Das Thema
„Das ist ein Schwarzer Tag für Demokratie und Menschenrechte“. Mit diesen Worten kommentierte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Marlis Tepe die Entscheidung des BVerfG vom 12. Juni 2018 (2 BvR 1738/12; 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15), in der das Gericht bestätigte, dass das Streikverbot für Lehrer (Beamte) verfassungsgemäß ist. Auf Twitter handelte sich die Gewerkschaft damit einen kleinen „Shitstorm“ ein. Und auch in den Medien, bei anderen Verbänden und in der juristischen Fachwelt wird die Forderung der GEW, verbeamteten Lehrern ein Streikrecht zuzugestehen, kritisiert.
Die obersten Verfassungsrichter haben in ihrer Entscheidung klargestellt, dass das Streikverbot für Lehrer als eigenständiger hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber zu beachten ist. Es steht, so das BVerfG, auch mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang und ist insbesondere mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.
Kein Rosenpicken bitte
Das Gericht verdeutlicht in seiner Begründung, dass die zahlreichen Privilegien, die Beamte genießen, Teil eines „wechselseitigen System(s) von aufeinander bezogenen Rechten und Pflichten“ sind. Und es kommentiert in diesem Zusammenhang die Forderung der Kläger mit deutlichen Worten: „Ein „Rosinenpicken“ lässt das Beamtenverhältnis nicht zu“.
Die obersten Verfassungsrichter weisen in der Entscheidung zudem auf die Konsequenzen hin, die ein Streikrecht für Beamte mit sich bringen würde: Es würde „eine Kettenreaktion in Bezug auf die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses auslösen und wesentliche beamtenrechtliche Grundsätze und damit zusammenhängende Institute in Mitleidenschaft ziehen.“
Breite Zustimmung
„Der dbb beamtenbund und tarifunion hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum beamtenrechtlichen Streikverbot ausdrücklich begrüßt.“ Das teilt der Verband in einer Pressemitteilung mit.
Auch der Deutsche Philologenverband kommentiert die Entscheidung zustimmend. Die Vorsitzende der Vereinigung, Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, zeigt sich „zufrieden, dass das Bundesverfassungsgericht der Taktik der GEW nicht auf den Leim gegangen ist, durch ein Streikrecht für Lehrkräfte den Beamtenstatus für Lehrkräfte abzuschaffen!“ .
Viel Aufmerksamkeit fand die Entscheidung auch in den Medien. Und dort wurde die Forderung der klagenden Lehrer und der GEW zum Teil deutlich kritisiert. So schreibt z.B. Susanne Klein in einem Kommentar für sueddeutsche.de: „Sie wollten aus beiden Welten das Beste. Die vier Lehrer, die sich durch alle Instanzen geklagt haben, wollten den Staat als Super-Nanny: Egal, was mit mir ist, du sorgst für mich. Aber sie wollten ihrem Nanny-Staat auch Druck machen können: Gibst du mir nicht, was ich will, werd’ ich dir untreu.“ Mit „guten Gründen“, so die Journalistin, lässt es das BVerfG aber nicht so weit kommen.
Aus der arbeitsrechtlichen Blogosphäre
Einigkeit herrscht auch in der juristischen Bewertung: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist richtig“, schreibt z.B. Rechtsanwalt Minh Riemann, Dentons Europe LLP, auf Handelsblatt Rechtsboard. Er weist darauf hin, dass ein Streikrecht zu einer kaum zu rechtfertigenden Privilegierung geführt hätte. Auf Lebenszeit ernannte und materiell abgesicherte Beamte, so der Autor, könnten durch ein Streikrecht „aus einer sehr komfortablen Lage heraus Druck auf ihren Dienstherrn“ ausüben. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass eine andere Entscheidung der obersten Verfassungsrichter auch eine neuerliche Diskussion über das Berufsbeamtentum an sich angestoßen hätte.
Diese Einschätzung teilt auch Rechtsanwalt Dr. Werner Thienemann in einem Beitrag auf dem Blog von Hogan Lovells: Sollte das Streikverbot für Beamte unzulässig sein, müsste „das Berufsbeamtentum gesetzlich völlig neu geregelt werden“.
Tatsächlich hat die Entscheidung des BVerfG schon jetzt die Diskussion darüber, ob der Beamtenstatus für Lehrer gerechtfertigt ist, neu entfacht – und das nicht nur aus juristischen Erwägungen heraus. So weist Luisa Jacobs, Redakteurin in den Ressorts Arbeit und Campus bei Zeit-Online in einem Kommentar darauf hin, dass die derzeitige Praxis der Bundesländer, „Studienabgänger mit der Verbeamtung in den Lehrerberuf zu locken“, der falsche Ansatz ist: „Am wenigsten nützt das den Schülern, die dann zwar keinen Unterrichtsausfall durch Streik fürchten müssen, es aber mit Lehrern zu tun haben, die aus den falschen Gründen im Klassenzimmer stehen.“
Wie es weitergeht
Die gesellschaftliche Debatte hat mit der Entscheidung des BVerfG also wieder „an Fahrt gewonnen“. Zunächst einmal bleibt durch das Urteil aber „alles beim Alten“ wie Thienemann auf dem Blog von Hogan Lovells darlegt. Allerdings haben die Beschwerdeführer, wie er weiter ausführt, noch die Möglichkeit beim EGMR eine Individualbeschwerde gegen die Entscheidung der obersten Verfassungsrichter einzulegen. Wie dieses gegebenenfalls befindet bleibt abzuwarten – auch wenn kein (juristisches) Argument ersichtlich ist, deutschen Beamten ein Streikrecht einzuräumen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft geht in der Zwischenzeit schon wieder einen Schritt weiter. Auf Twitter hat sie vorgeschlagen, dass Bund und Länder „einen demokratischen Beamtenstatus, der echte #Mitbestimmung einräumt“ zulassen sollen.
Ein solches Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der materiellen Arbeitsbedingungen hat keine Berufsgruppe und so verwundert auch die Einschätzung ihrer eigenen Forderung durch die GEW nicht: „Das trauen sie (Anmerkung: gemeint sind der Bund und die Länder) sich nicht. Oder Besser (sic!): Das traut sich das #BVerfG nicht.“
Das stimmt natürlich! Zwar würde sich das BVerfG nicht dazu äußern, wie die Forderung nach einer solchen Sonderstellung für Lehrer (gesellschafts-)politisch und menschlich zu bewerten ist. Das würde aber sicherlich der (nicht-verbeamtete) Steuerzahler den Gewerkschaftsvertretern erläutern. Das BVerfG würde dem Ansinnen schlicht deshalb eine Absage erteilen, weil es verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist.
Zum Autorenprofil einschließlich den Kontaktmöglichkeiten zum Autor in den sozialen Medien