Das Thema
Unter welchen Voraussetzungen sind Ruhepausen mit Bereithaltungspflicht des Beschäftigten als Arbeitszeit anzurechnen?
Arbeitszeit ist der Zeitraum, in dem Beschäftigte arbeitswillig und arbeitsbereit sind. Pausen während der Arbeitszeit zählen insofern grundsätzlich nicht als Arbeitszeit, da weder Arbeitswilligkeit noch Arbeitsbereitschaft vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen Pausenzeiten mit einer Bereithaltungspflicht (doch) als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzes anzurechnen sind (BVerwG 13.10.2022 – 2 C 24.21).
Ein Bundespolizeibeamter hatte gegenüber seinem Dienstherrn bereits im Jahr 2013 die Anrechnung von Pausenzeiten in „Bereithaltung“ geltend gemacht. Für Beamte ist die Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzes nicht im Arbeitszeitgesetz geregelt. Das Bundesverwaltungsgericht hat insofern zur Abgrenzung zwischen Arbeits- und Ruhezeit die Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 4. November 2003 herangezogen, welche für alle Arbeitnehmer und auch für Beamte gilt.
Insofern ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgrenzung von Arbeits- und Ruhezeiten nicht nur für Beamte, sondern auch für andere Arbeitnehmer relevant. Auch der EuGH hatte sich in den letzten Jahren bereits mehrfach mit dieser Abgrenzungsfrage beschäftigt.
Der Fall: Ruhepausen in Bereitschaft als Arbeitszeit
Der Kläger hatte 2013 als Bundespolizeibeamter Dienst bei einer mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit geleistet. Im Rahmen dieses Dienstes waren regelmäßig Pausenzeiten in „Bereithaltung“ angefallen. In diesen Pausenzeiten musste der Kläger Einsatzkleidung, teilweise besondere Schutzkleidung und Helm sowie Dienstwaffe und Dienstfahrzeug mitführen und seine ständige Erreichbarkeit sicherstellen.
Der Kläger machte geltend, dass ihn dies in der freien Gestaltung seiner Pausen eingeschränkt habe. Daher seien diese Pausenzeiten als Arbeitszeit anzurechnen.
Der Dienstherr lehnte den Anspruch mit der Begründung ab, dass die Anordnung einer Bereithaltungspflicht der Einordnung als Ruhepause nicht entgegenstehe.
In dem der bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung vorausgehenden Instanzenzug war der Kläger nur teilweise erfolgreich. Unter anderem wurde vom zweitinstanzlichen Berufungsgericht danach unterschieden, ob während der Pausen die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme eher gering gewesen sei.
Bundesverwaltungsgericht gewährt beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch
Die Revision des Klägers hatte nur zum Teil Erfolg.
Soweit der Kläger seinen Anspruch nicht rechtzeitig schriftlich gegenüber seinem Dienstherrn geltend gemacht hatte, weist das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch des Klägers zurück. Der Anspruch, der zu einem Freizeitausgleich oder hilfsweise einem finanziellen Ausgleich führen kann, muss zeitnah und auch unter Einhaltung des Schriftformerfordernisses gegenüber dem Dienstherrn geltend gemacht werden.
Im Übrigen bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsauffassung des Klägers unter Verweisung auf eine richtlinienkonforme Abgrenzung zwischen Arbeits- und Ruhezeit.
Danach ist eine Ruhepause als Arbeitszeit einzustufen, wenn sich anhand einer Gesamtwürdigung ergibt, dass die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen objektiv ganz erheblich die Möglichkeit des Arbeitnehmers beschränken, die Pausenzeit frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen. Der noch vom Berufungsgericht als maßgeblich herangezogene Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme während dieser Pause eher gering gewesen sei, entspricht nicht diesen Vorgaben. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kann der Umstand, dass eine Inanspruchnahme während der Bereitschaftszeit im Durchschnitt nur selten vorkommt, nicht zur Einstufung als Ruhezeit führen, wenn die Wiederaufnahmefrist die private Gestaltungsmöglichkeit der Ruhepause objektiv gesehen ganz erheblich einzuschränken vermag. Hierzu verwies das Verwaltungsgericht auch auf die Entscheidung des EuGH vom 9. September 2021 C-107/19.
Bundesverwaltungsgericht stuft Ruhepausen als Arbeitszeit ein
Von diesem Grundsatz ausgehend war das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung, dass die einem Beamten während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie einzustufen ist, wenn sich aus einer Würdigung der Umstände ergibt, dass die ihm während der Pause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.
Dabei war die Verpflichtung des Klägers zum Tragen von Einsatzkleidung sowie zum Mitführen von Dienstwaffen und Dienstfahrzeugen für sich genommen keine Einschränkung in der Art, dass bereits sie allein die Möglichkeiten des Klägers zur freien Gestaltung beschränkt hätte. Ausschlaggebend war für das Bundesverwaltungsgericht jedoch, dass der Dienstherr den Kläger zusätzlich der Pflicht unterwarf, während der gewährten Pausenzeit seine ständige Erreichbarkeit sicherzustellen. Dadurch sah das Bundesverwaltungsgericht die freie Pausengestaltung objektiv als ganz erheblich eingeschränkt an. Diese Einschränkung läuft nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts der Gewährung einer Ruhepause und dem damit verfolgten Erholungszweck zuwider, da sie den Betroffenen aufgrund der Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen in eine Daueralarmbereitschaft versetzt. Dies gilt jedenfalls bei Maßnahmen der unmittelbaren präventiven oder repressiven Gefahrenabwehr, bei dem es in der Sachgesetzlichkeit der übertragenen Aufgabe liegt, dass die dienstliche Tätigkeit alsbald bzw. unverzüglich wieder aufzunehmen ist und ihr folglich ein Gepräge des „Sich-Bereit-Haltens“ innewohnt.
Diese Einschränkung wurde auch nicht dadurch aufgewogen, dass der Dienstherr nicht explizit einen bestimmten Ort für die Verbringung einer solchen Pause vorgab. Denn bereits durch die Festlegung des Einsatzortes durch den Dienstherrn und die Verpflichtung zur Sicherstellung der ständigen Erreichbarkeit sowie aufgrund der kurzen Dauer der Ruhezeit von nur 30-45 Minuten war in tatsächlicher Hinsicht der Aufenthaltsort räumlich eng umrissen und somit für den Kläger nicht frei wählbar.
Die Anspruchsgrundlage
Im Ergebnis sprach das Bundesverwaltungsgericht dem Kläger für die rechtzeitig schriftlich angezeigten Zeiten einen Freizeitausgleich zu. Als Anspruchsgrundlage zog das Bundesverwaltungsgericht den auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) gestützten sog. beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch heran. Hierbei handelt es sich um einen Billigkeitsanspruch aufgrund einer rechtswidrigen Inanspruchnahme des Beamten über die höchstens zulässige Arbeitszeit hinaus. Hier hatte der Dienstherr den Kläger mehr als 41 Stunden pro Woche zum Dienst herangezogen und ihn so über die rechtmäßig festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch genommen, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit vorgelegen hätten. Das Bundesverwaltungsgericht musste diesen im Falle von Pflichtverletzungen des Dienstherrn eingreifenden Sekundäranspruch heranziehen, da die seinerzeit für den Kläger als Beamten gültige Arbeitszeitverordnung die begehrte nachträgliche Anrechnung der Pausenzeit als Arbeitszeit nicht vorsah.
Übertragbarkeit der Entscheidung auf Nicht-Beamte
Die auf die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie gestützte Entscheidung zur Abgrenzung zwischen Arbeits- und Ruhezeiten ist auch auf andere Arbeitnehmer übertragbar.
Auch bei nicht verbeamteten Arbeitnehmern spielt zum Beispiel bei der Einordnung von Rufbereitschaft als Arbeitszeit oder als Freizeit eine Rolle, innerhalb welchen Zeitraumes der Arbeitnehmer bei Abruf seine Arbeit aufnehmen muss. Bei extrem kurzen Reaktionszeiten handelt es sich nicht um Rufbereitschaft,. Vielmehr schlägt die Rufbereitschaft in Bereitschaftsdienst um, welcher als Arbeitszeit zu werten ist.