Das Thema
Die zunehmende Globalisierung und Internationalisierung macht (selbstverständlich) auch vor dem Arbeitsrecht nicht halt. In diesem Zusammenhang lässt nun eine aktuelle Entscheidung des LAG Niedersachsen (Urteil vom 09.11.2017 – 5 Sa 1006/16) aufhorchen, nach welcher im Ausland eingesetzte Arbeitnehmer in einem weitergehenden Umfang als nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG zum Territorialitätsprinzip dem persönlichen Geltungsbereich des BetrVG unterfallen können
Grundsatz: Geltung deutschen Arbeitsrechts endet an der deutschen Staatsgrenze
Während Grenzen in der Wirklichkeit der international vernetzten Wirtschaft weitgehend nur noch auf den Landkarten zu existieren scheinen, haben selbst Global Player (natürlich) die am Einsatzort jeweils geltenden arbeitsrechtlichen Regelungen zu beachten. Dies ergeben sich aus den nationalen Arbeitsrechtsgesetzen des jeweiligen Landes. Nach dem Territorialitätsprinzip ist der räumliche Geltungsbereich dieser Regelungen grundsätzlich auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt, da die Souveränität des Staates durch die Landesgrenzen begrenzt ist.
Gleichwohl können sich von diesem Grundsatz beschränkte Ausnahmen aufgrund nationaler wie bilateraler oder multinationaler Regelungen ergeben, die eine Einstrahlung (einer ausländischen Rechtsordnung auf das inländische Recht) oder eine Ausstrahlung (des inländischen Rechts auf die ausländische Rechtsordnung) vorsehen.
Dies ist insbesondere im Sozialrecht sehr relevant (§§ 4, 5 SGB IV; Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit), spielt aber bisweilen auch in arbeitsrechtlichen Fallgestaltungen – insbesondere im Kündigungsschutzrecht und Betriebsverfassungsrecht – eine Rolle.
LAG Niedersachsen will mehr Ausstrahlung deutschen Arbeitsrechts
In einem unlängst veröffentlichen Urteil ist die 5. Kammer des LAG Niedersachsen der Auffassung, dass „angesichts der zunehmenden internationalen Verflechtungen, der Globalisierung unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung, der zunehmenden Konzernstrukturen und Matrixstrukturen von Unternehmen müssen die Anforderungen, die an die Ausstrahlung eines inländischen Betriebes an einen ausländischen Arbeitnehmer gestellt werden, im Interesse eines effektiven Arbeitnehmerschutzes herabgesetzt werden“, LAG Niedersachsen 5. Kammer, Urteil vom 09.11.2017 – 5 Sa 1006/16.
Dreh- und Angelpunkt in dem Kündigungsschutzverfahren zur Wirksamkeit einer ausgesprochenen fristgemäßen betriebsbedingten Kündigung war die Frage, ob die Durchführung der Betriebsratsanhörung zur Kündigung eines seit langen Jahren nur im Ausland eingesetzten Arbeitnehmers erforderlich war.
Die beklagte Arbeitgeberin, ein Ölförderunternehmen mit Sitz im schottischen Aberdeen, beschäftigte den bei ihr bzw. ihren Vorgängergesellschaften seit dem 01.04.1978 beschäftigten Arbeitnehmer aufgrund eines (nur) englischsprachigen Arbeitsvertrages vom 05.12.2013 auf der Grundlage eines sehr weitreichenden Direktionsrechts seit 1999 durchweg im Ausland.
In Deutschland führt die Beklagte einen einzigen Betrieb, nämlich in A-Stadt, wo mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt werden und ein Betriebsrat gewählt worden ist. Gleichwohl hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht angehört.
Es geht im Kern um die Ausstrahlung des inländischen Betriebes auf den im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer
Mit Urteil vom 11.08.2016 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die streitgegenständliche Kündigung sei deswegen wirksam, weil sie weder einer sozialen Rechtfertigung bedurft hätte noch der in Deutschland ansässige Betriebsrat zu beteiligen gewesen sei.
Das LAG ist anderer Auffassung und hat der Klage stattgegeben, da die Betriebsratsanhörung erforderlich gewesen sei und die Kündigung infolge der nicht erfolgten Anhörung des Betriebsrats unwirksam sei.
Wenngleich im Grundsatz Einigkeit darüber bestehe, dass die Geltung deutschen Rechts an der deutschen Staatsgrenze ende, da das BetrVG nach den sog. Territorialitätsprinzip nur für in Deutschland gelegene Betriebe gelte (BAG, 07.12.1989 – 2 AZR 228/89), folge hieraus nicht zugleich, dass im Ausland eingesetzte Arbeitnehmer nicht dem persönlichen Geltungsbereich des BetrVG unterfallen könnten. Dies folge nämlich nicht aus dem Territorialitätsprinzip des Betriebsverfassungsrechts, sondern aus den zum persönlichen Geltungsbereich des BetrVG entwickelten Grundsätzen, wonach auch nicht im inländischen Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer dem persönlichen Geltungsbereich unterfallen können, wenn der inländische Betrieb auf diese Arbeitnehmer ausstrahlt.
Es geht dabei nach Auffassung des LAG indes nicht um eine Ausstrahlung des BetrVG in das Ausland, sondern um eine Ausstrahlung des inländischen Betriebes auf den im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer, BAG, 21.10.1980 – 6 AZR 640/79; BAG, 07.12.1989 – 2 AZR 228/89).
“Wenn die Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers dem Betriebszweck des im Inland gelegenen Betriebes dient” – Wann tut sie das nicht?!
Um diesen fast politisch motivierten Begründungsansatz wirklich zu verstehen, müssen Sie diese Wiederholung aus dem Urteil des LAG Niedersachsen zulassen: “Angesichts der zunehmenden internationalen Verflechtungen, der Globalisierung unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung, den zunehmenden Konzernstrukturen und Matrixstrukturen von Unternehmen müssen die Anforderungen, die an die Ausstrahlung eines inländischen Betriebes an einen ausländischen Arbeitnehmer gestellt werden, im Interesse eines effektiven Arbeitnehmerschutzes herabgesetzt werden.”
Anderenfalls – so das LAG – entziehe man dem Arbeitnehmer den Schutz der ausländischen Rechtsordnung, wohingegen der persönliche Anwendungsbereich sowohl des KSchG als auch des BetrVG verneint werden und lediglich durch Formalien (Vollmacht, Schrifterfordernis, Einhaltung der Kündigungsfristen) oder durch Rechtsmissbrauch (§§ 242, 138 BGB) die Rechtswirksamkeit der Kündigung kontrolliert werden könne.
Die Dauer des Auslandeinsatzes dürfe keine entscheidende Rolle mehr spielen. Entscheidend sei vielmehr einerseits, ob die Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers dem Betriebszweck des im Inland gelegenen Betriebes dient und ob darüber hinaus andererseits die Weisungsgebundenheit – wenn auch rudimentär – (noch) vorhanden ist.
Zu berücksichtigen seien neben den Konzernstrukturen auch der Rechtsgedanke des § 14 AÜG, wonach sich eine Eingliederung in einen inländischen Betrieb jedenfalls verneinen lasse, wenn das inländische Unternehmen selbst im Ausland einen weiteren Betrieb führt, in den der Arbeitnehmer eingegliedert worden ist.
Unter Anwendung dieser Kriterien hat das LAG vorliegend die Eingliederung des Arbeitnehmers angenommen und ergänzend zu den vorgenannten Kriterien noch die arbeitsvertraglich vorbehaltene Rückholmöglichkeit argumentativ mit verarbeitet.
Der richterlichen Rechtsfortbildung sind allerdings Grenzen gesetzt
Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung ist herausgefordert, mit den Anforderungen der globalen Wirtschaft Schritt zu halten und ist im Fluss. Andererseits sind der richterlichen Rechtsfortbildung durch die gesetzlichen Regelungen und deren Auslegung klare Grenzen gesetzt, die auch vor dem Hintergrund der zunehmen Globalisierung der Wirtschaft und deren Bedürfnisse nicht überstrapaziert werden dürfen.
Auf dieser Linie hat das LAG nachvollziehbare Grundsätze und Trennlinien auf dem Boden des geltenden Rechts entwickelt. Es wird spannend sein zu beobachten, ob das BAG dieser Forderung des LAG nach Herabsetzung der Anforderungen an die Ausstrahlung folgen wird.

michels.pmks Rechtsanwälte
(Köln)
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