Das Thema
Zielvorgaben können ihre Anreizfunktion nicht erfüllen, wenn sie gar nicht oder zu spät erfolgen. „Zu spät“ ist es jedenfalls, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist. Daraus folgt ein Schadensersatzanspruch. Dies kann auch dann gelten, wenn keine individuellen, sondern nur Unternehmensziele vorgegeben sind.
Zielvorgabe erst im September – Schadensersatz?
Der Arbeitsvertrag des klagenden Beschäftigten sah eine jährliche Bonuszahlung vor. Die (Unternehmens-) Ziele sollten jeweils bis zum 1. März eines Jahres vom Vorgesetzten definiert werden. Eine Zielvorgabe wurde aber erstmals im September nachweislich mitgeteilt. Der Beschäftigte erhielt einen anteiligen Bonus nach dem tatsächlichen Zielerreichungsgrad, der unter 100 % lag. Er verlangte eine Bonuszahlung auf der Grundlage von 100 % Zielerreichung. Die Zielvorgabe sei zu spät erfolgt, sodass ihm in entsprechender Höhe ein Schadensersatzanspruch zustehe.
LAG: Zielerreichung unmöglich
Das LAG Köln (Urt. v. 06.02.2024 – 4 Sa 390/23) folgte dieser Argumentation: Erfolge eine Zielvorgabe gar nicht oder so spät, dass sie die Anreizfunktion nicht (mehr) erfüllen könne, werde die Zielerreichung unmöglich gemacht und begründe einen Schadensersatzanspruch in Maximalhöhe. Dass es sich um Unternehmensziele handle, die vom Mitarbeiter gar nicht unmittelbar beeinflusst werden könnten, sei hierbei unerheblich.
Ausblick
Der häufige Fall, dass arbeitsvertragliche vorgesehene Zielvereinbarungen „vergessen“ werden, ist nach der Rechtsprechung mittlerweile klar: Der Beschäftigte hat grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch (zuletzt BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 149/20) und zwar im Zweifel auf der Grundlage von 100 % Zielerreichung. Unklar blieben bisher die Punkte, bei denen das LAG Köln jetzt versucht, durch seine Revisionszulassung eine Entscheidung des BAG herbeizuführen.
Interessant wird insbesondere sein, ob das BAG zu dem spätestmöglichen Zeitpunkt Stellung nimmt, an dem die Ziele vorgegeben bzw. vereinbart sein müssen. Nahe liegt das Endes des ersten Quartals, weil die Ziele auch häufig von den Ergebnissen des Vorjahres abhängen. Zu erwarten ist die Bestätigung, dass die Rechtsprechung zu Zielvereinbarungen auch für einseitige Zielvorgaben gilt. Ebenso dürfte eine Klarstellung erfolgen, dass diese Grundsätze nicht nur für individuelle Ziele gelten, sondern ebenso für Zielvereinbarungen und -vorgaben, die nur Unternehmensziele betreffen. Hier wäre eine flexiblere Handhabung im Falle von reinen Unternehmenszielen allerdings vorstellbar, gerade weil diese in der Regel von den Mitarbeitern nicht unmittelbar beeinflusst werden können und deshalb die Anreizfunktion der Bonuszahlung deutlich geringer sein dürfte als bei individuellen Zielen.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Werden Zielvereinbarungen oder -vorgaben festgesetzt, sind Unternehmen gut beraten, Prozesse einzuführen, um deren Umsetzung rechtzeitig sicherzustellen und zu dokumentieren. Hier stehen insbesondere internationale Organisationen häufig vor Herausforderungen, wenn Ziele „aus Übersee“ vorgegeben, aber dem deutschen Management erst Monate später zur Verfügung gestellt werden. Zudem unterschätzt man den vertraglichen Charakter von Zielvereinbarungen bzw. Bonusplänen systematisch und behandelt dies als eher unverbindliches Vorhaben, das mal mehr und mal weniger stringent umgesetzt und eingehalten wird.
Die ausdrückliche Gleichstellung von Zielvereinbarungen und -vorgaben ist interessant – in der Praxis wird meist nicht viel „vereinbart“. Ebenfalls an der Tagesordnung ist die Mitteilung von einseitigen Zielen erst während der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres. Insoweit besteht bei Unternehmenszielen kein Unrechtsbewusstsein – der Arbeitnehmer kann diese ohnehin nicht individuell beeinflussen. Bei solchen Systemen muss man sich allerdings fragen, weshalb dann überhaupt ein Bonus gezahlt wird und worin die Anreizfunktion liegen soll.
Darüber hinaus sieht man immer wieder, dass der „Schlendrian“ einzieht, wenn die Bonuszahlungen ein paar Jahre lang gut ausfallen. Dann beschwert sich kein Mitarbeiter, bis „der Gürtel plötzlich enger geschnallt werden soll“. Ein zu hemdsärmeliger Umgang mit Zielerreichungssystemen kann gerade dann teuer werden, wenn mehr Flexibilität gewollt als geregelt ist.