgfalt: Der Verbotsgegenstand ist möglichst konkret zu formulieren. Ungeachtet dessen besteht Anlass, die §§ 74 ff. HGB zumindest auf solche Organmitglieder, die in wirtschaftlicher Abhängigkeit tätig sind, entsprechend anzuwenden.
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