Das Thema
Der Mitarbeiter war als „Honorardozent für Politik und Wirtschaft“ für eine VHS tätig. Diese stellte die Unterrichtsräume zur Verfügung, schloss die Verträge mit den Kursteilnehmern und stimmte die Unterrichtseinheiten zeitlich mit dem Dozenten ab. Ohne hierzu verpflichtet zu sein, nahm der Dozent darüber hinaus an Kurskonferenzen teil, um die Leistungen der Kursteilnehmer mit den anderen Dozenten zu besprechen. Den Unterricht selbst einschließlich der Kursmaterialien gestaltete er eigenständig.
Die VHS hatte zunächst über zwei Instanzen gewonnen. Die Gerichte stellten fest, der „Honorardozent für Politik und Wirtschaft“ sei selbssttändig gewesen. Die VHS ahnte jedoch wohl schon während des Verfahrens (oder wurde so beraten), dass das BSG letztlich anders entscheiden würde, und übernahm den Dozenten in ein Arbeitsverhältnis.
Die Entscheidung
Und in der Tat urteilte das BSG, der Dozent sei auch schon vorher, im Rahmen seiner vermeintlich freien Mitarbeit, abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig gewesen (Urt. v. 05.11.2024 – B 12 BA 3/23 R).
Das BSG zog die allgemeinen Abgrenzungskriterien für eine selbstständige Beschäftigung heran; für lehrende Tätigkeiten gelten nach seiner Auffassung keine Sonderregeln. Es komme darauf an, ob der Beschäftigte nach Weisungen tätig werde und in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers eingegliedert sei (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Demnach trat allein die VHS nach außen verantwortlich auf, der Dozent fügte sich in die von ihr vorgegebenen organisatorischen Abläufe ein. Allein dessen pädagogische Freiheit bei der Unterrichtsgestaltung führe nicht zur Selbstständigkeit. Auch habe der Dozent kein unternehmerisches Risiko übernommen, unterrichtete nicht auf eigene Rechnung, konnte die Schüler nicht selbst akquirieren und musste die Lehrtätigkeit persönlich erbringen.
Obwohl zu lehrenden Tätigkeiten auch durchaus Entscheidungen einiger Gerichte „pro Selbstständigkeit“ ergangen sind (sofern eine Honorartätigkeit vereinbart war), wollte das BSG keinen Vertrauensschutz aufgrund dieser Rechtsprechung gelten lassen. Es seien viele Fallkonstellationen denkbar und es gebe keine allgemeingültigen Ergebnisse für einzelne Berufszweige.
Damit verbleibt es auch für Dozentinnen und Dozenten bei der klassischen Abgrenzung.
Die Abgrenzungskriterien
Für die Praxis wichtig sind die Kriterien, die die Deutsche Rentenversicherung anwendet. Demnach weisen folgende Indizien auf eine abhängige Beschäftigung hin:
- Weisungsgebundenheit (kann sich bei Hochqualifizierten und Spezialisten auch in einer „funktionsgerecht dienenden Teilhabe“ am Arbeitsprozess ausdrücken),
- Eingliederung in den Betrieb (eigenes Büro beim Auftraggeber, Durchwahl, Nutzung von Visitenkarte und E-Mail-Adresse des Auftraggebers, PC wird gestellt, Zugangskarte, Bürozeiten, Pflicht zu detaillierten und regelmäßigen Berichten, Pflicht zur Verwendung von Hard- und Software des Auftraggebers, regelmäßige Teilnahme an Team-Meetings wie ein Arbeitnehmer),
- keine Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft; die „Fremdbestimmtheit“ der Tätigkeit kennzeichnet das Beschäftigungsverhältnis,
- keine eigene Betriebsstätte,
- keine im Wesentlichen frei gestaltete Arbeitstätigkeit,
- keine Tragung des Unternehmerrisikos; ein Unternehmerrisiko trägt, wer eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einsetzt,
- wirtschaftliche Abhängigkeit,
- Vereinbarung, Lohnabzüge vornehmen zu lassen,
- vereinbarter Urlaubsanspruch,
- Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Dagegen ist selbstständig, wer
- keinem Weisungsrecht unterliegt,
- ein Unternehmerrisiko trägt,
- eine eigene Betriebsstätte mit Arbeitsmitteln (Pkw, Materialien/Werkzeuge, eigene Buchführung) hat oder diese mietet,
- eigenes Betriebskapital einsetzt,
- seine Tätigkeit und Arbeitszeit frei organisiert,
- eigene Kundenakquise betreibt, eigene Werbung macht (Website, eigene Visitenkarten, Anzeigen),
- für mehrere Auftraggeber gleichzeitig tätig ist.
Neue Übergangsregelung für Lehrkräfte
Weil die Rechtsprechung zu Lehrkräften viele Bildungseinrichtungen finanziell an ihre Grenzen gebracht hätte, hat der Gesetzgeber in der letzten Sitzungswoche vor den Neuwahlen 2025 eine gesetzliche Übergangsregelung geschaffen: Seit dem 01.03.2025 gilt eine Beitragsamnestie für Bildungseinrichtungen sowie Lehrerinnen und Lehrer. Danach wird für Lehrkräfte, die auf Honorarbasis tätig sind, bis zum 31.12.2026 eine selbstständige Tätigkeit angenommen, sofern die Lehrkraft ihr Einverständnis hiermit erklärt. Für den Bildungsträger besteht dann bis zu diesem Datum Beitragsfreiheit. Die Honorarkraft selbst muss allerdings seit dem 01.03.2025 Beiträge in der Rentenversicherung gemäß § 2 Satz 1 Nr. 1, § 169 Satz 1 Nr. 1 SGB VI entrichten.
All dies gilt selbst dann, wenn eine Statusprüfung der Rentenversicherung ergeben hat, dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt.
Vermeintliche Vorteile und reale Risiken
Für andere, nicht lehrende Tätigkeiten, die auch als freies Mitarbeiter-Verhältnis geführt werden, gilt die Sonderregelung nicht. Die Einsatzbereiche externen Personals sind vielfältig: von Honorarärzten und -pflegekräften über Fotografen, Architekten und Ingenieure, von Rechtsanwälten und Interim-Managern bis zu den häufigen Fällen der Soloselbstständigen in der IT-Entwicklung. Für Unternehmen erscheinen die Vorteile einer Beschäftigung von „Freien“ attraktiv: keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, kein bezahlter Urlaub, kein Mutterschutz, kein Kündigungsschutz und vor allem keine Sozialversicherungsbeiträge. Doch gerade bei letzterer Thematik drohen hohe Folgekosten, wenn (Gesamt)Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt werden müssen. Die Verjährung beträgt 4 Jahre, bei Vorsatz 30 Jahre, wobei bedingter Vorsatz (billigendes Inkaufnehmen) ausreicht. Laut LSG Niedersachsen-Bremen (Urt. v. 09.10.2023 – L 2 BA 56/23) genügt hierfür schon, dass das Unternehmen die Möglichkeit zur Statusklärung bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (§ 7a SGB IV) nicht nutzt, keine Beiträge entrichtet und abhängig Beschäftigte mit einer gleichen Tätigkeit beschäftigt. Ein vorsätzliches Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen ist zudem strafbar (§ 266a StGB). Laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik werden hierzu jährlich 10.000 bis 13.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Fazit
Für die Praxis nicht leichter macht es die Feststellung des BSG, ein und derselbe Beruf – je nach „konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis“ – könne sowohl in Form der Beschäftigung (Arbeitsverhältnis) als auch als selbstständiger Tätigkeit ausgeübt werden. Abstrakte, einzelfallüberschreitende Aussagen im Hinblick auf bestimmte Berufs- oder Tätigkeitsbilder seien daher grundsätzlich nicht – auch nicht im Sinne einer „Regel-Ausnahme-Aussage“ – möglich. Dies gilt nicht nur für Lehrberufe, sondern für sämtliche Berufsgruppen.
Für Auftraggeber gilt daher weiterhin, die oben genannten Kriterien sorgfältig durchzuprüfen, bevor „Freie“ beauftragt werden.