Das Thema
Die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern steht regelmäßig im Fokus der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Urteil des BGH Anfang 2023 zur Frage der Untreue bei Verstößen gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot führte zuletzt zu erheblichen Verunsicherungen in der Praxis (vgl. dazu auch den EFAR-Beitrag „Neues zur Betriebsratsvergütung“). Dadurch wurde einmal wieder deutlich, dass die gesetzlichen Grundlagen im BetrVG dringend vom Gesetzgeber überarbeitet werden müssen.
Die bisherige Rechtslage – Ehrenamt und Entgeltausfallprinzip
Betriebsratsmitglieder, die wegen der Betriebsratstätigkeit von ihrer Arbeit freigestellt sind, sollen das Entgelt erhalten, das sie erhalten würden, wenn sie normal weiterarbeiten würden. § 37 Abs. 4 BetrVG sieht hierfür den Maßstab des Arbeitsentgelts vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung vor. Wie diese Vergleichsgruppen zur Ermittlung der Betriebsratsvergütung gebildet werden müssen, war im Laufe der Jahre Gegenstand verschiedener Entscheidungen des BAG (vgl. dazu auch den EFAR-Beitrag „Betriebsratsmitglied und Vergütung: Erst BAG, dann BGH und jetzt der Gesetzgeber?“).
Nach der Rechtsprechung sind Maßstab nicht die „an sich“ vergleichbaren Arbeitnehmer, sondern solche „mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“. In diesem Zusammenhang kann für ein (auch) künftiges Anpassungsverlangen nicht allein die berufliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer in der Vergangenheit maßgeblich sein. Üblich sind Entwicklungen, die vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben. Der Geschehensablauf muss so typisch sein, dass zumindest in der überwiegenden Anzahl der vergleichbaren Fälle mit der jeweiligen Entwicklung gerechnet werden kann.
Daneben bildete sich eine weitere und in der Praxis bedeutsame Möglichkeit der Bemessung der Betriebsratsvergütung heraus, nämlich die sogenannte hypothetische berufliche Entwicklung. Dabei werden berufliche Entwicklungsmöglichkeiten bei der Vergütungshöhe berücksichtigt, die das Betriebsratsmitglied wegen der Amtsausübung nicht wahrnehmen konnte, aber hypothetisch ohne Amt wahrgenommen hätte. Maßstab ist dabei § 78 Satz 2 BetrVG, wonach Betriebsratsmitglieder wegen der Wahrnehmung ihres Amtes weder begünstigt noch benachteiligt werden dürfen. Es würde jedoch eine Benachteiligung darstellen, wenn bei Betriebsratsmitgliedern keine berufliche Entwicklung berücksichtigt werden würde.
Defizite der bisherigen Rechtslage
Die bisherige Rechtslage gab vor allem deshalb Grund zur Kritik, da unklar war, wie weit Annahmen bei der hypothetischen Entwicklung von beruflichen Laufbahnen gehen durften. Auf Arbeitgeberseite drohten weitreichende strafrechtliche Konsequenzen wegen Untreue bei Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot. Zuletzt wurde dies durch die Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 (6 StR 133/22; vgl. dazu auch den EFAR-Beitrag „Betriebsratsvergütung und Grenzen des Begünstigungsverbots“) deutlich, in der das Gericht darauf abstellte, dass keine individuelle hypothetische Ausnahmekarriere des Betriebsrats für die Bestimmung der Vergleichsperson herangezogen werden könne. Maßstäbe wie das „Bestehen einer unternehmenseigenen Managementprüfung“ oder das Verhandeln „auf Augenhöhe“ und die Einbindung in „unternehmerische Entscheidungskomplexe“ würden in unzulässigerweise an die Bewertung der Betriebsratstätigkeit als solche anknüpfen und keine Stütze im BetrVG finden. Soweit das Landgericht einen Vorsatz der Untreue verneinte, folgte der BGH dem nicht. Die Entscheidung führte zu erheblichen Unsicherheiten in der Praxis. Aufgrund der drohenden Strafbarkeiten wurde nach meiner Wahrnehmung die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern sicherheitshalber eher zu niedrig bemessen.
Es stellte sich daher die Frage, ob es richtig sein kann, persönliche Entwicklungen eines Betriebsratsmitgliedes während der Betriebsratsamtes, die ggf. zu einer anderen beruflichen Entwicklung führen würden, auszuklammern. Hat ein Betriebsratsmitglied bspw. eine Fremdsprache gelernt, um sich mit den Ansprechpartnern im Ausland verständigen zu können, so musste dies bei einer hypothetischen beruflichen Entwicklung außer Betracht bleiben. Hat das Betriebsratsmitglied die Sprache in seiner Freizeit gelernt, konnte es wiederum berücksichtigt werden. Eine kaum hinnehmbare Rechtslage für die beteiligten Personen auf Arbeitgeber- und Betriebsratsseite, können sich Mitarbeitende doch auch und gerade wegen der Wahrnehmung des Amtes weiterentwickeln. Vorsitzende von Betriebsräten müssen über Führungsfähigkeiten verfügen und empfehlen sich daher aufgrund dieser Erfahrungen auch eher für die Position einer Führungskraft.
Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz
Es stellt sich also die Frage, ob die Änderungen im BetrVG diese Defizite beseitigen können. Dem § 37 Abs. 4 BetrVG wurden folgende klarstellende Sätze angefügt:
Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.
Diese Sätze geben zunächst nur wieder, was nach der Rechtsprechung des BAG schon heute gilt: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer ist die erstmalige Übernahme des Betriebsratsamts. Die hiermit in der Praxis häufig verbundenen Probleme, insbesondere die Bestimmung der Vergleichsgruppe bei langjährigen Betriebsratskarrieren mit späterer Freistellung, bleiben also bestehen. Neu ist die Möglichkeit der Betriebsparteien, das Verfahren zur Bestimmung der Vergleichspersonen und auch die konkrete Festlegung dieser Personen selbst einvernehmlich zu regeln, wobei eine entsprechende Vereinbarung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Dies erweitert den Spielraum der Betriebsparteien erheblich und reduziert zeitgleich Risiken hinsichtlich eines Verstoßes gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot.
§ 78 BetrVG wurde wie folgt ergänzt:
Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.
In Erwiderung auf die Ablehnung von hypothetischen Karriereentwicklungen des BGH wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass bei der Stellenbesetzung auch die durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen Berücksichtigung finden sollen, soweit sie im Unternehmen auch außerhalb des Betriebsratsamts für die jeweilige Stelle karriere- und vergütungsrelevant seien.
Fazit und Bewertung
Die Thematik der richtigen Betriebsratsvergütung beschäftigt die betriebliche Praxis schon lange und Änderungen zur Betriebsratsvergütung waren längst überfällig. Zu befürworten ist insbesondere die Option der Betriebsparteien, eigene betriebliche Regelungen im Hinblick auf konkrete Vergleichsgruppen und abstrakte Vergleichskriterien zu erarbeiten und zu vereinbaren. Wie genau Arbeitgeber die während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnissen im Einzelfall berücksichtigen dürfen, bleibt noch ungewiss.
In der Praxis wird der Fokus nun auf der rechtmäßigen Ausgestaltung von Betriebsvereinbarungen liegen, welche ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer vorsehen. Empfehlenswert ist die Einbettung solcher Kriterien, die einen sachlichen Bezug haben. Zu große Kreativität sollte vermieden werden. Das Risiko strafbarer Untreue dürfte noch immer nicht ohne Weiteres gebannt sein, die Gesetzesänderungen sind aber ein Schritt in die richtige Richtung und aus diesem Grund zu begrüßen.