Das Thema
Die COVID19-Pandemie stellt auch die Justiz vor besondere Herausforderungen. (Auch) Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist schwerwiegend von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen. Bundesweit haben die Landesjustizverwaltungen empfohlen, aus Gründen des Gesundheitsschutzes den Sitzungsbetrieb, von dringenden Verfahren abgesehen, vom 17. März bis vorläufig zum 19. April 2020 einzustellen. Derzeit ruht der Sitzungsbetrieb sowohl beim Bundesarbeitsgericht als auch an allen Arbeitsgerichten weitestgehend, weil ein Zusammentreffen der Vorsitzenden, der ehrenamtlichen Richter, der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten sowie ggf. der Dolmetscher, Zeugen und Sachverständigen im Sitzungssaal möglichst vermieden werden soll.
Diese Sachlage führt zu einer empfindlichen Einschränkung des Justizgewährleistungsanspruchs. Die Arbeitsgerichte sind gerade angesichts der vorliegenden Krise in besonderem Maße gehalten, einen zügigen und effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.
Referentenentwurf eines “Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes”
Deshalb verwundert es nicht, dass – inzwischen mit der BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt an der Spitze – eine Initiative der Landesarbeitsgerichte die Auffassung vertritt, das zeitnah Gerichtsverhandlungen daher auf absehbare Zeit nur durchgeführt werden können, indem verstärkt auf Videokonferenztechnik („Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung“) zurückgegriffen wird.
Wie ernst es der Initiative ist, zeigt nicht nur ein Hintergrundpapier von Ingrid Schmidt, sondern ein bereits vorliegender “Referentenentwurf” eines “Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes” mit Stand 25. März 2020. Bis Redaktionsschluss war nicht zu klären, ob die Urheberschaft des Entwurfs bereits im BMAS zu finden ist.
Die bisherigen gesetzlichen Regelungen
Schon seit 2002 ermöglicht § 128a ZPO – der über § 46 Abs. 2 ArbGG für die Arbeitsgerichte entsprechend gilt – dass sich Parteien, ihre Bevollmächtigten, Zeugen, Sachverständige etc. während der Verhandlung bzw. ihrer Vernehmung „an einem anderen Ort“ aufhalten können; die Verhandlung wird dann „zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen“. Schon seit 2013 bedarf es dafür nicht mehr der Zustimmung der weiteren Beteiligten.
Gerichtsverhandlungen sind damit auch möglich, ohne dass – mit Ausnahme der Richterinnen und Richter – eine weitere Person im Gerichtssaal anwesend ist. Damit eine weitgehend „Corona-konforme“ Verhandlung in rechtlicher Hinsicht schon heute möglich: Der Anwalt kann aus seinem häuslichen Arbeitszimmer – „Corona-typisch“ mit Kinderlärm im Hintergrund – der in ihrem Büro sitzenden Zeugin Fragen stellen, während das Gericht und ggf. die Öffentlichkeit im Sitzungssaal zusehen/-hören.
Lediglich in zweierlei Hinsicht bereitet die gegenwärtige Rechtslage Probleme: Richterinnen und Richter können sich während der Verhandlung nicht in ihrem Büro (oder im Home-Office) aufhalten, obwohl der erforderliche Mindestabstand von 1,50 Metern in den meisten Gerichtssälen wohl nicht ohne Weiteres einzuhalten sein wird. Und das Gericht kann den Beteiligten zwar gestatten, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten; es kann aber niemanden zur Teilnahme (ausschließlich) im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO verpflichten.
Hinzu kommt, dass auch bei einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung der Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 52 ArbGG) gewahrt sein muss: Eine einfache „Skype-Konferenz“ mit den Beteiligten kommt daher (abseits aller datenschutzrechtlichen Aspekte) offensichtlich nicht in Betracht. § 52 ArbGG erfordert vielmehr einen Sitzungssaal, in dem sich ausreichend viele Bildschirme und Lautsprecher befinden, um die abwesende Person(en) in den Gerichtssaal zu übertragen (und entsprechend viele Kameras und Mikrofone, um die Verhandlung zur abwesenden Person zu übertragen). Gerade fehlt es aber oft nach wie vor, so dass Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung nach wie vor kaum praktisch relevant sind.
Der Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes
Genau an diesen Problemen setzt die eingangs zitierte Initiative der Landesarbeitsgerichte und der BAG-Präsidentin an, wobei der zugespielte “Referentenentwurf” mit dem wohl diesem vorausgehenden Eckpunktepapier der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts zusammen betrachtet werden muss. Beide Dokumente liegen dem Autor und der EFAR-Redaktion exklusiv vor.
Der Entwurf verfolgt ausweislich der Begründung das Ziel, den erforderlichen Gesundheitsschutz und die Funktionsfähigkeit der Arbeitsgerichte sicherzustellen. Dazu sollen die zuvor genannten drei Punkte angegangen bzw. gelöst werden:
- Das Gericht wird ermächtigt, eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung anzuordnen und die Parteien und alle weiteren Beteiligten damit zu verpflichten, an der Verhandlung ausschließlich per Videokonferenz teilzunehmen.
- Eine gleichzeitige Anwesenheit von Vorsitzendem und ehrenamtlichen Richtern ist weder im Sitzungssaal noch zum Zwecke der Beratung (s. dazu BAG, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 417/14 Rn. 12 f.) erforderlich.
- Auf die Öffentlichkeit wird insoweit verzichtet.
Dazu soll § 46 ArbGG um einen dritten Absatz ergänzt werden, der wie folgt lauten soll:
„Das Gericht kann unbeschadet des § 128a ZPO zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen anordnen, dass die mündliche Verhandlung ausschließlich im Wege der zeitgleichen Übertragung in Bild und Ton in unterschiedlichen Räumlichkeiten, auch außerhalb des Sitzungszimmers, stattfindet, sofern die Prozessbeteiligten die technischen Voraussetzungen hierfür in zumutbarer Weise schaffen können. Im Einvernehmen mit den ehrenamtlichen Richtern kann die Beratung und Abstimmung in derselben Weise vorgenommen werden. Die Verhandlung einschließlich der Verkündung ist nicht öffentlich. § 128a Abs. 3 ZPO gilt entsprechend.“
In zweit- und drittinstanzlichen Verfahren wird außerdem die Verkündung des Urteils durch dessen Zustellung ersetzt, wenn das Gericht mit Zustimmung der Parteien gem. § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren entscheidet. Das Bundesarbeitsgericht soll eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren sogar ohne Zustimmung der Parteien treffen können.
Die angedachte Neuregelung wäre eine Sensation
Die geplante Neuregelung des § 46 Abs. 3 ArbGG wäre eine Sensation. Denn sie löst nicht nur die drei in rechtlicher bzw. technischer Hinsicht bestehenden Hindernisse, um jedenfalls vorläufig den Weg frei zu machen für einen verstärkten Einsatz von Videokonferenztechnik in (Arbeits-)Gerichtsverfahren.
Sie schafft zum ersten Mal in der deutschen Rechtslandschaft eine Form von „Online-Courts“, bei denen der Gerichtssaal nur noch virtuell ist: Alle Beteiligten – und damit auch die Richterinnen und Richter – können während der Verhandlung in ihren Büros oder Home-Offices bleiben.
Noch wünschenswerter wäre aber eine Regelung in der ZPO, die damit auch für die weiteren Verfahrensordnungen gelten würde. Der Gesetzentwurf hält eine Änderung der ZPO allerdings für eine nicht geeignete Alternative, weil angesichts der drohenden wirtschaftlichen Entwicklung möglichst schnell die Funktionsfähigkeit der Arbeitsgerichte sichergestellt werden müsse.
Das hindert den Gesetzgeber aber nicht, auch für die ZPO zeitnah eine solche Lösung einzuführen, u.U. ergänzt um eine den früheren Gerichtsferien nachgebildete Regelung.
Mangelnde Ausstattung der Gerichtssäle wird mögliche Neuregelung bremsen
Mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit würde der Gesetzgeber außerdem das auch im Entwurf ausdrücklich angesprochene Problem lösen, dass angesichts der gegenwärtigen Kontakt- und Ausgangssperren zweifelhaft ist, ob Verhandlungen überhaupt noch „öffentlich“ i.S.d. § 52 Abs. 3 ArbGG sein können. Der in dem Entwurf vorgesehene Ausschluss der Öffentlichkeit scheint dabei auch mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar, weil das Gesetz ausdrücklich eine „sunset clause“ enthält, also befristet ist.
Insgesamt darf so oder so nicht aus dem Blick geraten, dass die beabsichtigte Lösung einem in justizpolitischen Fragen leider allzu bekannten Muster folgt: Reichen Personal und Sachmittel nicht aus, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, werden die gesetzlichen Anforderungen abgesenkt – und nicht Personal und Sachmittel aufgestockt.
Solche „Reformen“ erfolgen dabei oft auf Kosten der Verfahrensrechte der Beteiligten. So wird hier der Öffentlichkeitsgrundsatz eingeschränkt, weil die technische Ausstattung der Gerichtssäle in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde. Das macht es umso wichtiger, eine solche Lösung zu befristen. Denn langfristig kann eine Lösung ohnehin nur darin bestehen, Sitzungssäle endlich an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen und mit Videokonferenztechnik auszustatten.