Das Thema
Das beklagte Unternehmen unterhält verschiedene Betriebe des Schienennahverkehrs. Es ist Mitglied des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbands der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V. (AGV MOVE). Der Antragsteller ist der für einen Wahlbetrieb gebildete Betriebsrat. Der AGV MOVE schloss mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zahlreiche Tarifverträge ab. In der Vergangenheit wurde dabei zwischen der AGV MOVE und der EVG bzw. GDL jeweils ein Verzicht auf die Anwendung von § 4a TVG (Tarifkollision) vereinbart. Der hierzu mit der GDL abgeschlossene Tarifvertrag endete am 31.12.2020 ohne Nachwirkung.
Mit Schreiben vom 18.03.2021 informierte das Unternehmen den Betriebsrat, dass seit dem 01.01.2021 im Betrieb nach Maßgabe von § 4a TVG nur noch die Tarifverträge der Mehrheitsgewerkschaft zur Anwendung kämen. Da lediglich die EVG ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einem notariellen Verfahren zur Ermittlung der Mehrheitsgewerkschaft erklärt habe, habe das Unternehmen diese u.a. anhand der Ergebnisse der Betriebsratswahl aus 2018, der ihr vorliegenden Tarifbindungsanzeigen und der notariell ermittelten gewerkschaftlichen Mitgliederzahl bestimmt.
Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, das Unternehmen habe ihm Auskunft über die Tatsachen und die Wertungen zu erteilen, die der Feststellung der Mehrheitsverhältnisse im Betrieb zum Stichtag 01.01.2021 zugrunde lägen. Da seit diesem Tag eine Kollisionslage bestehe, müsse er beurteilen können, welche Tarifverträge im Betrieb zur Anwendung kämen. Er habe über die Durchführung der für die Arbeitnehmer geltenden Tarifverträge zu wachen.
Die Entscheidung
Das BAG wies die Anträge des Betriebsrats zurück (Beschl. v. 30.04.2024 – 1 ABR 10/23). Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hat der Betriebsrat einen Anspruch auf diejenigen Informationen, die er für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Die Überwachung der Einhaltung der Kollisionsregelung in § 4 TVG gehört nach dem BAG bereits nicht dazu, da die Norm allein der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie diene und keine konkreten Ge- oder Verbote zugunsten der Beschäftigten enthalte. Auch der Vortrag des Betriebsrats, er benötige die Informationen, u.a. um den Beschäftigten „Auskünfte… zur Anwendung von Tarifverträgen“ zu erteilen, lasse keine betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe erkennen.
Soweit das Gremium geltend gemacht hat, es brauche die Informationen, um zu überwachen, ob die zugunsten der Beschäftigten geltenden Tarifverträge im Betrieb durchgeführt werden, fehle es ebenfalls an der Erforderlichkeit. Aus einer vom Betriebsrat vorgelegten Liste der möglichen kollidierenden Tarifverträge ergebe sich, dass der in den Anträgen genannte Stichtag für die Feststellung der Mehrheitsverhältnisse im Betrieb nicht mehr relevant sei. Im Fall kollidierender Tarifverträge im Betrieb seien nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die „zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat“. Maßgebend sei danach der Zeitpunkt, in dem der Tarifvertrag schriftlich abgeschlossen wird. Auf das Datum, zu dem der Tarifvertrag (rückwirkend) in Kraft getreten ist, komme es dagegen nicht an. Die im Zeitpunkt einer Tarifkollision bestehenden Mehrheitsverhältnisse seien daher immer nur so lange maßgebend, bis es – durch einen weiteren Tarifabschluss – zu einer erneuten Tarifkollision komme.
Danach seien die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse im Betrieb zum vom Betriebsrat angegebenen Stichtag (01.01.2021) nicht mehr maßgebend. Seit dem Abschluss zahlreicher – von der Arbeitnehmervertretung in ihrer Liste aufgeführter – Tarifverträge am 24.02.2022 komme es für die Frage, welcher Tarifvertrag im Betrieb anwendbar ist, nicht mehr auf die an diesem Tag bestehenden gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse an. Ein Anspruch auf Auskunft solcher Umstände stehe dem Betriebsrat nicht zu, da die Überwachungsaufgabe ausschließlich gegenwarts- und zukunftsbezogen sei.
Fazit und Handlungsempfehlung
Das BAG schafft Klarheit, dass es für die Bestimmung der gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse bei Tarifkollision auf den Zeitpunkt ankommt, in dem der letzte kollidierende Tarifvertrag schriftlich abgeschlossen wurde. Die Entscheidung ist außerdem zu begrüßen, da das BAG die Überwachungsaufgabe des Betriebsrats auf gegenwärtige und künftige Sachverhalte begrenzt.
Arbeitgeber müssen Informationsansprüche des Gremiums, die sich auf die Überwachung vergangener Sachverhalte beziehen, daher nicht erfüllen. Ebenso wenig steht es dem Betriebsrat zu, den Arbeitgeber bei der Bestimmung der gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse zur Auflösung einer Tarifkollision zu überwachen. Auch solche Informationsverlangen müssen daher nicht erfüllt werden.