Das Thema
Die Menschen werden immer älter und sind daher auch länger geistig und körperlich fit. Und nach neuesten Erkenntnissen sind ältere Arbeitnehmer produktivitätsfördernd für die Unternehmen. Andererseits sinken die Erwartungen an die Leistungen aus den Altersversorgungssystemen. Beides führt dazu, dass Menschen gerne länger arbeiten, immer häufiger auch über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus. Das wirft einige arbeitsrechtliche Fragen auf. Nach § 41 S. 1 SGB VI ist allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine Rente wegen Alters hat, kein Kündigungsgrund. Andererseits ist eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag zulässig, wonach das Arbeitsverhältnis bei Erreichen der Regelaltersgrenze ohne Ausspruch einer Kündigung endet. Bei der Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung ist das Alter eines der maßgeblichen Kriterien.
Mit der erst vor wenigen Tagen veröffentlichten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. April 2017 – 2 AZR 67/16 – hat das BAG erstmals darüber befunden, ob der Bezug der Regelaltersrente im Rahmen des Kriteriums „Alter“ zulasten des Betreffenden verwandt werden kann.
Die aktuelle Entscheidung
Der Kläger war einer von sechs Juristen eines Arbeitgeberverbandes. Wegen Rückgang der arbeitsrechtlichen Verfahren beschloss der beklagte Verband, die Anzahl der Juristen von sechs auf fünf zu reduzieren. Die Auswahl fiel auf den Kläger, der zum Zeitpunkt der Kündigung bereits die Regelaltersrente bezog. Der Kläger machte geltend, die Kollegin F., 1979 geboren, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet, sei sozial weniger schutzbedürftig als er. Vor dem Bundesarbeitsgericht hatte er mit diesem Argument keinen Erfolg.
Bestimmung der Schutzbedürftigkeit
Nach der Überzeugung des BAG war der Kläger hinsichtlich des Auswahlkriteriums „Lebensalter“ aufgrund des Bezugs einer Regelaltersrente deutlich weniger schutzbedürftig als die Arbeitnehmerin F. Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG diene der personellen Konkretisierung der eine Kündigung bedingenden dringenden betrieblichen Erfordernisse in den Fällen, in denen die Zahl der vom Rückgang des Beschäftigungsbedarfs betroffenen Arbeitnehmer die der verbliebenen Arbeitsplätze übersteigt. Das Lebensalter verstehe der Gesetzgeber insofern als abstrakten Maßstab für die Vermittlungschancen eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt nach einer Kündigung. Die Rechtsstellung solcher Arbeitnehmer sollte gestärkt werden, deren Chancen aufgrund ihres Alters typischerweise schlechter stehen, überhaupt oder doch zeitnah ein dauerhaftes „Ersatzeinkommen“ zu erzielen. Dieser Zweck gebiete es, aber einen Arbeitnehmer, der bereits Regelaltersrente beziehe, als deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen als Arbeitnehmer, die noch keinen Anspruch auf eine Altersrente haben.
Das BAG verneint dann einen Verstoß gegen § 41 S. 1 SGB VI liege. Danach kann ein Anspruch auf Altersrente die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen. Das schließt es aber nicht aus, diesen Gesichtspunkt im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen.
Keine Altersdiskriminierung
Die Berücksichtigung der Regelaltersrentenberechtigung im Rahmen der Sozialauswahl führt zwar zu einer unmittelbaren Ungleichbehandlung wegen des Lebensalters. Damit verfolgt aber der deutsche Gesetzgeber ein rechtmäßiges Ziel, nämlich eine gerechtere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen und dadurch die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz von Arbeitnehmern durch den Verbleib in Beschäftigung. Die dafür gewählten Mittel sind zur Erreichung des Ziels angemessen.
Einige kritische Anmerkungen
Im Ergebnis ist die Entscheidung uneingeschränkt zu begrüßen. Es fällt aber auf, dass das BAG mit keinem Wort auf § 2 Abs. 4 AGG eingegangen ist. Danach gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Das Vorgehen ist jedenfalls konsequent, da das BAG die Vorgabe des EuGH, die Grundwertungen der Diskriminierung durch Auslegung des nationalen Rechts zur Geltung zu bringen, dadurch umsetzt, dass es die materiellen Diskriminierungsverbote einschließlich der Rechtfertigungsgründe zur Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe, insbesondere der Sozialwidrigkeit einer Kündigung, heranzieht.
Eine weitere Besonderheit hätte noch etwas deutlicher herausgestellt werden können: Anders als bei Altersgrenzenregelungen in Arbeits- oder Tarifverträgen und anders als bei altersabhängigen Ansprüchen auf Leistungen nach Sozialplänen geht es bei der Sozialauswahl um die Bedeutung des Alters in Relation zu Arbeitnehmern eines anderen Alters. Es geht nicht um die Frage, ob ein Anspruch besteht oder nicht besteht, ob ein Kündigungsgrund besteht oder nicht besteht, sondern darum, ob der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für einen Arbeitnehmer den jüngeren oder den älteren trifft. Im Rahmen der Sozialauswahl wird nicht nach dem Alter differenziert, sondern nach dem Alter gewichtet. Das ist ein Unterschied, der auch zu einer unterschiedlichen Bewertung führt. Anderenfalls könnte jeder Jüngere im Rahmen der Sozialauswahl eine Diskriminierung gegenüber den Älteren geltend machen.
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