Das Thema
Nach der Rechtsprechung des BAG aus dem Jahr 2011 (Urteil vom 6.4.2011 − 7 AZR 716/09; bestätigt mit Urteil vom 21.9.2011 – 7 AZR 375/10) war das Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zeitlich nicht unbegrenzt. Konkret: Nach damaliger Auffassung des BAG stand ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber einer sachgrundlosen Befristung dann nicht entgegen, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurücklag.
Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – die Verfassungsmäßigkeit des Vorbeschäftigungsverbotes bestätigt. Darüber hinaus weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, das – entgegen der Auffassung des BAG – das Vorbeschäftigungsverbot nicht dahingehend ausgelegt werden, dass eine weitere sachgrundlose Befristung zwischen denselben Vertragsparteien zulässig ist, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt. Die wichtigsten Fragen, die sich sodann für die Unternehmenspraxis stellten, hatten wir im EFAR zeitnah beantworten lassen.
Bereits am 23. Januar 2019 (Az.: 7 AZR 733/16) hat das BAG daraufhin seine bisherige Rechtsprechung grundlegend geändert und entschieden, dass die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrages nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG unzulässig ist, wenn mit einem Arbeitnehmer bereits etwa acht Jahre zuvor ein sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis bestand.
Sachgrundlose Befristung und Vorbeschäftigung: Sind 23 Jahre eine „sehr lange Zeit“?
Was ist schon lange her? Der letzte kalt-verregnete Sommer in Deutschland, die erste bemannte Raumfahrt zum Mond oder die letzte Meisterschaft des FC Schalke 04?
Wenn sich das BAG am 21. August 2019 zu der Frage äußert, bei welchem Zeitraum von einer „sehr langen Zeit“ gesprochen werden darf, verspricht es spannend zu werden. Dabei hat die philosophisch klingende Frage einen ernsten Hintergrund und möglicherweise weitreichende Folgen für die sachgrundlose Befristungspraxis in Arbeitsverträgen. Denn bei der nun anstehenden Entscheidung wird es um die Zulässigkeit einer Befristung gehen, deren befristete Vorbeschäftigung bereits knapp 23 Jahre zurückliegt. Die Entscheidung wird allseits mit großem Interesse erwartet.
Zur Erinnerung: Die sachgrundlose Befristung
Das TzBfG eröffnet dem Anwender zwei Möglichkeiten, einen Arbeitsvertrag zu befristen. Entweder stützt sich die Befristung auf einen Sachgrund der in § 14 Abs. 1 TzBfG nicht abschließend aufgezählten Gründe. Oder die Befristung erfolgt – wie in den meisten Fällen – sachgrundlos nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG.
Die sachgrundlose Befristung ist seit jeher politisch umstritten. Für einen Arbeitgeber bietet sie ein flexibles Gestaltungsmittel, um das Lohnkostenrisiko im Hinblick auf konjunkturelle Schwankungen gering zu halten. Für einen Arbeitnehmer bedeutet die Befristung dagegen meist persönliche und wirtschaftliche Unsicherheit. Deswegen hat der Gesetzgeber der sachgrundlosen Befristung einen Höchstrahmen von zwei Jahren gesetzt. Innerhalb dieses Zeitraums darf die Befristung maximal dreimal verlängert werden. Eine längere Befristungshöchstdauer darf nur ausnahmsweise in Tarifverträgen vereinbart werden. Im Grundsatz sind Befristungen jedenfalls nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG unzulässig, wenn zwischen den Parteien bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Hierdurch sollen Kettenbefristungen verhindert werden.
Frühere Rechtsprechung des BAG: Vorheriges Arbeitsverhältnis muss länger als drei Jahre zurückliegen
In der Vergangenheit vertraten die Erfurter Richter seit 2011 die Ansicht, der Gesetzeswortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG sei dahingehend auszulegen, dass dieser eine Sperrfrist von mindestens drei Jahren verlange (BAG, Urteil vom 6. April 2011, Az.: 7 AZR 716/09). Alles danach sei nicht mehr als „zuvor“ im Sinne der Norm zu verstehen. Nach der alten Rechtsprechung stand eine Vorbeschäftigung somit einer sachgrundlosen Befristung nicht entgegen, wenn das vorherige Arbeitsverhältnis länger als drei Jahre zurücklag.
Entscheidung des BVerfG: Frist von drei Jahren nicht mit Grundgesetz vereinbar
Dieser Wortlautauslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG erteilten die Richter des BVerfG eine Absage (Entscheidung vom 6. Juni 2018, Az.: BvL 7/14, BvR 1375/14). Der Gesetzgeber habe klar zum Ausdruck gebracht, dass der sachgrundlose Befristungszeitraum grundsätzlich nur einmal ausgeschöpft werden dürfe. Eine darüber hinaus gehende erneute Befristung schlossen die Karlsruher Richter zwar nicht vollständig aus. Diese sei aber nur in Ausnahmefällen möglich – beispielsweise dann, wenn eine Vorbeschäftigung „sehr lange“ zurückliege. Ab wann aber ein „sehr langer“ Zeitraum vorliege, blieb dabei offen.
Folgeentscheidung des BAG: Änderung der bisherigen Rechtsprechung
Auf die Entscheidung des BVerfG änderte das BAG am 23. Januar 2019 seine Rechtsprechung. In dem zugrundeliegenden Fall stritten die Parteien über die Zulässigkeit einer sachgrundlosen Befristung.
Der Kläger war zunächst mit befristetem Arbeitsvertrag bis zum 30. September 2005 bei der beklagten Automobilherstellerin als gewerblicher Mitarbeiter tätig. Acht Jahre später schlossen die Parteien mit Wirkung zum 19. August 2013 einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag, in dessen Rahmen der Kläger nunmehr als Facharbeiter im Bereich „Produktion und Logistik“ tätig war. Mit insgesamt drei Zusatzvereinbarungen beschlossen die Parteien jeweils eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, zuletzt bis zum 18. August 2015.
In seiner Entscheidung führte der 7. Senat aus, dass eine acht Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung noch nicht „sehr lange“ zurückliege und eine erneute Befristung somit unzulässig sei. Dabei betonten die Erfurter Richter aber auch, dass es weiterhin den Fachgerichten obliege, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfassungskonform auszulegen und erforderlichenfalls einzuschränken. Dies komme dann in Frage, wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung im konkreten Fall unzumutbar sei. Hiervon könne beispielsweise dann ausgegangen werden, wenn die Vorbeschäftigung sehr lange – also zumindest länger als acht Jahre – zurückliege, die Beschäftigung nur von sehr kurzer Dauer gewesen sei oder dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis eine gänzlich andere Tätigkeit zugrunde gelegen habe. Jedenfalls dürfe keine Gefahr der Kettenbefristung bestehen oder es dürften keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Arbeitgeber die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers ausnutze. Die Beklagte konnte sich auch nicht darauf berufen, die Befristung im Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung vorgenommen und für zulässig erachtet zu haben. Nach Ansicht des BAG habe sie zumindest in Erwägung ziehen müssen, dass die ursprüngliche Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG des BAG vor dem BVerfG keinen Bestand haben würde.
Sachgrundlose Befristung und Vorbeschäftigung: Die anstehende Entscheidung vom 21. August 2019
In dem nun vom 7. Senat des BAG zu entscheidenden Fall wehrt sich eine klagende Arbeitnehmerin gegen ihre Befristung. Sie war ursprünglich befristet bis zum 30. November 1992 bei der beklagten Arbeitgeberin tätig. Knapp 23 Jahre später vereinbarten die Parteien erneut ein sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis vom 15. Oktober 2014 bis zum 30. Juni 2015. Mit Änderungsvereinbarung vom 3. Juni 2015 beschäftigte die Beklagte die Klägerin bis zum 30. Juni 2016 weiter. Die Klägerin begehrt nun die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht mit Ablauf dieses Datums geendet hat. Während das Arbeitsgericht die Klage abwies, gab das Landesarbeitsgericht ihr statt und verwies auf das Vorbeschäftigungsverbot, welches unbegrenzt gelte.
Die Entscheidung des BAG am 21. August wird mit Spannung erwartet. Abzuwarten bleibt, ob die Richter aus Erfurt hier in Abkehr zur Vorinstanz das Vorliegen eines Ausnahmefalles annehmen werden und die erneute Befristung als zulässig erachten. Immerhin liegt die frühere Beschäftigung hier ganze 23 Jahre zurück.
Dass der Senat die Zulässigkeit der erneuten Befristung allein deshalb annehmen wird, weil die Vorbeschäftigung nur einen relativ geringen Zeitraum von gut einem Jahr umfasst, dürfte hingegen nicht zu erwarten sein. Denn auch in dem am 23. Januar entschiedenen Fall ging es um eine nicht erheblich längere Vorbeschäftigung von rund eineinhalb Jahren. Nicht ausgeschlossen scheint jedoch, dass die Richter eine Gesamtschau dieser Umstände als hinreichende Begründung für die Annahme des Vorliegens eines „Ausnahmefalles“ im Sinne BVerfG sehen werden.
Die Hoffnung – auf konkrete Hinweise – stirbt zuletzt
Die kürzliche Rechtsprechungsänderung des BAG hat bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern in erheblichem Maße für Rechtsunsicherheit gesorgt. Arbeitgeber sollten künftig bei der Vereinbarung sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge auch zeitlich weit zurückliegende Vorbeschäftigungen in den Blick nehmen. Andernfalls drohen Entfristungsklagen und unbefristete Arbeitsverhältnisse.
Es steht zu hoffen, dass das BAG in seiner neuen Entscheidung konkrete Maßstäbe dafür vorgibt, wie ein ausreichend „langer Zeitraum“ im Einzelfall zu bestimmen ist. Nur so lassen sich die bestehenden Unsicherheiten für den Rechtsanwender im Umfang mit sachgrundlosen Befristungen aus dem Weg räumen.