Das Thema
Das BAG (Urt. v. 03.04.2025 – 2 AZR 156/24) stellte mit dieser Entscheidung klar, dass der Sonderkündigungsschutz auch bei zunächst unerkannter Schwangerschaft rückwirkend zur Anwendung kommt – vorausgesetzt, die Mitteilung der Schwangerschaft wird unverzüglich nachgeholt. In diesem Zusammenhang ist eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zu gewähren, sofern auch der entsprechende Antrag hierauf unverzüglich nachgeholt wurde.
Der Sachverhalt
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin sowie die daraus resultierende Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitnehmerin war seit Dezember 2012 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 13.05.2022, das der Mitarbeiterin am 14.05.2022 zuging, sprach die Arbeitgeberin eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.
Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs war die Beschäftigte bereits schwanger, ohne hiervon Kenntnis zu haben. Erst ein am 29.05.2022 durchgeführter Schwangerschaftstest gab ersten Hinweis auf eine bestehende Schwangerschaft. Noch am selben Tag informierte die Arbeitnehmerin das Unternehmen per E-Mail über das positive Testergebnis und vereinbarte den nächstmöglichen frauenärztlichen Untersuchungstermin, der jedoch erst auf den 17.06.2022 fiel.
Am 13.06.2022 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und beantragte zugleich deren nachträgliche Zulassung gemäß § 5 KSchG. Sie legte dem Arbeitsgericht am 21.06.2022 ein ärztliches Zeugnis vor, welches die Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestätigte. Zur Begründung der Klage berief sie sich auf den Sonderkündigungsschutz nach § 17 MuSchG und trug vor, eine gesicherte Kenntnis von der Schwangerschaft habe sie erst mit der ärztlichen Feststellung erlangt.
Die bisherige Rechtslage
Die zentralen Rechtsfragen des Falles betrafen die Zulässigkeit der nachträglichen Klagezulassung gemäß § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG sowie die rückwirkende Reichweite des Sonderkündigungsschutzes nach § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1, Satz 2 MuSchG im Falle einer erst nachträglich bekannt gewordenen Schwangerschaft.
Gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1 MuSchG ist die Kündigung einer Frau während ihrer Schwangerschaft grundsätzlich unwirksam. Dieses Kündigungsverbot ist Ausfluss des verfassungsmäßig garantierten Schutzes von Müttern, Art. 6 GG. Beabsichtigt der Arbeitgeber dennoch die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin, so bedarf es hierzu der Zulässigkeitserklärung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde, § 17 Abs.2 MuSchG. Die Zulassung ist die absolute Ausnahme und kommt in der Praxis selten vor.
Zeitgleich gilt, dass eine Klage gegen eine Kündigung innerhalb von drei Wochen nach deren Zugang einzulegen ist, § 4 Satz 1 KSchG. Wird keine Klage eingelegt oder ist diese verspätet, gilt die Kündigung als von Anfang an wirksam, §§ 4, 7 KSchG. Diese Präklusionsregelung soll Rechtssicherheit und Rechtsfrieden für beide Parteien schaffen.
Erfährt eine schwangere Arbeitnehmerin erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist von ihrer Schwangerschaft, eröffnet § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG die Möglichkeit, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von der Schwangerschaft gestellt wird, § 5 Abs.3 KSchG.
Nachträgliche Klagezulassung
In erster Instanz ließ das ArbG Dresden die Kündigungsschutzklage nachträglich zu und gab dieser statt. Es stellte fest, dass die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht wirksam beendet hat. In der Berufungsinstanz wies das Sächs. LAG die Berufung des Unternehmens zurück und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.
Auch in der Revisionsinstanz blieb die Arbeitgeberin erfolglos. Die streitbefangene Kündigung gilt nach dem BAG nicht gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, obwohl die Kündigungsschutzklage nicht innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG erhoben wurde. Eine Hemmung des Fristablaufs nach § 4 Satz 4 KSchG kam nicht in Betracht, da die Beklagte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der Schwangerschaft der Klägerin hatte; eine Anwendung dieser Vorschrift wurde vom BAG daher abgelehnt (teleologische Reduktion).
Die Klage war jedoch gemäß § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Nach § 5 Abs.1 Satz 1 KSchG ist die Kündigungsschutzklage immer dann nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Gleiches gilt, wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis erlangt, § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG. Der entsprechende Antrag ist innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zu stellen, § 5 Abs.3 Satz 1 KSchG. Entscheidend ist dabei, dass die Antragstellerin nicht nur Kenntnis von der Schwangerschaft im Allgemeinen erlangt, sondern positive Kenntnis davon hat, dass die Schwangerschaft bereits im Zeitpunkt des Kündigungszugangs bestand. Diese Kenntnis setzt nach dem BAG regelmäßig eine ärztliche Bestätigung voraus. Ein selbst durchgeführter Schwangerschaftstest reiche dafür nicht aus, da er weder einen gesicherten Befund noch eine verlässliche zeitliche Einordnung der Schwangerschaft biete.
Im Fall des § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG ist das Hindernis an der Klageerhebung i.S.v. § 5 Abs.3 Satz 1 KSchG behoben, sobald die Arbeitnehmerin Kenntnis vom Bestehen der Schwangerschaft im Kündigungszeitpunkt erlangt. Im Ergebnis beginnt die Antragsfrist erst, wenn sie nicht nur Kenntnis von ihrer Schwangerschaft als solcher hat, sondern auch um den Beginn dieser Schwangerschaft weiß und somit mit Vorliegen eines entsprechenden ärztlichen Zeugnisses.
Hier war die Kündigungsschutzklage der Klägerin nachträglich zuzulassen. Sie hat aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft bei Kündigungszugang erlangt. Zwar führte die Mitarbeiterin am 29.05.2022 und somit innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG einen Schwangerschaftstest mit positivem Testergebnis durch, jedoch reichte dieser nicht aus, um eine positive Kenntnis darüber zu erlangen, ob die – mögliche – Schwangerschaft bereits im Kündigungszeitpunkt bestanden hat. Dazu bedurfte es einer ärztlichen Untersuchung. Es kann vorliegend dahinstehen, ob für die Beschäftigte nach dem positiven Ergebnis des selbst durchgeführten Schwangerschaftstests eine Obliegenheit bestand, sich unverzüglich um eine ärztliche Untersuchung zu bemühen. Die Klägerin hat dies unverzüglich getan.
Sie hat auch die Antragsfrist des § 5 Abs.3 KSchG gewahrt, insbesondere den Antrag nicht später als zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses beim Arbeitsgericht angebracht. Die Antragsfrist begann frühstens am 18.06.2022 – einem Tag nach dem Frauenarzttermin – zu laufen und endete frühstens mit Ablauf des 01.07.2022. Die Klägerin hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bereits am 13.06.2022 gestellt.
Unwirksame Kündigung
Im Rahmen der Prüfung der danach zulässigen Kündigungsschutzklage stellte das BAG die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1, Satz 2 MuSchG fest.
Nach § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1, Satz 2 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin während ihrer Schwangerschaft unzulässig, sofern dem Arbeitgeber die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt ist oder sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Nach Satz 3 dieser Vorschrift bleibt eine Fristüberschreitung jedoch folgenlos, wenn sie auf einem von der Arbeitnehmerin nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.
Im vorliegenden Fall war der Beklagten die Schwangerschaft der Klägerin im Zeitpunkt des Kündigungszugangs nicht bekannt. Auch erfolgte die Mitteilung der Schwangerschaft seitens der Mitarbeiterin nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist. Jedoch war die verspätete Mitteilung unschädlich, da die Voraussetzungen des § 17 Abs.1 Satz 3 MuSchG vorlagen.
Die Beschäftigte holte die Mitteilung nach Ablauf der Zweiwochenfrist unverzüglich nach, nachdem sie am 17.06.2022 durch ihre frauenärztliche Untersuchung Kenntnis vom Bestehen der Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt erlangt hatte. Die entsprechende Mitteilung erfolgte im Rahmen der Klageschrift, die der Beklagten noch am 17.06.2022 zuging. Da die Fristüberschreitung auf dem Umstand beruhte, dass die Klägerin ihre Schwangerschaft – insbesondere deren Bestehen bereits im Kündigungszeitpunkt – ohne ärztliche Feststellung nicht zuverlässig erkennen konnte, war sie nicht als von ihr zu vertreten anzusehen. Die Mitteilung erfolgte somit unverzüglich im Sinne des § 17 Abs.1 Satz 3 MuSchG. Eine wirksame Kündigung lag damit nicht vor.
Rechtliche Bewertung der Entscheidung
Man kann die Entscheidung des BAG zur nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage im vorliegenden Fall durchaus kritisch hinterfragen. § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG sieht die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nur für den Fall vor, dass die Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis erlangt hat.
Vorliegend hatte die Klägerin jedoch innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz1 KSchG einen Schwangerschaftstest durchgeführt, dessen Ergebnis positiv ausfiel. Angesichts der äußerst geringen Fehlerquote handelsüblicher Schwangerschaftstests und der sehr geringen Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher fälschlicherweise ein positives Ergebnis anzeigt, hätte sie zu diesem Zeitpunkt mit hinreichender Sicherheit von einer bestehenden Schwangerschaft bereits ausgehen können.
Zudem ist davon auszugehen, dass die Mitarbeiterin den Test nicht grundlos, sondern gerade aufgrund körperlicher Symptome und Anzeichen einer Schwangerschaft vornahm. Vor diesem Hintergrund hätten sowohl die körperlichen Symptome als auch das positive Testergebnis bereits geeignet sein müssen, die Kenntnis von der Schwangerschaft zu begründen, mit der Folge, dass die Beschäftigte die Kündigungsschutzklage noch innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG hätte erheben müssen und für eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage kein Raum gewesen wäre. Demnach wäre die Kündigung gemäß §§ 4 Satz 1, 7 KSchG wirksam gewesen.
Das BAG verlangt zusätzlich die Kenntnis darüber, dass die Schwangerschaft bereits im Kündigungszeitpunkt bestand. Anhand ihres Zyklus, der festgestellten körperlichen Anzeichen sowie der zeitlichen Umstände hätte die Arbeitnehmerin jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf die im Zeitpunkt der Kündigung bereits bestehende Schwangerschaft schließen können.
Selbst wenn eine exakte Berechnung des Beginns der Schwangerschaft nicht möglich gewesen sein sollte, stellt sich die Frage, ob die Klägerin aufgrund ihrer Kenntnis von der Schwangerschaft innerhalb der regulären Klagefrist nicht fristgemäß die Kündigungsschutzklage hätte erheben müssen, mit der Folge, dass die nachträgliche Zulassung zu versagen gewesen wäre.
Gegen diese Bewertung ließe sich lediglich das Kostenrisiko anführen, das für die Mitarbeiterin mit Erhebung der Kündigungsschutzklage bestanden hätte – etwa für den Fall, dass sich nachträglich doch herausstellt, dass keine Schwangerschaft bestand oder diese nicht bereits zum Kündigungszeitpunkt vorlag.
Fazit und Praxistipp
Das Urteil des BAG unterstreicht die besondere Sorgfaltspflicht, die Arbeitgeber bei der Kündigung von Arbeitnehmerinnen im gebärfähigen Alter walten lassen müssen. Im Zweifelsfall – etwa bei gesundheitlichen Auffälligkeiten – sollte stets in Betracht gezogen werden, dass eine Schwangerschaft vorliegen könnte. Unternehmen sind daher gut beraten, bei Kündigungen, die möglicherweise im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft stehen, mit der gebotenen Zurückhaltung vorzugehen. Angesichts der komplexen und mitunter unübersichtlichen Rechtslage ist es ratsam, frühzeitig arbeitsrechtlichen Rat einzuholen, um rechtliche Risiken zu minimieren.
Im Falle einer nachträglichen Schwangerschaftsmitteilung sind Arbeitgeber zudem gehalten,
- die Plausibilität der Mitteilung,
- die ärztliche Bestätigung,
- die vorherige Unkenntnis der Beschäftigten von der Schwangerschaft sowie
- die Unverzüglichkeit der Mitteilung der Schwangerschaft
zu prüfen. Daher empfiehlt es sich, sämtliche relevante Daten – insbesondere den Zugang der Kündigung sowie den Zugang der Schwangerschaftsmitteilung – sorgfältig zu dokumentieren. Nur so lässt sich im Streitfall rekonstruieren, ob die Voraussetzungen des § 17 MuSchG erfüllt sind und ob etwaige Fristversäumnisse durch die Arbeitnehmerin zu vertreten waren.
Über den konkreten Fall hinaus könnten die vom BAG in dieser Entscheidung entwickelten Prüfungsmaßstäbe auch auf andere kündigungsrelevante Schutzmechanismen übertragbar sein – etwa im Zusammenhang mit der Schwerbehinderteneigenschaft.