Das Thema
Nicht nur die Zivilgesellschaft engagiert sich gerade in großer Zahl und mit großer Bereitschaft für die aus der Ukraine Flüchtenden. Viele Unternehmen und Belegschaften stellen sich auch ganz konkret die Frage, wie sie die Ukraine und deren Bevölkerung allgemein sowie dort beschäftigte Kolleginnen und Kollegen in der konkreten Situation unterstützen können. Sofern und soweit Arbeitgeber hier Regelungen schaffen, können Mitbestimmungsthemen nach dem Betriebsverfassungsgesetz betroffen sein. Arbeitgeber und Betriebsrat können – zum Teil müssen – Ihre Unterstützung für die Ukraine gemeinsam auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene absichern; dies gilt jedenfalls immer dann, wenn ein sog. kollektiver Sachverhalt vorliegt, also mindestens zwei Beschäftigte bei gleichgelagerten Sachverhalten betroffen sind. Einige Beispiele aus unserer Beratungspraxis:
Umverteilen von Urlaub
Belegschaft und Arbeitgeber möchten ukrainische Kolleginnen und Kollegen unterstützen, die ihre Arbeitsplätze verlassen, um in die Ukraine – sei es zum Kampf (hierzu der Abschnitt „Einziehung zum Kriegsdienst“ im Beitrag von Wiesenecker) oder für humanitäre Hilfeleistungen – zurückkehren. Der allgemeine Grundsatz würde hier lauten „ohne Arbeit kein Lohn“; nach dem Verbrauch des Urlaubes entfiele damit der Entlohnungsanspruch der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit ggf. die Existenzgrundlage deren Familien. Sie würden überdies den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden.
Denkbar ist, dass Beschäftigte auf eigene Urlaubsansprüche zu Gunsten der ukrainischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verzichten und ihren Urlaub an diese abtreten (auch zum Thema Urlaub vgl. den Beitrag von Wiesenecker) oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Sonderurlaub nehmen möchten.
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Änderung von Urlaubsgrundsätzen sowie – im Konfliktfall – auch der individuellen Urlaubsgewährung. Überdies stellt die Gewährung von bezahltem Urlaub über das gesetzliche Minimum hinaus einen Vergütungsbestandteil dar, dessen Gewährung die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auslöst.
Will der Arbeitgeber sich in diesem Kontext engagieren, ist eine Regelung auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene angezeigt:
- Arbeitgeber und Betriebsrat können gemeinsam Abweichungen des allgemeinen Antrags- und Genehmigungs-Prozederes für die Urlaubsgewährung vereinbaren.
- Überdies können sie einen Rahmen für die „Übertragung“ von Urlaubsansprüchen auf Beschäftigte schaffen.
- Nicht zuletzt bedarf die Gewährleistung von Sonderurlaubsansprüchen durch den Arbeitgeber der Beteiligung des Betriebsrats.
Vergütete Freistellung für ehrenamtliche Tätigkeit
Das freiwillige Engagement von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Betreuung von Geflüchteten möchten viele Unternehmen unterstützen.
- Dazu werden beispielsweise Regelungen geschaffen, wonach die Nutzung von Arbeitszeitkonten flexibilisiert wird, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der aktuellen Krisenphase eine ehrenamtliche Vollzeittätigkeit zu ermöglichen.
- Überdies belohnen manche Unternehmen den ehrenamtlichen Einsatz Ihrer Beschäftigten dadurch, dass sie für jede ehrenamtlich (unentgeltlich) geleistete Einsatzstunde eine bezahlte Stunde Freistellung zur Fortsetzung der unentgeltlichen ehrenamtlichen Tätigkeit gewähren.
Neben der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats zur Änderung bestehender Regelungen zur betrieblichen Arbeitszeit und zu betrieblichen Arbeitszeitkonten löst auch die Gewährung solcher „Charity Freistellungen“ die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zur betriebliche Lohngestaltung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aus.
Überlassung von Dienstfahrzeugen
Aktuell sind in großem Umfang Fahrzeuge erforderlich, um Hilfsgüter nach Polen, Rumänien oder direkt in die Ukraine zu verbringen und um Flüchtlinge aus Polen, Rumänien oder der Ukraine abzuholen. Viele Unternehmen gestatten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Nutzung der Firmenfahrzeug-Flotte (natürlich nach Abstimmung im Einzelfall) für diese Zwecke. Zum Teil werden auch Fahrerinnen und Fahrer für solche Transporte entweder unbezahlt freigestellt oder gar vergütet eingesetzt. In dem Zusammenhang kann die Anpassung von bereits betriebsverfassungsrechtlich vereinbarten Schichten für diese – nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtig – erforderlich werden.
Beschäftigung von ukrainischen Menschen
Schon jetzt denken viele Unternehmen darüber nach, ob und wie sie die in Deutschland untergebrachten Geflüchteten mit einem Angebot einer Beschäftigung unterstützen können. (vgl. hierzu den Beitrag von Klaus) Zwingend erforderlich ist in dem Kontext naturgemäß die Beteiligung des Betriebsrats. Dies betrifft nicht nur die standardisierte Beteiligung zur Einstellung und Eingruppierung gemäß § 99 BetrVG, sondern wird in der Regel auch eine Beratung mit dem Betriebsrat zur Personalplanung sowie gegebenenfalls auch Abstimmungen zur Anpassung des betrieblichen Entlohnungssystems erforderlich machen. Gerade der letztgenannte Punkt ist heikel: Geflüchtete sollen nicht in ihrer Notsituation ausgenutzt und als Billiglöhner missbraucht werden. Zugleich ist anzuerkennen, dass nicht jede/r Geflüchtete – ggf. schon auf Grund sprachlicher Barrieren – in die betriebliche Vergütungssystematik passt. Hier wird auf beiden Seiten ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewusstsein – im Rahmen der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 99 und 87 Nr. 1 Nr. 10 BetrVG – erforderlich sein.
Regelungen für aus Russland und/oder der Ukraine Zurückkehrende
Des Ende der Geschäftstätigkeit in bzw. der Geschäftsverbindungen mit der Ukraine und Russland führt auch dazu, dass aus Deutschland in die Ukraine bzw. nach Russland entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorzeitig nach Deutschland zurückkehren und wieder in die deutschen Betriebe eingegliedert werden müssen. Auch dabei ist der Betriebsrat zur Einstellung und Eingruppierung gemäß § 99 BetrVG zu beteiligen.
Unterstützung der Rückkehr von Beschäftigten aus Russland und der Ukraine
Weitergehende Beteiligungsrechte des Betriebsrats können dann entstehen, wenn Arbeitgeber gezwungen sind, die Rückkehr ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch besondere Maßnahmen oder Zuwendungen zu unterstützen. Denkbar ist hierbei nicht nur die Finanzierung der Rückreise und des Umzuges (einschließlich Familie), die gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig sein könnte, sondern darüber hinaus auch die Einschaltung besonderer Dienstleister für die Rettung von Personen aus Krisengebieten. Letzteres dürfte ohne Beteiligung des Betriebsrats zulässig sein; allerdings dringen nicht wenige Betriebsratsgremien selbst darauf, dass aus Deutschland entsandte Mitarbeiter durch besonders geschützte Transportmöglichkeiten aus der Ukraine zurückgeholt werden.
Unterstützung von Beschäftigten aus der Ukraine und oder Russland, die in ihrem Urlaubsort „gestrandet“ sind
Einige ukrainische und russische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind vor Kriegsbeginn in den Urlaub geflogen. Wegen fehlender Flugmöglichkeiten oder wegen des sanktionsbedingt fehlenden Zugriffs auf Konten und Kreditkarten sind viele davon momentan an ihren Urlaubsorten „gestrandet“. Dies betrifft sowohl aus Deutschland in die Ukraine bzw. nach Russland Entsandte als auch lokale Ortskräfte. Auch ohne dass es eine entsprechende Verpflichtung zur Unterstützung gäbe, wollen Arbeitgeber ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser Situation unterstützen. Die Unterstützung von ukrainischen und russischen Ortskräften berührt die Mitbestimmung deutscher Betriebsratsgremien naturgemäß nicht. Eine finanzielle und/oder organisatorische Unterstützung aus Deutschland Entsandter bei der Rückreise nach Deutschland – einschließlich der etwaigen Verlängerung bezahlten Urlaubs – löst Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 und 10 BetrVG aus. Sofern diese Entsandten dann wieder in den deutschen Betrieb eingegliedert werden sollen , kommen zudem die Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG in Betracht.